Älter als die Republik: Otto Filipsky erinnert sich

Am 18. Oktober feiert Otto Filipsky seinen 106. Geburtstag. Es ist kein runder, aber ein besonderer: Der einstige Planungsleiter im Ueberreuter-Verlag ist damit nicht nur der älteste Retzer (Bezirk Hollabrunn), sondern auch älter als die Republik.

Auf der Eckbank in Filipskys Wohnzimmer hat ein Polster, der den Rathausturm von Znaim zeigt, einen Ehrenplatz. In Znaim wurde er 1912 als Mitglied der deutschen Volksgruppe geboren, im „Deutschen Haus“, einem Vereinshaus, in dem sein Vater Hausbesorger war, ist er aufgewachsen. „Ich hab kein Tschechisch gesprochen. Es hat rein deutsche Schulen gegeben. Meine Schule war hinter dem Stadttheater“, erzählt der rüstige Mann. Und schon ist man mitten in einem dramatischen Kapitel der Geschichte.

„Bis Hitler gekommen ist, war es friedlich“, erzählt Filipsky vom Zusammenleben der deutschen und der tschechischen Volksgruppe. „Allerdings war in der Tschechoslowakei die Arbeitslosigkeit sehr hoch - und man hat neidig nach Deutschland geschaut, wo sich Beamte bereits ein Auto leisten konnten. Wir haben geglaubt, das ist das Paradies!“

Otto Filipsky Retz 105 Jahre

APA/Wolfgang Huber-Lang

Otto Filipsky über das Leben in Znaim: „Bis Hitler gekommen ist, war es friedlich“

1938 spitzte sich die Lage zu. Österreich war bereits annektiert, in der Tschechoslowakei bereitete man sich auf das Schlimmste vor. „Ich habe meine Einberufung von der tschechoslowakischen Armee bekommen. Ich wollte aber nicht auf meine Brüder schießen müssen und habe gleich daran gedacht, mich nach Österreich abzusetzen.“

„Ich habe immer einen Schutzengel gehabt“

Unter abenteuerlichen Umständen gelang dem zweifachen Vater, dessen Kinder im Alter von drei und zwölf Monaten nach dem Tod seiner ersten Frau bereits Halbwaisen waren, bei einer Patrouille die Desertion und die Flucht durch die reißende Thaya. „Hätte ich gewusst, dass es doch keinen Krieg gegen die Deutschen geben wird, hätte ich nicht um mein Leben schwimmen müssen. Obwohl ich viel mitgemacht habe, habe ich aber immer einen Schutzengel gehabt.“

Der Krieg holte Filipsky dennoch ein. Bei der Deutschen Wehrmacht war er u.a. in Jugoslawien eingesetzt. In den letzten Kriegstagen hing sein Leben erneut an einem seidenen Faden. Sein Kompaniechef, der Verbindungen zum Widerstand hatte, ermöglichte ihm in Wien, dass er sich mit einem vorgetäuschten Auftrag absetzen konnte, anstatt am Südostwall eingesetzt zu werden. „Ihm habe ich mein Leben zu verdanken. Und nach dem Krieg hat er mir einen Posten bei Ueberreuter vermittelt. Dort bin ich bis zu meiner Pensionierung geblieben. Ich hab klein angefangen und mich hinaufgearbeitet.“

Der gelernte Buchdrucker, Schriftsetzer und Buchbinder arbeitete mit Lochkarten, später mit Elektronik. „Da war ich oft zehn Stunden täglich im Betrieb, um mich einzuarbeiten.“ Als die Umstellung auf Computer anstand, ging Filipsky in Pension. „Die Grundsteinlegung für die neue Druckerei in Korneuburg hab’ ich aber noch erlebt.“

Retz wurde für den Znaimer zur zweiten Heimat

Zu seiner großen Freude fand er nach seiner Rückkehr aus dem Krieg seine beiden Kinder bei Bekannten wohlbehalten wieder, mit seiner zweiten Frau bekam er zwei weitere. „Sie hat nie einen Unterschied gemacht zwischen ihren eigenen Kindern und den beiden anderen.“ Er siedelte sich in Retz an, bloß 15 Kilometer von Znaim entfernt und doch durch einen Eisernen Vorhang voneinander getrennt.

Otto Filipsky Retz 105 Jahre

APA/Wolfgang Huber-Lang

Otto Filipsky hätte sich über eine Landesausstellung gefreut, die in Retz und in Znaim zu sehen gewesen wäre

Gerne hätte er erlebt, dass eine gemeinsame Landesausstellung diese beiden Städte wieder miteinander verbindet. „Leider wird nichts daraus“, bedauert das Ehrenmitglied des Vereins „Retz 2021“, der dieses Projekt vorantrieb. Zu seinem 100er wurde er jedoch vom Znaimer Vizebürgermeister geehrt, und erst vor einem Monat war er mit seinem Sohn wieder in seiner Geburtsstadt.

Otto Filipsky ist ein fürsorglicher Gastgeber. Er geht gebückt, doch er ist immer noch mobil. Auch bei den Heimspielen von Rapid Wien ist er noch hin und wieder mit dabei. „Da bekomme ich Freikarten und sitze in der Ehrenloge“, erzählt der Fan, der stolzer Besitzer einer Kappe von Torwartlegende Walter Zeman ist und auch die alte Pfarrwiese bestens in Erinnerung hat. Wenn er von „Bimbo“ Binder oder Gerhard Hanappi erzählt, wirkt der alte Mann plötzlich ganz jung.

„Früher waren die Leute zufriedener“

Seinen Führerschein machte er erst mit 50, und den blauen Dunst gab der einstige starke Raucher auch erst in der Mitte seines Lebens auf. „Jedem möchte ich sagen: Fangt’s gar nicht erst an! Es ist ein Laster“, erhebt er seine Stimme. Was möchte jemand mit seiner Lebenserfahrung der heutigen Jugend noch mitgeben? Filipsky denkt lange nach.

Dann meint er: „Früher waren die Leute zufriedener als heute. Wir waren viel genügsamer. Ich hab’ mich über jeden neuen Bleistift gefreut. Mein erstes Fahrrad habe ich mir erst von meinem Lehrgeld kaufen können - auf Raten! Heute wollen die Leute immer mehr. Aber sie können sich nichts mitnehmen.“

Wolfgang Huber-Lang, Austria Presse Agentur