Sobotka: „EU-Nachbarn sind wesentlich wichtig“

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hofft 30 Jahre nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ auf eine hohe Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl und erinnert an die mühsame Öffnung zwischen Niederösterreich und den Nachbarländern.

Vor 30 Jahren, im Mai 1989, hat der Abbau des „Eisernen Vorhangs“ begonnen - damit habe auch für Niederösterreich eine neue Ära begonnen, so Nationalratspräident Wolfgang Sobotka im „Niederösterreich heute“-Interview. In Bezug auf die bevorstehende EU-Wahl am 26. Mai hofft er auf eine hohe Wahlbeteiligung und Stimmen für ein gemeinsames Europa. Dennoch sehe er auch Reformbedarf an der Europäischen Union.

noe.ORF.at: 30 Jahre ist das Ende des 414 Kilometer langen „Eisernen Vorhangs“ an der Grenze nun her. Ist das ein Fall fürs Museum oder gibt es da noch einen aktuellen Bezug?

Wolfgang Sobotka: Die 30 Jahre sind - glaube ich - nicht allen bewusst, vor allem der jüngeren Generation nicht. Aber die, die quasi am „Eisernen Vorhang“ aufgewachsen sind und die auch gewusst haben, was das bedeutet, für die ist diese Geschichte immer noch sehr präsent. Diese Menschen haben letztlich noch sehr viele Erinnerungen und Reflexionen zu dieser Zeit.

noe.ORF.at: Sie selbst sind damals Lehrer gewesen - und es gibt ja ein sehr persönliches Erlebnis, das Sie an der Grenze hatten.

Sobotka: Viele hatten solche Erlebnisse wie ich. Ich bin mit einer Musikergruppe eine Woche für Übungsseminare in Eisgarn (Bezirk Gmünd, Anm.) gewesen. Und nach dem Baden sind wir Schwammerlsuchen gegangen und dabei irrtümlich über die Grenze gegangen, bis wir auf einmal wirklich den „Eisernen Vorhang“ sahen, der ja hinter der tatsächlichen Grenze gelegen war. Als Folge wurden wir verhaftet, 24 Stunden inhaftiert und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln verhört.

Die jüngsten Schülerinnen und Schüler waren 14 Jahre alt. Und dieser Ausflug wurde als äußerst schwerer Grenzzwischenfall in der österreichisch-tschechoslowakischen Grenzkommission behandelt. Vielen im Wald- und Weinviertel ist es so gegangen, dass sie die Grenze als Bedrohung wahrgenommen haben. Darum war für Niederösterreich dort sogenanntes „land’s end“ - dort war die freie Welt zu Ende. Das hat auch eine wesentliche Auswirkung auf die Stimmung der Leute gehabt - eine gewisse depressive Stimmung, viel Abwanderung und viel Strukturverlust in dieser Region. Das alles wurde nach der Öffnung erst sehr mühsam wieder aufgeholt.

03.05.19 Studiogespräch Sobotka Eiserner Vorhang

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Nationalratspräsident Wofgang Sobotka im Gespräch mit ORF NÖ-Chefredakteur Robert Ziegler

noe.ORF.at: Vor 15 Jahren kam dann der Beitritt der Nachbarländer zur EU, also von Tschechien und der Slowakei sowie von Ungarn, obwohl es hier keine gemeinsame Grenze mit Niederösterreich gibt. Da gab es dann eine Stimmung des Miteinanders und vieler gemeinsamer Projekte. Heute scheint es, als wäre das eher ein Nebeneinander. Ist da etwas schiefgelaufen?

Sobotka: Das sehe ich nicht so. Es gibt mit Tschechien und der Slowakei ein ausgezeichnetes Miteinander bei gemeinsamen Projekten. Hier hat sich so viel getan, und wirtschaftlich sind die Nachbarländer für uns ganz unzweifelhaft sehr wesentlich - und sie gewinnen weiter an Bedeutung.

noe.ORF.at: Jetzt sind all diese Länder in der Europäischen Union, wo in wenigen Wochen, am 26. Mai, gewählt wird. Die Wahlbeteiligung lag in Österreich beim letzten Mal bei 45 Prozent, in Niederösterreich immerhin bei 55 Prozent. Trotzdem: Was läuft da auch vonseiten der Politik schief, dass man nicht mehr Menschen zur Wahl bewegen kann?

03.05.19 Studiogespräch Sobotka Eiserner Vorhang

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Wolfgang Sobotka: „Dass die EU durchaus verändert gehört, das ist gar keine Frage. So wie sie derzeit ist, so kann die Europäische Union nicht bleiben“

Sobotka: Offenbar erreichen wir noch nicht wirklich den Punkt bei den Leuten, um ihnen auch klarzumachen, wie wichtig die Europäische Union für sie ist. Ich glaube, hier müssen wir darauf setzen, dass wir die Leute wirklich von der Basis aus überzeugen, um zur Wahl zu gehen und ihr Votum für die Europäische Union abzugeben. Dass diese durchaus verändert gehört, das ist gar keine Frage. So wie sie derzeit ist, so kann die Europäische Union nicht bleiben. Und da muss man ihnen auch klar sagen, was für eine Veränderung notwendig ist.

noe.ORF.at: Welche Veränderung ist notwendig?

Sobotka: Ich glaube, wir brauchen ein Prinzip zur Mehrstimmigkeit und wir brauchen eine Entscheidungsfähigkeit bei schwierigen Situationen beziehungsweise in großen Belangen. Bei der Außenverteidigung, der Außenpolitik und letztlich auch der Wirtschaftspolitik braucht es ein klares Commitment, dass Europa als Gesamtes auftreten muss - insbesondere was die Frage gegenüber China betrifft oder gegenüber Amerika. Wenn wir dort die nationalen Staaten alleine lassen, würde das letzten Endes in ein Chaos münden, und das kann nicht unser Ziel sein - vor allem nicht für die nächsten Generationen.

Das Gespräch mit Wolfgang Sobotka führte Robert Ziegler, noe.ORF.at.

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