Verschollener Grabstein wieder entdeckt

Bei Grabungsarbeiten bei den Wiener Neustädter Kasematten ist ein außergewöhnlicher Grabstein entdeckt worden. Es handelt sich um einen sehr großen hebräischen Grabstein aus dem Jahr 1350, der versteckt worden war.

Der Historiker Werner Sulzgruber hatte eine Erwähnung des Grabsteins bereits vor Jahren in einer alten französischen Schrift aus dem Jahr 1894 entdeckt, aber 2010 in seinem Buch „Das jüdische Wiener Neustadt“ noch als „verschollen“ einstufen müssen, weil der Grabstein nicht mehr auffindbar gewesen war. Der Fachmann für jüdische Geschichte sowie Stadt- und Zeitgeschichte von Wiener Neustadt führt nun die historische Dokumentation durch. An der vollständigen Übersetzung der Inschrift wird derzeit gearbeitet.

Grabstein wurde bewusst versteckt

„Es handelt sich um den Grabstein einer Frau namens Tirnka, Tochter des Isaak und Ehefrau des Jonas, die am 27. Oktober 1350 verstarb und auf dem jüdischen Friedhof der Neustadt bestattet worden war. Der Stein wurde zuletzt 1894 und 1895 in einer französischen Textquelle erwähnt“, erklärte Sulzgruber. „Die Inschrift dieses Grabsteins ist im 19. Jahrhundert mit einer Anzahl anderer von keinem Geringeren als Dr. Friedrich Semeleder, dem späteren Leibarzt von Kaiser Maximilian von Mexiko, aufgenommen worden.“

Jüdischer Grabstein

Christian Strobl

Der außergewöhnlich große Grabstein stammt aus dem Jahr 1350

Irritierend ist für den Wissenschaftler, dass der hebräische Text des Grabsteins zwar Ende des 19. Jahrhunderts abgeschrieben („kopiert“) wurde und sichtbar gewesen war, man den Stein aber später verschüttete, ohne seinen Standort festzuhalten. Man ließ diesen außergewöhnlichen Stein also bewusst verschwinden, was aus heutiger Sicht völlig unverständlich ist.

Umso erfreulicher ist es, dass er nun wieder ans Tageslicht gekommen ist, sagte Sulzgruber. Der nun wiederentdeckte Grabstein ist mit rund 110 cm Breite, 170 cm Höhe und 30 cm Tiefe von außerordentlichen Dimensionen. Frau Tirnka könnte daher - so eine Annahme des Historikers - wohl eine bedeutende Frau in der spätmittelalterlichen Neustadt innerhalb der jüdischen Gemeinde gewesen sein. Näheres wird zur Zeit untersucht.

Jüdischer Friedhof befand sich im Süden der Stadt

Wiener Neustadt hat eine besondere jüdische Geschichte vorzuweisen, die von Sulzgruber seit vielen Jahren erforscht wird. Die Stadt verfügt über eine beachtliche Anzahl hebräischer Grabsteine aus dem Mittelalter. Zu diesen zählt der älteste erhaltene hebräische Grabstein Österreichs aus dem Jahr 1252 und eine Gruppe von Steinen, die zu den ältesten Europas gehören.

Der wieder entdeckte mittelalterliche Grabstein von 1350 ist demnach einer von mehreren hebräischen Grabsteinen, die Mitte des 19. Jahrhunderts gefunden worden waren. Sie alle stammen ursprünglich vom mittelalterlichen jüdischen Friedhof, der sich außerhalb der Stadtmauern im Süden von Wiener Neustadt befand.

Links: