Zehn Jahre: Der Fall Josef F.

Es war einer der größten Kriminalfälle: Ein Mann hielt seine Tochter 24 Jahre im Keller seines Hauses in Amstetten gefangen und zeugte sieben Kinder mit ihr. Vor zehn Jahren flog der Fall Josef F. auf. noe.ORF.at fasst die Fakten zusammen.

Im August 1984 begann das Martyrium von Elisabeth F. Ihr Vater lockte sie unter dem Vorwand, ihm beim Tragen einer Türe zu helfen, in den Keller. Dort überwältigte er die damals 18-Jährige, vergewaltigte sie und sperrte sie ein. Seiner Familie erzählte er, seine Tochter Elisabeth sei bei einer Sekte untergetaucht.

24 Jahre lang hielt Josef F. seine Tochter im Keller seines Hauses in Amstetten gefangen und zeugte mit ihr sieben Kinder. Eines starb nach der Geburt. Drei Kinder holte F., aus Platzgründen im Verlies, bald nach der Geburt nach oben. Seiner Frau erklärte er, Elisabeth habe ihm die Kinder vor die Tür gelegt, dort wo sie sei, könne sie sich nicht um sie kümmern. Elisabeth und die drei anderen Kinder - ein Mädchen und zwei Buben - lebten bis zu ihrer Befreiung im April 2008 im Verlies.

Der Fall Josef F. - 10 Jahre danach

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Erkrankung des Mädchens brachte Fall in Rollen

Als im April 2008 ein Kind im Verlies schwer erkrankte, brachte Josef F. das Mädchen nach oben. Er legte die bewusstlose junge Frau vor seinem Hauseingang in Amstetten ab. Neben ihr lag ein Begleitbrief - so wie bereits bei den anderen drei Kindern zuvor. Die 19-jährige Kerstin wurde ins Landesklinikum Amstetten gebracht. Dort wurde man bald skeptisch und verständigte die Behörden.

Staatsanwältin Christiane Burkheiser hatte an jenem Wochenende Bereitschaftsdienst und erinnert sich gegenüber noe.ORF.at: „Wir haben auf unterschiedliche Arten gesucht und zunächst einmal geschaut, ob es einen Führerschein oder eine Sozialversicherungsnummer gibt oder ob der Vater ausgeforscht werden kann, damit man auch an ihn die Frage nach dem Krankheitsverlauf des Mädchens richten kann. Sie war aber einfach nicht existent“, erzählt Burkheiser.

Zeitgleich wurde ORF-Niederösterreich-Reporter Otto Stangel auf den Fall aufmerksam. Er schaffte es sogar, mit Josef F. zu telefonieren. Der damals 74-Jährige präsentierte sich dem Journalisten gegenüber als besorgter Familienvater, der von seiner verschwundenen Tochter berichtete, schildert Stangel im Gespräch mit noe.ORF.at. „Er hat gesagt, dass sie schon überall versucht haben, sich schlau zu machen. Sie hätten gehört, dass sie bei einer Sekte in Oberösterreich untergetaucht und verschwunden sei. F. sagte dann noch, dass sie ihnen innerhalb von ein paar Jahren Kinder vor die Türe gelegt habe und dann wieder verschwunden sei.“

War der Zwischenfall bewusst inszeniert?

Der ORF Niederösterreich startete einen Aufruf in „NÖ heute“, um die verschwundene Elisabeth, die Mutter des kranken Mädchens, zu finden. Die Berichterstattung trug möglicherweise dazu bei, dass der Fall ins Rollen kam, denn Elisabeth bekam den Aufruf mit, weil sie ein Fernsehgerät im Verlies hatte.

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Daraufhin setzte sie ihren Vater unter Druck, um ins Spital zu Kerstin zu kommen. Robert Ziegler, Chefredakteur des ORF Niederösterreich, moderierte damals den Aufruf. „Wie sich dann herausgestellt hat, dass diese Frau offensichtlich die Möglichkeit hatte, im Verlies ‚NÖ heute‘ zu sehen, konnten wir das überhaupt nicht fassen“, so Ziegler.

Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner glaubt, Elisabeth habe schon lange auf ihre Befreiung hingearbeitet. „Sie hat ja immer wieder versucht, ihm zu vermitteln, dass sie da mitspielen wird und ihn nicht ausliefern wird. Ihr war klar, dass er nur dann denkt, es zu machen, wenn er ziemlich sicher sein kann, dass sie nachher sagt, na, alles bestens, ich war zwar jetzt 24 Jahre irgendwo, aber es ist eh alles in Ordnung und ihn nicht verrät“, so Kastner.

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Josef F. habe ihr erzählt, Elisabeth habe den Zwischenfall mit der kranken Kerstin vermutlich bewusst inszeniert. „Es gab da unten zwei Medikamente, irgendwelche Schmerzmittel und irgendwelche Hustenmittel. Es war klar, dass die Kinder eine Unverträglichkeit für die Kombination dieser beiden Substanzen haben, hat F. erzählt, und Elisabeth hat Kerstin dann offenbar beides gemeinsam verabreicht, wohlwissend, dass das Kind das nicht verträgt. Damit ist dann der Zustand entstanden, der ihn zum Handeln gezwungen hat“, erzählt Kastner aus einem Gespräch mit Josef F.

F. brachte Elisabeth ins Spital. Dort erzählte sie schließlich ihre Geschichte. Josef F. wurde verhaftet. Währenddessen brach über Amstetten ein Medienansturm nie dagewesenen Ausmaßes herein. Die erkrankte Kerstin wurde wieder gesund. Die Opfer wurden im Landesklinikum Mauer betreut. In Freiheit waren sie nicht, denn sie blieben wochenlang in der Klinik, belagert von Journalisten, die auf ein Foto hofften.

Internationaler Medienansturm beim Prozess 2009

Am 16. März 2009 startete am Landesgericht St. Pölten der erste Prozesstag gegen Josef F. Staatsanwältin Christiane Burkheiser musste sämtliche Vorwürfe auf 27 Seiten zusammenfassen. Sie war zuvor selbst zweimal durch das Verlies gekrochen, wie sie sagt. „Es war tatsächlich nur ein Kriechen, weil eine der Verliestüren nur 83 Zentimeter hoch war, da musste man also zunächst auf die Knie gehen und durchrobben“, erinnert sich die Staatsanwältin. ORF-NÖ-Reporter Werner Fetz berichtete damals vom Prozess. Der ORF Niederösterreich fungierte als sogenannter „Host Broadcaster“. „Das heißt, unsere Kameras haben die Bilder eingefangen, die dann unsere Kollegen von der Technik auf die unterschiedlichsten Datenträger vervielfältigt haben und allen Fernseh-, Radio- und Internetberichterstattern zur Verfügung gestellt haben.“

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Die damals vorsitzende Richterin Andrea Humer konnte das Medienspektakel ausblenden. „Ich wusste nichts von einer Liveschaltung des ORF. Das war wahrscheinlich für mich der beste Zugang, denn ich habe weder Nachrichten geschaut, noch hab’ ich Zeitungen gelesen. Ich wusste nicht, dass es Sondersendungen gibt. Ich habe mich wirklich von der medialen Berichterstattung abgeschirmt, denn das ist auch nicht gut, wenn man selbst den Prozess führen muss“, sagt die Richterin.

300 Medienvertreter waren angemeldet, 90 durften während des öffentlichen Teils in den Gerichtssaal. In einem Pressezelt informierte man über den nicht öffentlichen Teil der Verhandlung. Josef F. musste sich wegen Mordes, Sklavenhandels, Notzucht und Vergewaltigung, Freiheitsentziehung, Nötigung und Blutschande verantworten. Am schwersten wog der Anklagepunkt „Mord durch Unterlassung“, denn ein Kind war im Verlies nach der Geburt gestorben. Die Leiche verbrannte F. im Ofen.

Während des Prozesses wurde auch klar: Das Drama begann schon 30 Jahre davor. F. tätigte erste sexuelle Übergriffe bereits an seiner damals elfjährigen Tochter. Geständig zeigte er sich nur bei den Vorwürfen des Sklavenhandels und der Blutschande. Eine Strategie konnte Strafverteidiger Rudolf Mayer, der damals auch mit Drohungen aus aller Welt konfrontiert wurde, mit seinem Mandanten nicht erarbeiten, sagt er heute: „Grundsätzlich war mein Mandant ein Mensch, dem man nicht so viel raten konnte. Er hat alles gemacht, wie er es eben wollte und richtig fand.“

Modrige Kuscheltiere aus dem Verlies

Staatsanwältin Christiane Burkheiser erinnert sich, wie sie den Geschworenen modrige Kuscheltiere aus dem Verlies gereicht und dessen geringe Raumhöhe an der Gerichtssaaltüre demonstriert hat. „Man konnte sich bei einer Raumhöhe von 1,74 Metern nicht einmal strecken, eine Dusche gab es erst später, aber die war auf einer Höhe von 1,20 Metern, versuchen Sie da einmal zu duschen.“

Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner kam zur Überzeugung: der Angeklagte sei schuldfähig, er habe alles genau geplant. Den Geschworenen und dem Angeklagten wurde per Video die elfstündige Einvernahme der Opfer vorgespielt. Wie sich später herausstellte, war Elisabeth auch persönlich im Gerichtssaal anwesend. Daraufhin bekannte sich Josef F. in allen Punkten schuldig. Der Prozess ging am 19. März 2009, einen Tag früher als geplant, zu Ende. Josef F. wurde einstimmig in allen Punkten schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und zur Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. Dass auch die Opfer, also die Kinder aus dem Verlies, bei der Urteilsverkündung im Saal anwesend waren, bleibt bis heute eine unbestätigte Vermutung unter Journalisten.

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Kellerräume von Josef F. sind unverändert

Viele Jahre nach der Entdeckung des Falls fand das Haus, für manche überraschend, einen neuen Eigentümer. Der Amstettner Unternehmer Herbert Houska hatte nach einem Mehrparteienhaus gesucht. „Wie wir uns für dieses Haus über eine Immobilienzeitung interessiert haben, haben wir am Anfang nicht gewusst, welches Haus das ist“. 2016 ging der Verkauf über die Bühne. Houska begann sofort mit der Räumung und Sanierung. „Es hat Abrissbescheide für illegal gebaute Garagen und Bäder gegeben. Das haben wir alles gleich entsorgt.“ Das Verlies wurde schon vor dem Verkauf mit Beton verfüllt.

Der Keller existiert nach wie vor. Film- und Fotoaufnahmen dürfen nicht gemacht werden, das musste Houska beim Kauf zusichern. Über die Stiege gelangt man in die weitläufigen Kellerräume, zu denen damals nur Josef F. Zutritt hatte und die im Wesentlichen noch so aussehen, wie früher. Es gibt ein verschmutztes Bad mit Toilette. Im Raum daneben steht ein Holzverbau samt Bett mit blauem Überzug. Gegenüber befindet sich eine Wand mit Elektroinstallationen, offenbar von F. selbst gebaut. Eine Holzschiebetür führt zu jenem Raum, von dem Josef F. ins Verlies gelangte. 180.000 Euro bezahlte Houska für die Liegenschaft. Nun befinden sich in dem Haus zehn Personalwohnungen.

Der mittlerweile 84-jährige Josef F. verbüßt seine Haftstrafe in der Justizanstalt Krems-Stein. Seine Opfer wird der Fall wohl ein Leben lang begleiten. Dass Josef Fs. Tochter Elisabeth die 24-jährige Gefangenschaft überhaupt überlebt hat, sei nur auf ihren starken Willen zurückzuführen, sagt Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner. „Das ist ja das Unglaubliche. Über wie viele Jahre sie einen Widerstand aufrechterhalten hat. Sie hat sich ja nie wirklich gefügt und immer versucht, aus dem herauszukommen. Ich glaube, eine gebrochene Frau wäre da drinnen gestorben.“ Die Opfer sollen unter neuer Identität in einem benachbarten Bundesland leben. Bislang ist es ihnen gelungen, von den Medien völlig unentdeckt zu bleiben. Wie es ihnen geht, ist der Öffentlichkeit nicht bekannt.

Doris Henninger, noe.ORF.at