Die Schweiz als Vorbild im Gesundheitswesen

Ein Arztbesuch per Telefon - in der Schweiz ist das bereits Realität. Anders als bei uns setzt man dort auch schon seit Jahren auf Gesundheitszentren. Zwei Projekte, die sich eine Delegation aus Niederösterreich angesehen hat.

Wenn beim Beratungszentrum Medi24 in der Schweizer Hauptstadt Bern das Telefon klingelt, dann wissen die Fachkräfte, die abheben, nie, was sie erwartet - von Eltern mit fiebrigen Kindern über Senioren, die Hilfe bei der Einnahme ihrer Medikamente brauchen, bis hin zu medizinischen Notfällen ist alles dabei. Klingt eigentlich wie bei der Gesundheitshotline 1450, die es in Niederösterreich seit knapp zwei Jahren gibt, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Medi24 hat in der Schweiz den Status einer Arztpraxis.

„Medi24 ist eine moderne Hausarztpraxis, die telefonisch und per Video für ihre Patienten da ist. Rund um die Uhr jederzeit erreichbar“, sagt Angelo Eggli, CEO bei Medi24. Konkret bedeutet das, dass die Anrufer nicht nur allgemeine medizinische Beratung erhalten, sondern etwa auch Rezepte per Telefon ausgestellt werden können. In diesem Fall muss man aber den gesamten „Beratungsprozess durchgehen und zwingend mit einem Arzt gesprochen haben“, sagt Chefärztin Regula Mettler.

Gesundheitsdelegation Zürich Martin Eichtinger

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Eine Delegation rund um Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP; M.) machte sich ein Bild vom Beratungszentrum Medi24 in Bern

Wer die Hotline wählt, zu der mehr als vier Millionen Schweizer über ihre Versicherung Zugang haben, spricht grundsätzlich zuerst mit einer sogenannten Pflegefachkraft. Für tiefergehende Fragen und Probleme arbeiten 20 Ärzte im Hintergrund, mit denen diese Rücksprache halten können und an die die Anrufer in bestimmten Fällen weitervermittelt werden.

Ausbau von „1450“ nach Schweizer Vorbild

Anders als bei der Gesundheitshotline 1450 ist man in Bern also schon einen Schritt weiter - einen Schritt, den man sich aber auch in Niederösterreich vorstellen kann. „Wir möchten die Gesundheitshotline gerne weiter ausbauen. Das heißt, wir denken daran, auch hier ärztliche Betreuung anzubieten. Das ist ein nächster Schritt, den wir in Vorbereitung haben“, sagte Landesrat und NÖGUS-Vorsitzender Martin Eichtinger (ÖVP), der gemeinsam mit einer Gesundheitsdelegation aus Niederösterreich diese Woche verschiedene Gesundheitseinrichtungen in der Schweiz besuchte.

In Niederösterreich arbeiten derzeit 16 diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegemitarbeiter bei „1450“. Mehr als 46.000 Anrufe wurden bisher verzeichnet. Nun soll die Hotline österreichweit ausgerollt werden. In Niederösterreich soll das Personal auf 25 Expertinnen und Experten aufgestockt werden, denn in diesem Bereich „liege die Zukunft“, sagt Eichtinger. „Eine mögliche Telekonsultation mit einem Arzt, der direkt mit dem Patienten spricht, der aber auch die Möglichkeit bekommt, Rezepte zu verordnen oder Krankenstandsschreibungen durchzuführen“, sei ein „wichtiges Modul für unser System“, zeigte sich dabei auch Patientenanwalt Gerald Bachinger in der Schweiz überzeugt.

Ähnliche Herausforderungen in beiden Ländern

Die Herausforderungen, vor denen man in der Schweiz steht, sind jenen in Österreich beziehungsweise Niederösterreich nicht ganz unähnlich. Das wurde in einigen Gesprächen mit Experten deutlich. „Wir haben festgestellt, dass immer weniger Personen eine Vertrauensbeziehung zu einem Arzt haben. Es besteht eigentlich keine gefestigte Beziehung, sondern man orientiert sich am Spital und geht in jedem Fall direkt ins Krankenhaus. Das ist teuer. Das verstopft auch die Kanäle für echte Notfälle“, sagte etwa der Regierungspräsident des Kanton Zürich, Thomas Heiniger, bei einem Treffen mit der niederösterreichischen Delegation.

Gesundheitsdelegation Zürich Martin Eichtinger Regierungspräsident

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Thomas Heiniger, Regierungspräsident des Kantons Zürich, und Landesrat Martin Eichtinger (v.l.)

Weil auf der anderen Seite auch immer mehr Ärztinnen und Ärzte versuchen würden, ihr „Pensum zu reduzieren“ und die Notfalleinsatzbereitschaft abgenommen habe, wie Heiniger sagte, war man in Zürich dazu gezwungen nach neuen Lösungen zu suchen: Konkret wurde der Bereitschaftsdienst der Hausärzte neu organisiert und eine sogenannte Triagestelle geschaffen - ebenfalls eine Hotline, bei der Anrufer an jene Ärzte vermittelt werden, die Notfalldienst haben, sodass weniger von ihnen sofort in die Spitalsambulanz gehen.

Welche Kostenersparnis es bringt, wenn weniger Patienten direkt in die Spitalsambulanzen gehen, wurde übrigens auch beim Besuch von Medi24 deutlich. Der telefonische Arztbesuch rechnet sich für die Krankenversicherungen nämlich so sehr, dass diese bis zu 20 Prozent Prämienrabatt anbieten, wenn sich ihre Kunden dazu entschließen, immer zuerst die Hotline anzurufen, bevor sie einen Arzt aufsuchen.

Gesundheitszentren als Erfolgsmodelle

Aber nicht nur bei der Telemedizin ist die Schweiz Vorreiter, auch bei den Gesundheitszentren, die derzeit nach und nach in Niederösterreich entstehen, orientiert man sich an unserem Nachbarland. In der Schweiz setzt man nämlich schon seit Jahren auf Gemeinschaftspraxen und Gesundheitszentren. Immer mehr Ärztinnen und Ärzte würden nämlich Teilzeit arbeiten, bestätigt der Präsident der Ärztegesellschaft des Kantons Zürich, Josef Widler, der in Zürich gemeinsam mit seiner Tochter und einer weiteren Ärztin eine Ordination führt - und Krankheiten würden sich eben nicht „an das Pensum der Ärzte halten“. „Ich glaube es funktioniert“, sagt er zum Thema Gesundheitszentren. Man müsse nur bedenken, „dass der Patient eine Ansprechperson möchte. Und jene Zentren, wo die Ärzte immer wechseln, das ist keine gute Sache. Das ist gut für die Akutmedizin.“

Um Akutmedizin geht es unter anderem in der sogenannten „Permanence“, einer Arztstation, die sich direkt am Bahnhof in Zürich befindet. Auf 500 Quadratmetern arbeiten hier 24 Mediziner, 365 Tage im Jahr, täglich von 7.00 bis 22.00 Uhr. Die Patienten können ohne Voranmeldung kommen und erhalten je nach Dringlichkeit der Beschwerde entweder eine Nummer oder werden direkt zum Arzt gebracht. Behandelt werden dabei nahezu alle Beschwerden, und auch Labor-Analysen, Röntgen oder EKGs werden durchgeführt.

Gesundheitsdelegation Zürich Martin Eichtinger

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Die niederösterreichische Gesundheitsdelegation besuchte verschiedene Gesundheitseinrichtungen in der Schweiz

In Niederösterreich gibt es derzeit erst an einem Verkehrsknotenpunkt ein Gesundheitszentrum: am Flughafen in Schwechat. Einrichtungen wie die „Permanence“ kann man sich aber gut vorstellen. "Es macht sicher Sinn, Gesundheitszentren auch an strategischen Punkten einzurichten, wo viele Personen zusammen kommen, wo es einen hohen Anfall von Gesundheitsproblemen gibt, sagt Eichtinger. Bis 2012 sollen laut ihm zumindest 14 Gesundheitszentren in Niederösterreich entstehen, die verpflichtend mindestens 50 Stunden pro Woche offen halten müssen. Bis jetzt gibt es zwei, in St. Pölten und Böheimkirchen.

Auch wenn die Schweiz bei einigen Punkten im Gesundheitsbereich bereits einen Schritt weiter ist, sei man in Österreich „nicht schlecht aufgestellt“, betont Patientenanwalt Bachinger. Dennoch könne man einiges mitnehmen - etwa „dass es nicht so sehr auf Reglementierungen ankommt, sondern darauf, dass ich ein Ergebnis vorgebe und das auch überprüfe.“ Man sollte daher mehr Freiräume lassen, auch im niedergelassenen Bereich, meint Bachinger, sodass die Ärzte zwar einen Versorgungsauftrag bekommen, „aber den Weg, wie sie dieses Ziel erreichen, das sollte man ihnen eigentlich frei überlassen.“

Katharina Sunk, noe.ORF.at