Defizite bei Gesundheitsversorgung

Experten stellen dem niederösterreichischen Gesundheitssystem einen ernüchternden Befund aus. Patientenanwalt Bachinger befürchtet, dass Defizite bei der Versorgungssituation noch größer werden könnten.

Patientenanwalt Gerald Bachinger findet bei der Beurteilung des niederösterreichischen Gesundheitssystems gegenüber noe.ORF.at klare Worte: „Aus meiner Sicht ist die aktuelle Versorgungssituation nicht mehr in Ordnung.“ Laut Bachinger gibt es Alarmsignale, dass Defizite im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung noch weit größer werden könnten. Einerseits liege das an der wachsenden Lücke, die Pensionierungen von Ärztinnen und Ärzten in den nächsten Jahren hinterlassen würden und andererseits am zunehmenden Boom im Wahlarztbereich.

Derzeit gibt es laut Ärztekammer in Niederösterreich 814 Ärztinnen und Ärzte für Allgemeinmedizin und 571 Fachärztinnen und Fachärzte mit einem Kassenvertrag. Dem gegenüber stehen bei den Wahlärztinnen und Wahlärzten 507 Verträge mit Ärztinnen und Ärzten der Allgemeinmedizin und 1.462 Facharztstellen. Bachinger ortet eine „Flucht der Patientinnen und Patienten aus dem kassenärztlichen Bereich, weil eben die Versorgung schon längere Zeit nicht mehr passt“.

11.02.19 Kritik Patientenanwalt Gesundheitssystem Bachinger Gesundheitsschwerpunkt

ORF

Modelle für junge Ärztinnen und Ärzte sollen dem Ärztemangel entgegenwirken

Ländliche Regionen besonders betroffen

Dass es besonders im ländlichen Raum immer schwieriger werde, Allgemeinmedizinerinnen und Allgemeinmediziner zu finden, hat laut Gottfried Haber, dem Leiter des Departments für Wirtschaft und Gesundheit an der Donau-Universität Krems, mehrere Gründe. Diese würden auch mit der Abwanderung aus dem ländlichen Raum und mit einem Mangel an jungen Ärztinnen und Ärzten zusammenhängen.

Der ORF Niederösterreich berichtet im Rahmen des Schwerpunkts „Operation Gesundheit“ von 11. bis 14. Februar über niederösterreichische Gesundheitsthemen. In anderen Beiträgen der Serie wird beleuchtet, wie Ärztekammer und Krankenkasse die Situation beurteilen.

Der zeitlich sehr fordernde Beruf der Allgemeinmedizin nehme in der Beliebtheit bei jungen Ärztinnen und Ärzten ab, so Haber, denn die sogenannte Work-Life-Balance werde immer wichtiger. Es werde immer schwieriger, nach Pensionierungen Nachfolgerinnen und Nachfolger für Landarztordinationen zu bekommen. „Die Lebenssituationen ändern sich und während junge Menschen ihren Beruf mit dem Privatleben vereinbaren möchten, steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Allgemeinmedizinerinnen und -medizinern. Das wird eine Herausforderung fürs System“, sagt Gesundheitsökonom Haber.

Kritik an Krankenkasse und Ärztekammer

Dass es so weit gekommen ist, sei mitunter hausgemacht und liegt laut Patientenanwalt auch an mangelnder Reformbereitschaft von Krankenkasse und Ärztekammer. „Die Vertragspartner, die für diesen Bereich zuständig waren, sind schon seit Jahren reformresistent und nicht mehr fähig, innovative und kreative Lösungen zu schaffen“, so Patientenanwalt Bachinger.

Denkbare Modelle für die Zukunft würden auf Mobilität setzen, so Bachinger: „Überspitzt gesagt geht es im Sinne eines Hausarztes nicht darum, dass in jedem Haus ein Arzt sitzt, sondern dass wir umfassende, zeitlich weit gestaltete Versorgungsangebote für die Patienten bekommen.“ Auch der Gesundheitsökonom sieht Mobilität in einer wichtigen Schlüsselrolle - sowohl auf Ärzte-, als auch auf Patientenseite. Zu berücksichtigen sei allerdings, dass Patientinnen und Patienten speziell im Alter ihre Mobilität verlieren könnten. „Das heißt, dass Ärztinnen und Ärzte mobiler sein müssen und Sprechstunden nicht nur an einem einzelnen Ort abhalten“, so Haber.