Heidenreichstein: Hommage an Herta Müller

„Literatur soll mir das Leben erklären. Das macht sie, wenn sie gut ist“, meinte Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller beim Festival „Literatur im Nebel“ in Heidenreichstein (Bezirk Gmünd), das am Samstag zu Ende gegangen ist.

Bei der zweitägigen Hommage an die Schriftstellerin brachten Schauspielerinnen und Schauspieler zahlreiche Ausschnitte aus ihrem Werk zu Gehör. Am Samstag ging es zunächst um „Cristina und ihre Attrappe oder Was (nicht) in den Akten der Securitate stand“, eine 2009 erschienene Auseinandersetzung mit den nachträglich manipulierten Aufzeichnungen des rumänischen Geheimdienstes über Herta Müller. Aus weiteren Werken lasen Aenne Schwarz, Lukas Miko, Maja Haderlap, Franz Josef Czernin, Johannes Terne, Proschat Madani und Müller selbst.

Ihr Ostblockresümee: „Was hätte man tun sollen?“

Außerdem präsentierte Herta Müller einige ihrer lyrischen Collagen, ironische verbrämte Gedichtminiaturen im Postkartenformat, gestaltet mit ausgeschnittenen Wörtern und Bildern. Seit 20 Jahren entstehen immer neue Collagen. Das klingt dann zum Beispiel so: „Eins und Eins / ist entweder egal / oder im freien Fall.“

Herta Müller Nobelpreis Literatur

AFP/Daniel Roland

Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller: „Ich habe in meinem Leben noch keinen Krimi gelesen. Ich hatte Freunde, die umgebracht wurden. Ich hab’ genug Krimi gehabt in meinem Leben!“

Im Gespräch mit Bettina Hering, Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele und Dramaturgin bei „Literatur im Nebel“, monologisierte Müller zunächst ungebremst über die Ordnungssysteme von Wörtern und Bildern in ihren Schubladen, über Zufall, Reim, Obszönität, Humor und Metaphorik. Die Frage, ob die erlittene permanente Verfolgung während des kommunistischen Systems nicht Aggression gegen die Peiniger in ihr hervorgerufen habe, bejahte Müller, aber: „Was hätte man tun sollen? Ich möchte nicht wegen so einem dummen Schwein im Gefängnis sitzen. Manchmal habe ich mir gedacht: Ach, eines Tages stirbt der auch!“

Vom „Heimatgefühl der Verelendung“

Ihr Verhältnis zum heutigen Rumänien ist zwiespältig: Keine Minute will Müller dort noch leben, obwohl sie das Land in unregelmäßigen Abständen besucht und ihr die dort verbliebenen Freunde leidtun. Auch empfindet sie nach wie vor die „Verhässlichung“ rumänischer Städte, die in den Jahrzehnten der Diktatur „Programm“ gewesen sei, um eine Art „Heimatgefühl der Verelendung in den kommunistischen Staaten hervorzurufen“.

Mit der manchmal von Schriftstellerkollegen geäußerten Floskel von „Sprache als Heimat“ kann Müller wenig anfangen: „Das stimmt nicht. Es ist nicht genug“, meint sie. Überhaupt sei es vielleicht besser, sich nicht so oft zu fragen, wer man denn eigentlich sei: „Wenn man alles analysiert, fällt es auseinander.“ Was sie selbst lese? Jedenfalls keine Kriminalliteratur: „Ich habe in meinem Leben noch keinen Krimi gelesen. Ich hatte Freunde, die umgebracht wurden. Ich hab’ genug Krimi gehabt in meinem Leben!“

Auf Herings Frage nach gegenwärtigen Bezügen in ihrem Werk ging Müller nur vage ein. Es werde eben immer in der Welt so schlimm zugehen, dass Menschen ihr Land verlassen müssten, aus unterschiedlichen Gründen. Aktuelle Phänomene der Überwachung, Datenklau und Spionagepraktiken im Internetzeitalter kamen genauso wenig zur Sprache wie der Eklat um Müllers Äußerungen bei der vorjährigen Buchmesse in Belgrad. Und so blieb es denn im nebelfreien zwölften Jahr von „Literatur im Nebel“ bei einer ziemlich retrospektiven Würdigung für die im rumänischen Banat aufgewachsene, seit 1987 in Deutschland lebende Schriftstellerin.

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