Hacker und Co.: Wie sensibel sind wir?

Hackerangriffe, WikiLeaks und aktuell die NSA-Affäre - inwiefern verändern derartige Ereignisse unsere Sensibilität für die digitale Welt? Internetsicherheitsexperte Georg Markus Kainz hofft in einem Interview mit noe.ORF.at auf ein Umdenken.

Noe.ORF.at: Der 29. Oktober ist Welt-Internettag. Was haben für Sie die vergangenen zehn Jahre gebracht?

Georg Markus Kainz: Vor zehn Jahren war es relativ neu und spannend, man hat geschaut, wo gibt es neue Angebote. Man hat begonnen, damit zu experimentieren, versucht, was das Internet alles kann. Zehn Jahre später ist das Internet einfach Bestandteil unseres Lebens. Es ist heute allgegenwärtig, wir können uns nicht vorstellen, ohne Internet zu leben. Ich telefoniere großteils über das Internet. Es ist normaler Anteil des Lebens geworden, so wie Luft und Essen, es ist einfach da.

Noe.ORF.at: Hackerangriffe, WikiLeaks und aktuell die NSA-Affäre rund um Angela Merkel - verändern derartige Ereignisse die Sensibilität der Menschen für die digitale Welt?

Kainz: Ich habe schon den Eindruck, dass langsam ein Umdenken beginnt. Wir haben mit der neuen Technik herumgespielt, die Sicherheit und Konsequenzen wurden aber nicht mitbedacht.

Welt-Internettag

Vor 44 Jahren, am 29. Oktober 1969, wurden erstmals Informationen online übermittelt. Damals wurde das Wort „log“ über eine „Leitung“ von Los Angeles zum 520 Kilometer entfernten Menlo Park in Kalifornien gesandt. Heute ist das Internet vielerorts nicht mehr wegzudenken.

Das Erstaunliche, wenn man etwa WikiLeaks nimmt, ist: Da konnten 2,5 bis drei Millionen Heeresangestellte auf Daten zugreifen, und bei Snowden war es ein externer Mitarbeiter, und das war fünf Jahre später. Also man merkt, dass immer noch nicht verstanden worden ist, was das Netz bedeutet. Dass ich überlegen muss, dass Daten, die ich im Netz speichern kann, auch von anderen verwendet und missbraucht werden - hier muss jeder Einzelne, aber auch die Gesellschaft beginnen, umzudenken, welche Daten gespeichert werden, und schauen, dass Applikationen und Dienste wirklich nur die Daten speichern, die wirklich notwendig sind. Wir müssen also möglichst sparsam im Speichern sein und darauf achten, dass wir die richtigen Sicherheitsmechanismen aufbauen, dass diese Daten dann auch gesichert sind.

Noe.ORF.at: Ganz praktisch, wenn ein User eine Website besucht, welche Daten können gespeichert werden?

Kainz: Wenn ich WWW aufrufe, weiß die andere Seite eine Menge über mich. Sie weiß meine IP-Adresse, jeder Rechner im Internet hat eine eindeutige Nummer, die weiß er einmal. Er weiß auch, mit welchem Betriebssystem und Browser ich komme. Er weiß auch, welche Schriften ich installiert habe. Es wird im Hintergrund eine Menge preisgegeben, was zwar noch nicht auf mich als Person rückschließen lässt, aber wo einmal eine ziemlich eindeutige ID kommt, und das wird gespeichert und in Folge, welche Seiten ich aufrufe. Und wenn das ein großer Betreiber ist, wird das zusammengerechnet. Wenn ich etwa bei Google drauf bin, nicht nur auf der Suchseite, sondern auch auf den 70 Diensten, werden alle diese Informationen zusammengesammelt. Hier werden für jeden einzelnen Menschen Profile erstellt, es wird also versucht zu interpretieren, wer bin ich, was mach ich, was denke ich, wie kann man mir irgendwas verkaufen, um die Informationen, die man über mich gesammelt hat, möglichst wertvoll zu machen.

Noe.ORF.at: Die virtuellen Profile gibt es nicht nur in amerikanischen Fernsehserien, sondern sie sind auf Knopfdruck von uns allen abrufbar?

Kainz: Genau, die Serien machen im Grunde ja nur das, was in der Realität schon ist. Normalerweise ist gerade die Fantasie von Serienautoren weit weniger, als die Realität heute schon ist. Also es ist so irrsinnig viel von uns bekannt. Die Frage ist, wofür wird es verwendet?

Georg Markus Kainz

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Georg Markus Kainz

Noe.ORF.at: Wer könnte denn ganz konkret an unseren Daten Interesse haben?

Kainz: Die Geheimdienste sind nicht nur an den Politikern oder Wirtschaftsunternehmen interessiert, sondern auch an den Leuten. Nicht an mir als Person, aber daran, was sozusagen zur Zeit die Meinung in Österreich ist. Wen interessieren aber wirklich die Daten über mich? Das sind die Handelskonzerne, das sind die Firmen, die über den Verkauf von Waren Geld verdienen können. Je mehr Informationen sie von uns haben, desto leichter kann man uns etwas verkaufen. Weil das Ziel eines Unternehmens ist ja, zu verkaufen. Also, sie machen nicht Produkte aufgrund unserer Bedürfnisse, sondern im Gegenteil, sie schauen, wie komme ich an den Menschen am besten ran, dass ich es ihm verkaufen kann. Das wäre sozusagen der positive Teil. Und der ganz schlimme Teil, negative Teil: Je mehr Informationen von mir bekannt sind, desto leichter fällt es natürlich Verbrechern, mit Trickbetrügereien an mein Geld zu kommen. Das ist auch das große Problem. Wenn ich zum Beispiel in einem Sozialen Netzwerk sage, wie toll mein Urlaub gerade ist, mache ich ja gleichzeitig kund, dass meine Wohnung zu Hause leer steht. Hier müssen wir einfach aufpassen, Informationen die wir über uns preisgeben, können sowohl in die eine als auch in die andere Richtung interpretiert werden.

Noe.ORF.at: Wie sieht es aus mit der „sozialen Kontrolle“? Man übt an Geheimdiensten Kritik, aber ist das nicht auch etwas, was man vielleicht unbewusst selbst im Kleinen in Netzwerken macht?

Kainz: Wir werden auf der einen Seite selbst zu Spionen, aber auch zu Opfern von Spionen, gerade durch Netzwerke. Wir haben ja einen Teil unseres Lebens veröffentlicht, mit Facebook und Co. Wir sind selber neugierig, wir versuchen ja, Informationen, die wir von anderen lesen, zu interpretieren. Wir lesen ein Profil von jemandem, und das, was er schreibt, wird dann interpretiert, und dann sagt man, das war positiv oder was weiß ich. Das Gleiche passiert natürlich mit dem, was wir schreiben, und da wir das unterbewusst wissen, versuchen wir natürlich alle irgendwo, in unserer Gruppe zu gefallen, wir versuchen, das, was wir sagen, so zu gestalten, dass die, die es vermeintlich lesen, es positiv aufnehmen. Man beginnt dann, immer mehr in eine Richtung zu sagen. Das wird verstärkt, ich kann im Facebook zum Beispiel nicht Nein sagen. Ich kann zustimmen, ich kann „like“ klicken, aber nicht „unlike“. Die einzige Möglichkeit, die ich habe, ich kann eine Nachricht wegklicken.

Georg Markus Kainz

Georg Markus Kainz hat BWL und Informatik studiert und ist Internetsicherheitsexperte. Sein Verein Quintessenz setzt sich „für die Widerherstellung der Bürgerrechte im Informationszeitalter“ ein.

Das bedeutet, dass ich in Zukunft ähnliche Nachrichten nicht mehr sehe. Also, alles, was mir nicht gefällt, sehe ich nicht mehr. Und jetzt beginne ich mich immer mehr in eine Richtung zu bewegen, und die, die dieser Meinung widersprechen würden, sehe ich gar nicht mehr. Das hat als Gesellschaft die Folge, dass Meinungen immer extremer werden. In der realen Welt, wenn ich irgendwo herumlaufe, sehe ich ja die Leute mit anderen Meinungen auch - nur im Internet, etwa im Facebook, sehe ich sie nicht. Das heißt, ich glaube nur Zustimmung zu ernten. Damit hat das die Tendenz, dass sich Gruppen immer extremer entwickeln, Meinungen in den Gruppen immer extremer werden und es keinen Austausch zwischen den einzelnen Gruppen gibt. Das ist eine gefährliche Entwicklung.

Noe.ORF.at: Kann ich es eigentlich selbst merken, wenn meine Daten von Dritten benutzt werden?

Kainz: Leider nicht. Da das digitale Daten sind, wenn die jemand kopiert, analysiert oder auswertet, passiert das, ohne dass ich es spüren würden. Ich kann nur die Konsequenzen mitbekommen. Das Fatale bei diesen Konsequenzen ist ja, dass ich zwar merke, dass etwas nicht so funktioniert, wie ich mir das gedacht habe, aber ich weiß nicht, warum. Ein Beispiel: wenn ich mich um eine Stelle bewerbe. Hier wird eine Vorauswahl getroffen, bevor überhaupt mit der einzelnen Person gesprochen wird. Das machen meist Agenturen und die schauen sich zum Beispiel Facebook an und was derjenige gepostet hat. Wenn das nicht zur Firma passt, kriegt er eine Ablehnung. Man kriegt aber nicht mit, dass das deswegen war, weil man sich vielleicht über etwas lustig gemacht hat. Man spürt die Konsequenzen, weiß aber nicht, woher es kommt.

Noe.ORF.at: Muss ich mir bewusst sein, dass ich ungefragt einwillige, dass meine Daten auch für andere zugänglich sind, sobald ich online bin?

Kainz: Es ist so, nicht unbewusst. Das Problem ist, gerade wenn man diesen Satz formuliert, sieht man schon, dass wir die Zensur im Kopf haben. Weil in dem Moment, wo ich nachdenke, dass das, was ich jetzt poste, verwendet werden kann, muss ich nachdenken, was ich schreibe, und schon hab ich die Zensur im Kopf, dass ich nicht mehr das schreibe, was ich wirklich schreiben wollte, sondern ich schreibe das, was ich glaube, schreiben zu dürfen.

Noe.ORF.at: Wie können sich die Österreicher und Österreicherinnen durch kleine Tricks einfach schützen?

Kainz: Sobald ich etwas mit einem smarten Gerät zu tun habe, bedeutet das, dass das Gerät smart ist und nicht, dass wir smart sind. Das bedeutet, dass das irrsinnig viele Funktionen und Techniken kann. Wenn ich ein Smartphone kaufe, sind standardmäßig alle Funktionen eingeschaltet, und hier muss ich als Konsument einfach aktiv entscheiden, was möchte, ich in dieser Minute wirklich nutzen. Möchte ich zum Beispiel jetzt das W-LAN nutzen, wenn ich es nicht nutze - ausschalten. Möchte ich GPS, also die Ortung nutzen? Wenn ich es nicht nutze - ausschalten. Habe ich gerade ein Bluetooth-Headset an? Ja, dann ist es eingeschaltet, sonst ausschalten. Wir müssen alle Dienste, die wir im Moment nicht brauchen, deaktivieren, dann habe ich schon ein schönes Stück Sicherheit.

Das Zweite: Ich darf nicht einfach alles, was lustig ist, installieren. Also die gleiche Vorsicht, die wir für PC gelernt haben, dass Software auch einen Virus enthalten kann. Ich muss mir überlegen, was ist die Quelle, woher kommt die Software, und nicht einfach alles installieren, da hinter einem Programm auch eine Spionagesoftware installiert sein kann. Das Nächste, wir haben auf PCs überall Anti-Viren-Software laufen. Das gehört auch auf dem Smartphone. Es ist kleiner, aber es ist ein PC.

Das Letzte: Wir sind viel zu leichtsinnig, was unsere Passwörter betrifft. Weil wir uns so oft wo anmelden, verwenden wir immer das gleiche Passwort. Ich kann im Internet Kombinationen aus Username und Passwort kaufen. Ich muss mir, wie in einem Kochbuch ein Rezept machen, wie ich ein Passwort produziere. Das besteht einmal aus Klein- und Großbuchstaben und Sonderzeichen, einer Ziffernkombination, und dann nehme ich die Website oder das Angebot in zwei Buchstaben dazu, also der erste Teil ist immer gleich. Wenn mein User geklaut werden sollte, damit diese Kombination nicht auch noch wo anders funktioniert.

Noe.ORF.at: Was zeichnet für Sie als Informatiker das Internet, heute am Welt-Internettag 2013 aus?

Kainz: Für mich ist das Internet toll, ich liebe es und lebe damit. Es ist eine Technik, die uns das Leben so derartig gestaltet hat, nicht nur das Surfen, sondern ich kann dadurch Informationen aus der ganzen Welt beziehen. Ich bin nicht beschränkt auf ein kleines Gebiet, auch was die Kommunikation betrifft. Ich kann mich austauschen. Es ist so spannend in dieser globalen Welt, ich kann durch einen Mausklick mit dem Menschen, egal wo er ist, in Kontakt treten.

Noe.ORF.at: Das Internet im Jahr 2023 – was wird dann sein, wie ist ihre Prognose?

Kainz: Das ist immer schwer, weil die Entwicklung so schnell ist. Ich glaube, dass die Basistechnik des Internets in allen Geräten drinnen ist. Ob das der Kühlschrank, Haushaltsgeräte, Staubsauger oder die Heizung zu Hause ist - die werden alle Softwareteile haben, wo die Kommunikation mit dem Internet möglich ist. Wie die Welt dann ausschaut, ob das eine fürchterliche Welt ist, wo der Kühlschrank mich zu überwachen beginnt, und die Information, dass ich jetzt aus dem Kühlschrank irgendwas genommen hab, was ich nicht essen darf, an meinen Gesundheitsanbieter schickt, was ein Horrorszenario wäre, oder ob das der positive Teil ist, dass es für mich Nutzwert und Hilfe ist, die das Leben bequemer und schöner macht, das ist die Aufgabe für uns alle: Zu sorgen, dass das Internet Spaß macht und toll ist und sich nicht als Überwachungsmedium etabliert.

Das Gespräch führte Anna Wohlmuth, noe.ORF.at.