„Psychische Gewalt ist immer der Vorreiter“

Die Zahl der Fälle von seelischer Gewalt in der Familie ist im Steigen begriffen. „Psychische Gewalt ist immer der Vorreiter“, sagt die Leiterin des Gewaltschutzzentrums, Michaela Egger. Sie rät Betroffenen, so rasch wie möglich Hilfe zu suchen.

18.860 Menschen wurden österreichweit im Vorjahr Opfer von Gewalt in der Familie. Dabei handelt es sich aber nicht nur um körperliche oder sexuelle Gewalt, sondern zunehmend auch um psychische Gewalt. Wie sich diese äußert, erklärt die Leiterin des Gewaltschutzzentrums Niederösterreich, Michaela Egger, im „Niederösterreich heute“-Interview.

noe.ORF.at: Man spricht von einer enormen Dunkelziffer an betroffenen Frauen. Die Angst vor Konsequenzen spielt eine große Rolle. Wie können Sie den Frauen diese Angst nehmen?

Michaela Egger: Es ist ganz entscheidend, dass die Person, die von Gewalt betroffen ist, Vertrauen zu einer Person hat, wo sie Unterstützung bekommen kann. Einerseits förderlich ist der Freundeskreis, er kann aber auch hemmend sein, wenn es die eigene Familie ist. Grundsätzlich raten wir Personen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, sich an Einrichtungen zu wenden, wo ihnen professionelle Hilfe und Unterstützung angeboten wird.

Michaela Egger Gewaltschutzzentrum

ORF

Die Leiterin des Gewaltschutzzentrums Niederösterreich, Michaela Egger

noe.ORF.at: In vielen Fällen werden Frauen körperlich oder sexuell misshandelt, aber auch seelische Misshandlungen nehmen zu. Wie lässt sich das auch vor Gericht beweisen?

Egger: Das Thema häusliche Gewalt ist ein komplexes Thema und von verschiedenen Gewaltformen geprägt, wie sexualisierte Gewalt oder körperliche Gewalt. Die psychische Gewalt hat es schon immer gegeben, die ist aus meiner Sicht immer der Vorreiter. Wenn ich jemandem jeden Tag erzähle, wie schlecht sie arbeitet, wie schlecht sie zuhause ist, wie schlecht sie ausschaut, macht das krank. Dementsprechend erkennen Personen nicht mehr, dass das nicht stimmt, und lassen diese Gewaltspirale auch zu.

noe.ORF.at: Ist die Angst, diese Gewaltspirale zu durchbrechen, berechtigt?

Egger: Aus unserer Sicht nicht, aber aus der Sicht der Betroffenen natürlich schon. Es hängt viel davon ab: Verliere ich die Kinder, den Freundeskreis, meine Bleibe? Es gibt viele Faktoren, die mitspielen. Und man darf nicht das Naheverhältnis zu dieser Person unterschätzen, gegen die es möglicherweise eine Anzeige gibt wegen den Vorfällen, die im häuslichen Kontext passiert sind.

Das Gespräch mit Michaela Egger führte Thomas Birgfellner, noe.ORF.at

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