Mordprozess in Wiener Neustadt fortgesetzt

In Wiener Neustadt wird heute ein brisanter Prozess fortgesetzt. Ein 59-Jähriger soll eine Frau mit 35 Messerstichen getötet haben. Die Verteidiger sprechen von Ermittlungspannen. Ein Polizist konnte diesen Vorwurf nicht entkräften.

Zwischen Küche und Esszimmer sei das Opfer „in einer sehr untypischen Haltung am Boden gelegen“, schilderte ein Polizist als Zeuge am Dienstag, er und eine Kollegin waren damals zum Tatort gerufen worden. „Üblich ist es natürlich schon, dass ein Arzt den Tod feststellt, wir haben aber niemanden erreicht“, sagte der Polizist. Ohne, dass der Tod oder ein Todeszeitpunkt festgestellt worden sind, begannen Bestatter daraufhin, die Leiche der 70-jährigen Frau für den Abtransport vorzubereiten.

„So, wie das gelaufen ist, war es suboptimal“

„Dass Sie das nicht tun dürfen, lernen Sie vermutlich im ersten Kurs bei der Polizei. So, wie das gelaufen ist, war es suboptimal", sagte die Richterin zu dem Polizisten. „Schauen wir mal“, entgegnete der Beamte und ergänzte, dass nicht viele Spuren beseitigt worden sein können, da „die Leiche maximal umgedreht worden ist.“ Der Polizist sei von einem „bedenklichen Todesfall“ ausgegangen, sagte er. Das Landeskriminalamt wurde verständigt, die Staatsanwaltschaft aber nicht. Jedenfalls hätten die zuständigen Ermittler den Tatort nicht mehr im ursprünglichen Zustand vorgefunden.

Zu Wort kam am Dienstag auch eine Zeugin, die das Opfer einen Tag nach dem behaupteten Tatzeitpunkt (8.10.2017, Anm.) noch lebend gesehen haben will. Nachdem die Verhandlung am Dienstag kurz unterbrochen war, musste die Frau eingestehen, dass sie sich im Tag geirrt hatte. Die Verteidiger hatten am ersten Prozesstag Ende Juli kritisiert, dass die Polizei die Frau nicht neuerlich befragt hatte. „Zu Beginn einer Amtshandlung muss man sehr viele Sachen abarbeiten. Auf einige habe ich auch keinen Einfluss mehr gehabt“, erklärte damals der aktführende Beamte.

Insgesamt agierte der Polizist im Zeugenstand derart unglücklich, dass Richterin Birgit Borns die Befragung des Ermittlers durch die Verteidiger im Juli mehrmals unterbrach und schließlich anregte, wieder Gerichtskommissionen an den Tatort zu schicken: „Ich halte das für eine gute Sache“, sagte sie.

Ex-Lebensgefährtin von Beschuldigtem befragt

Der Beschuldigte bekannte sich auch am Dienstag weiterhin nicht schuldig. Laut seiner ehemaligen Lebensgefährtin war der 59-Jährige im Dezember 2015 nach einer On-Off-Beziehung bei ihr ausgezogen. Im Herbst 2017 habe sie ihn etwa zwei Mal pro Woche gesehen, für ihn Wäsche gewaschen und gekocht, berichtete sie am Dienstag im Zeugenstand. Den Kontakt brach sie im November 2017 ab, „weil er sehr eifersüchtig und einnehmend war“: „Es hat an meinen Nerven genagt, ich wollte einfach meine Ruhe haben“, das habe er aber nicht akzeptiert und sei „ständig ums Haus herumgeschlichen“. Sie berichtete weiters von finanziellen Problemen ihres Ex-Partners, er habe sie und ihre Tochter aber auch immer wieder mit Geld unterstützt.

In der Nacht auf den 8. Oktober hatte die Frau die Pensionistin gesehen, die auf dem Heimweg von einer Geburtstagsfeier war. „Was tut meine alte Nachbarin um die Zeit noch unterwegs?“, schilderte die Zeugin ihre Gedanken. Am 8. Oktober hatte ihre Tochter tagsüber einen Streit im Mehrparteienhaus wahrgenommen. „Ich habe einen Pumperer gehört“, so die 18-Jährige, die Auseinandersetzung sei „heftiger als sonst, also länger“ gewesen. Sie nahm an, dass das Geräusch von der Wohnung oberhalb gekommen sei. Ihre Mutter erzählte, sie habe ein „Jammern“ gehört.

Eine Bekannte hatte am 9. Oktober erfolglos versucht, die 70-Jährige telefonisch zu erreichen. Am 11. Oktober kam die 59-Jährige gemeinsam mit ihrer Tochter nachschauen. Mit einem „mulmigen Gefühl“ seien sie in die Wohnung im Parterre gegangen, in der sie die Leiche entdeckten: „Ich bin in der Panik sofort raus.“ Vor Eintreffen der von der 59-Jährigen verständigten Exekutive waren die Fenster in der Wohnung aufgrund des starken Geruchs geöffnet worden, die Rettungskräfte befanden sich draußen.

Urteil für Dienstagabend erwartet

Dem 59-Jährigen wird angelastet, der Pensionistin insgesamt 35 Stiche gegen den Kopf, Hals-/Nackenbereich und Oberkörper zugefügt zu haben, von denen sieben die Lunge und davon zwei auch das Herz durchdrangen. Am Tatort gefundene DNA-Spuren hatten zum 59-Jährigen geführt. Im April wurde der Niederösterreicher festgenommen. Der Angeklagte hatte am ersten Prozesstag im Juli ausgesagt, die Leiche der 70-Jährigen entdeckt zu haben. Daraufhin sei er in Panik geraten, die Einsatzkräfte habe er nicht verständigt – mehr dazu in 70-Jährige getötet: „Bin nicht schuldig“ (noe.ORF.at, 26.7.2018).

Neben weiteren Zeugenbefragungen stand am Dienstag noch die Erörterung eines gerichtsmedizinischen und eines psychiatrischen Gutachtens am Programm. Ein Urteil wird für die Abendstunden erwartet.

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