AKW-Wächter war „Herrscher über einsame Insel“
Vor 40 Jahren sprach sich Österreich gegen die Kernkraft und damit auch gegen die Inbetriebnahme des AKW Zwentendorf aus, das zu diesem Zeitpunkt bereits gebaut war. Am 5. November 1978 fiel die Entscheidung mit einem Unterschied von weniger als 30.000 Stimmen. Auch, wenn das Atomkraftwerk nie in Betrieb ging, war es der tägliche Arbeitsplatz von Johann Fleischer. Er war sozusagen der Wächter des Atomkraftwerks.
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noe.ORF.at: Herr Fleischer, wir sind hier im Turbinenraum des Kraftwerks. Sie sind seit kurzem in Pension. Wie geht es Ihnen dabei, wieder hier zu sein, an einem Ort, an dem Sie 15 Jahre lang gearbeitet haben?
Johann Fleischer: Es ist immer wieder eine Freude, hierher zu kommen und doch noch technische Aushilfe für den Nachfolger zu sein. Und in weiterer Folge ist die Anlage ja durch mich in dem Ausmaß aufbereitet worden. Und es ist immer wieder eine schöne Sache, hier zu sein.
Sendungshinweis
„NÖ heute“, 3.11.2018
noe.ORF.at: Vor 40 Jahren war die Abstimmung über das Kraftwerk. Wie haben Sie gestimmt?
Fleischer: Ich habe mit „Ja“ gestimmt, natürlich als junger Mensch mit wenig Ahnung der Kernkraftwerkstechnik. Es war damals so, dass die Abstimmungen großteils nach der politischen Richtung des Elternhauses gelaufen sind.
noe.ORF.at: Wie bekommt man den Job als „Wächter“ in einem Kraftwerk, das nicht in Betrieb gegangen ist?
Fleischer: Naja, der Posten wurde ausgeschrieben, als mein Vorgänger in den Ruhestand gegangen ist. Ich habe hier ein halbes Jahr Einschulungszeit verbracht, dann ist diese Anlage eigentlich mit mir alleine besetzt gewesen.
noe.ORF.at: Das AKW war auch ein beliebter Drehort für Filme. Zwei Filme wurden hier gedreht. Einer auch mit Dolph Lundgren.
Fleischer: Ja, der wurde leider nicht in Zwentendorf fertiggestellt. Die Szene Zwentendorf wurde in einem anderen Kraftwerk nachgedreht. Die Filmfirma ist dann in Konkurs gegangen, die haben also ein ähnliches Schicksal wie Zwentendorf erlitten.
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noe.ORF.at: Was wenige wissen: Das Kraftwerk war in den 2000er Jahren ein Schulzentrum, denn die Volksschule und die Hauptschule waren hier untergebracht.
Fleischer: Im Zuge des Umbaus der Haupt- und Volksschule Zwentendorf ist das Bürogebäude als Schulgebäude benutzt worden, mehr als zwei Jahre lang.
noe.ORF.at: Im Herz des Reaktors, dem Kernreaktor, hat es sehr viele Übungen gegeben. Wer ist da gekommen? Wer hat sich dafür interessiert?
noe.ORF.at: Zum Beispiel das Kernkraftwerk Isar oder das Kernkraftwerk Brunsbüttel, beide in Deutschland. Über die Kraftwerksschule aus Essen sind alle Siedewasser-Betreiber aus Deutschland zu uns zu Kursen gekommen.
noe.ORF.at: Das Kernkraftwerk hat 1.050 Räume. Haben Sie es überhaupt geschafft, alle Räume durchzugehen?
Fleischer: Naja, ich habe die Rundgänge immer in Etappen und monatlich durchgeführt. Das heißt, jeder Bereich ist auf jeden Fall einmal im Monat betreten und besichtigt worden.
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noe.ORF.at: Sie waren ja nicht ganz alleine auf ihren Touren, Ihr Hund war immer mit.
Fleischer: Meinen treuen Begleiter habe ich noch, der lebt noch und dem geht es auch sehr gut, er ist jetzt schon 13 Jahre alt.
noe.ORF.at: Bis 1985 wurde hier der Scheinbetrieb aufrecht erhalten. Es waren auch Kernphysiker da, bis zu 200 Menschen. Was glauben Sie, war der Grund, warum so viele Menschen hier beschäftigt waren?
Fleischer: Man hatte die Anlage auf Schuss gehalten, um bei einer politischen Veränderung in Österreich die Anlage doch noch in Betrieb setzen zu können.
noe.ORF.at: Wie ist es Ihnen dabei gegangen, in einem Gebäude zu arbeiten, das sehr viel Geld gekostet hat - 14 Milliarden Schilling damals -, aber nie in Betrieb gegangen ist?
Fleischer: Wie ein Herrscher über eine einsame Insel.
Das Gespräch mit Johann Fleischer führte Robert Friess, noe.ORF.at
Link:
- 40 Jahre AKW: „Nein“ eint heute Bevölkerung (noe.ORF.at, 3.11.2018)