Sechs- bis Zehnjährige in einer Klasse vereint

Das vierklassige Volksschulsystem ist den meisten Menschen bekannt. Es gibt aber auch Mehrstufenklassen: In einer Klasse sind alle vier Schulstufen vereint, werden von einer oder zwei Pädagoginnen unterrichtet, die Vorteile sind groß.

Mit sechs Jahren beginnt der sogenannte Ernst des Lebens: Kinder werden eingeschult und kommen in die erste Klasse Volksschule. In der zweiten Klasse wird dann zum ersten Mal mit der Füllfeder geschrieben, die Schreibschrift steht auf dem Programm. In der dritten Klasse folgen erste Aufsätze und das Dividieren mit größeren Zahlen, und in der vierten Klasse sorgen dann die ersten Schularbeiten für Aufregung. In Volksschulen mit Mehrstufenklassen ist das alles ganz anders.

Mehrstufenklasse: Die Älteren helfen den Jüngeren

Lilia ist zehn Jahre alt und besucht eine Mehrstufenklasse in Deutsch-Wagram (Bezirk Gänserndorf). Sie kniet am Boden, vor ihr liegt ein kleiner Teppich, auf dem sich verschiedene geometrische Körper aus Holz befinden, die sie richtig zuordnen muss. Neben ihr sitzt Elias im Schneidersitz. Er ist sechs und würde - besuchte er eine herkömmliche Volksschule - in die erste Klasse gehen. In Deutsch-Wagram jedoch arbeitet er gemeinsam mit Lilia am Zuordnen der Holzformen. Er lässt sich von seiner älteren Schulkollegin erklären, warum eine Dose ein Zylinder ist oder eine Orange eine Kugel. „Ich mag es hier“, sagt Lilia, „ich kann anderen Schülern etwas erklären, ihnen bei der Lösung einer Aufgabe helfen. Die Lösung darf ich ihnen aber nicht verraten“, denn sonst wäre ihnen nicht geholfen, ergänzt sie.

Das Wort Mehrstufenklasse auf einer Tafel

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Lilia weist damit auf einen der großen Vorteile einer Mehrstufenklasse hin: Der Sinn besteht darin, dass nicht nur die Pädagoginnen Lehrstoff erläutern, sondern auch die älteren Schülerinnen und Schüler durch das Erklären bereits erlangten Wissens dieses auch festigen. „Wir sind hier eine große Familie“, sagt die Klassenlehrerin, „die Kleinen lernen von den Großen und das Schöne ist, dass jeder einmal in die Situation kommt, etwas erklären zu dürfen. Sie werden ja älter und es kommen wieder jüngere Schülerinnen und Schüler nach.“ Elias ist tatsächlich von seiner kleinen Lehrerin begeistert. „Wenn meine Frau Lehrer etwas erklärt, verstehe ich oft gar nichts. Aber Kinder und Kinder gemeinsam, da höre ich auch viel besser zu“, meint er.

Vom Abteilungsunterricht zur Mehrstufenklasse

Ursprünglich wurde das System einer Mehrstufenklasse aus der Not heraus entwickelt. In kleinen Gemeinden mit wenigen Einwohnern und wenigen schulpflichtigen Kindern ließ es sich oft nicht einrichten, vier Schulstufen und damit auch vier Klassen zu bilden. So wurden Kinder von sechs bis zehn Jahren eben in einer Klasse unterrichtet, organisiert als sogenannter Abteilungsunterricht. Die einzelnen Schulstufen wurden getrennt voneinander unterrichtet und stellten innerhalb dieser Klasse eigene Abteilungen dar.

Der Schulversuch Mehrstufenklasse, der sich daraus entwickelte, unterscheidet sich insofern, dass die Kinder nicht mehr getrennt voneinander unterrichtet werden. Das funktioniert mit Freiarbeit: Die Kinder suchen sich selbst eine Aufgabe, die sie dann lösen, entweder mit einem anderen Kind oder alleine. So finden sich oft unterschiedliche Altersgruppen zusammen, um ein Referat zu erarbeiten oder eine Rechenaufgabe zu lösen, oft wird aber auch ganz alleine gelesen.

Kinder in einer Mehrstufenklasse

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Lenni: „Manchmal sind sie nervig, die Großen“

Auch in Purkersdorf (Bezirk Wien-Umgebung) findet sich eine Volksschule, die eine Mehrstufenklasse anbietet. Drei Klassenräume stehen den Kindern zur Verfügung, die Räume sind nach Themen angeordnet: Deutsch, Mathematik und der sogenannte „Cosmos“, also Sachunterricht. Den ganzen Vormittag lang wechseln die Kinder zwischen den Klassen hin und her, in den Händen immer ihre Federschachtel und die Lernzielmappe. Dort wird vermerkt, was sie während des Tages gearbeitet haben, damit auch die Lehrerin einen Überblick hat. „Das Besondere bei uns liegt im sozialen Bereich“, sagt Klassenlehrerin Ulli Schreiber, „bei uns bleibt kein Kind übrig, in dem Sinn, da jedes Jahr neue Schülerinnen und Schüler nachkommen. Und durch das gegenseitige Helfen haben die Kinder einfach Vorteile.“

In ihrer Klasse, im „Cosmos“, sitzen drei Erstklassler. Sie pausen einen Baum für ihr Sachunterrichtsprojekt ab. Die Frage, ob es ihnen denn gefallen würde, mit so vielen älteren Kindern in einer Klasse zu sein, bejahen sie einhellig. Die drei Buben finden aber auch ein paar Kritikpunkte: „Es ist schon manchmal nervig mit den Großen“, sagt Lenni, „sie machen alles, was sie nicht machen sollen.“ Wirklich verschreckt seien die kleinsten Schülerinnen und Schüler wegen der vielen älteren Kinder aber nicht, bestätigen die Klassenlehrerinnen sowohl in Deutsch-Wagram als auch in Purkersdorf. Es gebe ein Patensystem, bei dem sich jeder ältere Schüler eines jüngeren Klassenkameraden annimmt. Lorenz aus Deutsch-Wagram kann diesem positiven Aspekt nur zustimmen: „Die kleineren Mitschüler kennen halt einfach die besten Spiele!“

Barbara Tschandl, noe.ORF.at

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