„Stolpersteine“ erinnern an Nazi-Opfer

In sechs Gemeinden in Niederösterreich erinnern „Stolpersteine“ an Menschen, die im Konzentrationslager umgekommen sind. Die Steine sind jeweils im Gehsteig vor dem letzten Wohnsitz der Opfer eingelassen.

Ein „Stolperstein“ misst zehn mal zehn Zentimeter und ist so groß wie ein Pflasterstein. In die Messingdeckplatte sind der Name des KZ-Opfers, sein Geburtsjahr und der Ort des Todes eingraviert. Im Fall von Johann Zehetner ist der „Stolperstein“ vor der Militärakademie Wiener Neustadt in den Asphalt eingelassen. Hier lebte er zuletzt gemeinsam mit seinem Vater, der als Hausverwalter in der Kaserne eine Wohnung hatte.

„Hier wohnte Johann Zehetner...“

Im Alter von fünf Jahren wurde Johann Zehetner in Wiener Neustadt von einem Motorrad angefahren und erlitt eine schwere Kopfverletzung, diese blieb unbehandelt. Nach dem Tod seiner Mutter war er zumeist sich selbst überlassen und strolchte umher. Eine Untersuchung der Universitätsklinik in Wien ergab einen geistigen und körperlichen Entwicklungsrückstand von zwei bis drei Jahren. Er wäre laut dieser Diagnose durchaus in der Lage gewesen, einfacher Arbeit nachzugehen.

Der NS-Amtsarzt attestierte hingegen in ihm einen „unerzogenen Schwachsinnigen“ und ließ ihn 1944 in die Anstalt Mauer-Öhling bei Amstetten einweisen. Dort wurde der mittlerweile 17-Jährige zwei Wochen vor dem Kriegsende in Europa gemeinsam mit 147 weiteren Patienten durch ein zum Töten umgebautes Elektroschockgerät umgebracht.

Stolpersteine Wr. Neustadt

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Wenige Tage nachdem in Salzburg Österreichs erste Stolpersteine verlegt worden waren, folgte im Jahr 2006 Mödling in einer gemeinsamen Aktion der Stadtgemeinde mit einer privaten Initiative. Mittlerweile wurden in der Stadtgemeinde 32 Stolpersteine verlegt, mit denen 30 jüdischer Opfer des Holocaust sowie einem sozialdemokratischen Widerstandstandskämpfer und der bekannten Widerstandskämpferin Ordensschwester Maria Restituta gedacht wird.

„Wenn man bedenkt, dass Emanuel und Waltraud Stössel hier gelebt und ihr Geschäft gehabt haben, so sind sie an diesen alten Häusern hier vorbeigegangen“, sagt Mödlings Vize-Bürgermeister Gerhard Wannenmacher (Die Grünen) in einer Gasse in der Altstadt. „Mit der Aktion ‚Stolpersteine‘ kann man die Menschen aus der statistischen Anonymität holen und ihnen den Ort zurückgeben, an dem sie gelebt haben“.

109 „Stolpersteine“ in Wiener Neustadt verlegt

Angeregt durch den Mödlinger Beginn formierte sich auch in Wiener Neustadt eine private Initiative, die durch einen Gemeinderatsbeschluss 2008 gestützt ebenfalls die ersten 22 Stolpersteine verlegte. 109 Steine wurden bisher an 54 Plätzen de Stadt verlegt. Außerhalb Deutschlands ist dies das umfangreichste Projekt.

„Etwa drei Viertel der Stolpersteine betreffen jüdische Opfer, es gibt aber auch politische Opfer und Euthanasie-Opfer“, sagt Initiator und Zeitungsverleger Anton Blaha, der auch eine aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum Wiener Neustadt zu diesem Thema gestaltet hat. „Wir haben nach langen Recherchen junge Roma und Sinti gefunden, die hier gelebt haben und schließlich in Auschwitz ermordet wurden. Zu Zeugen Jehovas und Homosexuellen fanden wir keine Hinweise.“

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Sanftes Erinnern

Die „Stolpersteine“ sind jeweils vor dem letzten Wohnsitz des Opfers in den Gehsteig eingelassen. Eingraviert sind Name, Geburtsjahr und Todesort.

Die Idee als solche wurde vom deutschen Bildhauer Gunter Demnig vor 20 Jahren entwickelt, er graviert nach wie vor jeden Stein selbst. Für ihn sei dies ein Akt der Würdigung der Opfer, erzählte Blaha. Die Ausstellung mit zwölf exemplarischen Schicksalen im Stadtmuseum Wiener Neustadt bietet vertiefende Einblicke in die Aktion und die Lebensgeschichten der ehemaligen Bewohner der Stadt.

Liste der „Stolpersteine“ online

„Die ‚Stolpersteine‘ sind ein sehr wertvolles Vermittlungsinstrument für die lokale Geschichte für die verschiedensten Opfergruppen. Es ist eine sanfte Form des Erinnerns, es ist kein Aktionismus dabei und es braucht keine großen Mahnmale. Wie der Künstler es wollte, stolpert man über diese Steine, man schaut auf sie, man liest etwas und erfährt etwas zu den ehemaligen Mitbewohnern“, erklärte der Wiener Neutädter Historiker Werner Sulzgruber, der sich intensiv mit der Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wiener Neustadt beschäftigt hat.

Mittlerweile gibt es Stolpersteine in sechs niederösterreichischen Gemeinden: in Krems, Hinterbrühl, Bad Erlach, Neunkirchen, Mödling und Wiener Neustadt. Eine umfangreiche Liste aller verlegten Steine in Kombination mit den Lebensläufen der Betroffenen gibt es online als Wikipedia-Eintrag.

Hannes Steindl, noe.ORF.at

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