Ist Bandscheiben-OP notwendig?

In einer Studie wurde erhoben, ob es einen optimalen Zeitpunkt für eine Bandscheiben-Operation gibt. „Das Wichtigste: Wenn es sich nicht um einen Notfall handelt, kann auch gefahrlos zugewartet werden“, so Martin Nuhr vom Nuhr-Zentrum Senftenberg.

„Unter ärztlicher Beobachtung und mit maßgeschneiderten konservativen Therapien können ebenfalls Schmerzlinderung und eine deutliche Besserung der Symptome erzielt werden“, sagt Martin Nuhr, Facharzt für Physikalische Medizin.

Die Bandscheiben sind die Stoßdämpfer für die Wirbelsäule. Sie sitzen zwischen den Wirbelkörpern und bestehen aus einem weichen elastischen Gallertkern im Inneren, der von einem äußeren harten Faserring umgeben ist. Der Gallertkern saugt sich mit Wasser voll, das er vor allem im Liegen von der umgebenden Gewebsflüssigkeit abzapft. Im vollgesaugten Zustand kann er seine Pufferfunktion erfüllen. Tagsüber wird die Flüssigkeit, bedingt durch den Druck, der auf den Bandscheiben im Stehen oder Sitzen lastet, wieder aus dem Inneren der Bandscheibe herausgepresst.

Wie kann ein Bandscheibenvorfall entstehen?

Je älter ein Mensch wird, desto weniger gut können die Bandscheiben Wasser im Inneren aufnehmen. Dadurch büßt der Gallertkern an Elastizität ein und wird zunehmend spröde. Diese Abnützung kann auch den stützenden Faserring betreffen. Wird die Bandscheibe übermäßig belastet, kann der Gallertkern verrutschen und auf den Faserring drücken (Vorwölbung) oder diesen durchbrechen. Bei letzterem spricht man von einem Bandscheibenvorfall (Prolaps, Discusprolaps).

Röntgenbild eines Bandscheibenvorfalls

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Obwohl durch den Alterungsprozess der Bandscheibe eher ältere Menschen von Bandscheibenvorfällen betroffen sind, können auch junge Menschen Probleme damit haben. „Hierbei spielen unter anderem Übergewicht und eine Fehlbelastung bzw. Überlastung der Wirbelsäule eine Rolle“, so Nuhr. Da die Hauptlast des Körpers von der Lendenwirbelsäule getragen wird, kommt es in den meisten Fällen (rund 90 Prozent) in diesem Bereich zu einem Bandscheibenvorfall. Deutlich seltener (etwa zehn Prozent der Fälle) ist die Halswirbelsäule betroffen.

Früher oder später operieren?

Symptome des Bandscheibenvorfalls sind starke, häufig in die Extremitäten ausstrahlende Schmerzen, oft mit einem Taubheitsgefühl im Versorgungsgebiet der eingeklemmten Nervenwurzel, gelegentlich auch Lähmungserscheinungen. „Bis zu 90 Prozent der Bandscheibenvorfälle können erfolgreich mit konservativen, multimodalen und interdisziplinären Therapien behandelt werden. Chirurgische Eingriffe werden in nur rund fünf Prozent im Rahmen von absoluten Notfällen durchgeführt, d.h. wenn beispielsweise irreversible Schäden der Nerven zu befürchten sind“ (Nuhr). 95 Prozent der Operationen erfolgen aufgrund anderer Indikationen.

In Deutschland unterziehen sich rund 0,2 Prozent der Betroffenen einer Bandscheibenoperation, in Österreich sind es 0,12 Prozent. Martin Nuhr zitiert eine soeben publizierte Studie der deutschen Universität Witten/Herdecke und der Neurochirurgischen Klinik Köln, die erstmals der Frage nachging, ob es einen optimalen Zeitpunkt für einen chirurgischen Eingriff beim Bandscheibenvorfall gibt. Als Hypothese wurde angenommen, dass eine frühere operative Versorgung ein besseres Behandlungsergebnis erzielt als eine später angesetzte.

Arzt betrachtet Röntgenbild eines Bandscheibenvorfalls

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Untersucht wurden zwei Gruppen von Patienten im Alter zwischen 18 und 75 Jahren mit einer therapieresistenten Lumboischialgie, verursacht durch einen Bandscheibenvorfall. Die Patienten der ersten Versuchsgruppe wurden nach einem kurzen konservativen Therapieversuch innerhalb von zwölf Wochen operiert. Die Patienten der zweiten Versuchsgruppe wurden über einen längeren Zeitraum von mehr als zwölf, aber weniger als 36 Wochen im ambulanten Bereich konservativ behandelt. Erst nach Scheitern der konservativen Behandlung unterzogen sich diese Patienten der Operation.

Sendungshinweis:

„Radio NÖ am Vormittag“, 13.3.2015

Das Fazit der Studie: Der frühere Zeitpunkt des operativen Eingriffs führte nicht zu signifikant überlegenen Therapieergebnissen. „Daraus lässt sich folgern, dass mit einer Operation auch gefahrlos zugewartet werden kann, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um den bereits erwähnten eher seltenen Notfall“, sagt Martin Nuhr. Als wissenschaftlich erwiesen gelte die durch die chirurgische Behandlung zu erreichende signifikant schnellere Schmerzbefreiung im Vergleich zur konservativen Therapie. Was hier allerdings fehle, sei die Langzeitbetrachtung. Aus früheren Studien gehe aber hervor, dass nach zwei bis vier Jahren bei den Patienten nahezu keine Unterschiede mehr zwischen operierten und konservativ therapierten festzustellen waren, so Nuhr.