Landestheater: Versteckten Winkeln auf der Spur

Wer versteckte Winkel in der Landeshauptstadt aufspüren will, sollte sich die „Bürgerproduktion 4.0“ im Rahmen der ambulanten „Stadtgeschichten“ am Landestheater Niederösterreich in St. Pölten nicht entgehen lassen.

Die Premiere am Freitagabend bot zweieinhalb Stunden abwechslungsreiches Stationentheater mit über 50 Mitwirkenden. Gespannte Stimmung am Rathausplatz: Vor dem Theatergebäude sammeln sich die Besucher und werden mit farbigen Tickets in Gruppen eingeteilt. Schon vor dem offiziellen Beginn wird man zu einem Schaufensterbummel eingeladen, bei dem das Gründerehepaar der benachbarten Firma Leiner zum Leben erwacht.

„Stadtgeschichten“ an reizvollen Spielstätten

Und schon geht es per pedes (für Fußmarode ist die Unternehmung trotz einer Fahrt mit der Liliputbahn eher ungeeignet) zur ersten von insgesamt acht Stationen, wo Szenen zur Stadtgeschichte präsentiert werden. Sie stammen von Renate Aichinger (die auch für die Realisierung des Gesamtprojekts verantwortlich zeichnet), Zdenka Becker, Moritz Beichl, Bernhard Moshammer, Cornelia Travnicek und Michael Ziegelwagner.

Bürgertheater des Landestheaters Niederösterreich

ORF

Mit den „Stadtgeschichten“ in das Bürgermeisterzimmer des Rathauses

Übliche tourismustaugliche Sujets werden kaum thematisiert, wiewohl man zu durchaus repräsentativen Orten und reizvollen Spielstätten gelangt, etwa ins Bürgermeisterzimmer, wo Wilhelm Voelkl, Stadtoberhaupt bis 1905, im Cäsarenwahn dem Irrsinn verfällt, ehe der jetzige Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) leibhaftig vorbeischaut. In der Aula des entkernten Sparkassenhauses wird die Propaganda der Ära Ludwig um die Entstehung der niederösterreichischen Landeshauptstadt mit ihrer Gulaschsaftmetaphorik auf die Schaufel genommen.

„Stadtgeschichten"
Sieben Aufführungen bis 14. Mai an verschiedenen Schauplätzen in St. Pölten

Im Sommerrefektorium begegnet man Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, im ehemaligen Grand Hotel Pittner dem Tod bzw. seiner Aushilfe, im barocken Schulambiente der Englischen Fräulein bekannten Schülerinnen und St. Pöltnerinnen von Paula Preradovic über Enrica Handel-Mazzetti bis Lolita, im Steingöttersaal dem homosexuellen Schriftsteller Vacano.

Zum großen Finale samt Blasmusik treffen einander alle am Riemerplatz, wo Voelkl die Elektrifizierung der Stadt vornimmt. Angesteckt von allseitiger Euphorie tritt man den Heimweg an, überzeugt davon, dass hier mit viel Ambition, ja Herzblut aller Beteiligten ein wertvolles Exempel partizipativer Kulturarbeit gelungen ist.

Ewald Baringer, Austria Presse Agentur

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