Schildkröten bis unters Dach

In Seebarn am Wagram (Bezirk Tulln) teilt Markus Putzgruber seinen Lebensraum mit 320 Schildkröten. Er ist österreichweit der Einzige, der von sich behaupten kann, im ersten und derzeit einzigen Tierheim für Schildkröten zu wohnen.

Sie haben die Dinosaurier überdauert, eine Eiszeit überstanden und sehen ihren urzeitlichen Vorfahren noch immer erstaunlich ähnlich: Schildkröten. In Seebarn am Wagram befindet sich das österreichweit einzige Schildkrötentierheim. 320 Tiere - von 35 unterschiedlichen Arten und von jedem Kontinent der Erde - leben dort, und mitten unter ihnen Markus Putzgruber.

17.04.19 Tierheim für Schildkröten Seebarn am Wagram

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Früher standen am Dachboden Fitnessgeräte, heute leben hier afrikanische Landschildkröten. Für sie wurde die Heizung bis unters Dach verlegt

In den letzten fünf Jahren hat Putzgruber viel Zeit und Geld investiert, um sein Haus und seinen Garten in eine Schildkrötenfarm zu verwandeln. Geplant sei ein Gnadenhof dieser Größe nie gewesen, erzählt er: „Irgendwie ist das Schritt für Schritt so passiert. Die Begeisterung für Schildkröten hatte ich zwar immer schon und daher auch eigene Tiere. Irgendwann hat es begonnen, dass auch fremde Tiere bei mir eingezogen sind.“ Vor fünf Jahren hatte Putzgruber 20 Schildkröten, heute sind es um 300 mehr. Und täglich bekommt er Anrufe, ob er nicht noch weitere aufnehmen könne.

Reptilienhaltung wird oft unterschätzt

Auch Tierheime schätzen mittlerweile Putzgrubers über die Jahre angeeignete Erfahrung und Expertise im Umgang mit den gepanzerten Tieren. „In der Zusammenarbeit mit Tierheimen in den vergangenen Jahren hat sich immer mehr gezeigt, dass zunehmend mehr Reptilien, speziell auch Schildkröten, abgegeben werden. Dort ist aber alles eher auf Hund und Katze ausgelegt“, sagt Putzgruber. In vielen Fällen wenden sich folglich Tierheime mittlerweile nach der Abgabe von Schildkröten an ihn.

17.04.19 Tierheim für Schildkröten Seebarn am Wagram

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Verformungen des Panzers vieler Schildkröten sind die Folge von falscher Haltung

Jede Schildkrötenart hat spezielle Bedürfnisse und Anforderungen. Zu groß wäre der Aufwand für ein Tierheim, sich auf jede Reptilienart einzeln einzustellen, erklärt Putzgruber. Oft sind es daher auch genau jene Herausforderungen in der Haltung, die den Schildkröten zum Verhängnis werden, bevor sie abgegeben werden. Unter den Exemplaren in Seebarn befinden sich etliche Tiere mit deformierten Panzern. „Das entsteht durch Mängel, zu wenig Sonnenlicht bei ausschließlicher Haltung im Terrarium sowie durch falsches Futter“, so Putzgruber.

Viele Schildkröten bekommen aus Unwissenheit ihrer Besitzerinnen und Besitzer Obst und Gemüse zu fressen. Beides verspeisen sie zwar mit Vorliebe, der darin enthaltene Zucker wirkt aber wie Gift auf deren Skelettstruktur. Außerdem werden viele Schildkröten als wenige Zentimeter kleine Tiere gekauft - und wieder abgegeben, sobald sie zu groß für ihre Terrarien und Aquarien in Wohnungen geworden sind. „Außerdem werden einige Arten über 100 Jahre alt. Wer sich also für eine Schildkröte entscheidet, geht damit nicht nur eine Verpflichtung für das eigene ganze Leben ein, sondern auch noch für jenes der nächsten Generation“, betont Putzgruber.

Die Seebarner Schildkrötenfarm beheimatet Tiere aus ganz Österreich. Die kleinsten Tiere sind kaum größer als eine Münze, die größten Exemplare erreichen bald die 80-Kilogramm-Marke.

Leben inmitten von hunderten Schildkröten

Im Haus von Markus Putzgruber scheint mittlerweile alles auf Schildkröten ausgelegt. Mittlerweile bewohnen sie fast alle Räume seines Hauses - vom Keller bis unters Dach. Wo am Dachboden heute knapp 80 Kilogramm schwere afrikanische Schildkröten leben, war früher ein Fitnessraum eingerichtet. Bilder von Bodybuildern sind die einzigen Relikte, die noch an die frühere Nutzung erinnern. Auch das Badezimmer im Keller wurde zweckentfremdet.

Abgetrennt zwischen Duschtasse und Toilette krabbeln Schildkröten auf einer dicken Mulchschicht am Boden, in den Regalen an der Wand stehen spezielle Terrarien. „Hier entsteht in Kürze ein Tropenraum für australische Schildkröten, die es sehr warm und feucht brauchen. So erobern die Schildkröten nach und nach mein Haus“, schmunzelt Putzgruber.

Sein Garten gehört mittlerweile fast ausschließlich den Schildkröten. Den Sommer über verbringen die meisten Tiere draußen. Drei Teiche sind für sie angelegt und selbst im Schwimmteich leben 60 Wasserschildkröten. Im Winter halten viele Arten Winterruhe. Dafür stehen ihnen in Putzgrubers Keller ein Raum mit Kühlschränken zur Verfügung. Darin überwintern sie in speziellen Plastikboxen bei konstant gehaltenen sechs Grad Celsius.

17.04.19 Tierheim für Schildkröten Seebarn am Wagram

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Drei Teiche stehen den Tieren im Garten zur Verfügung, auch im Schwimmteich leben 60 Wasserschildkröten

Putzgruber: „Wir sind am Limit“

Die Kapazität des Schildkrötenliebhabers kennt aber Grenzen. „Mir ist es wichtig, dass die Tiere artgerecht leben, deswegen ist das Limit eigentlich erreicht“, meint Putzgruber. In Kürze darf sich sein Verein „RespekTurtle“ samt seinem über die Jahre erbauten Schildkrötenanwesen auch offiziell als Tierheim bezeichnen.

Zwar freut sich der Schildkrötenprofi über diesen Schritt, den er auch als Anerkennung empfindet, dennoch hat er neben dem lachenden auch ein weinendes Auge: „Wir werden wohl als Tierheim in die Geschichte eingehen, das bereits ab dem Moment seiner offiziellen Eröffnung keine Tiere mehr aufnehmen kann.“ Platz habe er noch für einige wenige einzelne Schildkröten, dann sei sein Limit aber erreicht.

Für die Zukunft wünscht sich Putzgruber einen größeren Grund für die Unterbringung der Schildkröten, allerdings sei das auch eine finanzielle Frage. Er träumt von einem öffentlich zugänglichen Schildkrötenpark mit Teichanlage für Wasserschildkröten, großen Außenanlagen, Tropenzone und Überwinterungsbereich. Interessierten Gästen öffnet der Schildkrötenliebhaber nach Voranmeldung heute schon seine Türe und betreibt Aufklärungsarbeit zur richtigen Schildkrötenhaltung. Gelegentlich vermittelt er auch einzelne Tiere an gute Plätze weiter.

Veronika Berger, noe.ORF.at

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