„Interview am Samstag“

NR-Wahl: Karas schließt eigene Liste nicht aus

Othmar Karas (ÖVP) verabschiedet sich nach 25 Jahren aus dem EU-Parlament, bei der Wahl am 9. Juni kandidiert er nicht mehr. Gerüchten zufolge könnte er bei der Nationalratswahl im Herbst mit einer eigenen Liste antreten. „Ich schließe nichts aus“, so Karas dazu im Interview.

Mit Karas verliert die ÖVP nicht nur den mit Abstand erfahrensten Abgeordneten, sondern auch einen zunehmend unbequemen parteiinternen Kritiker. Der gebürtige Niederösterreicher hatte nach mehreren Differenzen mit seiner Partei im Oktober angekündigt, nicht mehr bei der EU-Wahl anzutreten. Seine Funktion als Erster Vizepräsident wird er bis zur Wahl im Sommer weiterhin ausüben.

Im „Interview am Samstag“ mit ORF-NÖ-Chefredakteur Benedikt Fuchs kündigte Karas an, sich „mit ganzer Kraft“ in den EU-Wahlkampf einbringen zu wollen und sprach von einer „Richtungsentscheidung für Europa“. Seine eigene politische Zukunft ließ er offen. „Wer mich kennt, weiß, dass ich nur Dinge mache, die einen Sinn machen, wo ich gestalten und die konstruktiven Kräfte parteiübergreifend zusammenführen kann“, sagt der 65-Jährige.

Karas zog 1999 für die Volkspartei ins EU-Parlament ein. Von 2006 bis 2009 sowie von 2011 bis 2019 leitete der gebürtige Ybbser (Bezirk Melk) die ÖVP-Delegation. Im Jänner 2022 wurde er zum Ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments gekürt.

„Werde auch danach politisch aktiv sein“

noe.ORF.at: Herr Karas, seit dem Bekanntwerden, dass Sie für das Europaparlament nicht mehr kandidieren, sind immer wieder Gerüchte im Umlauf, was Othmar Karas in Zukunft tut. Die Nationalratswahl im Herbst rückt immer näher. Wird es eine Liste Othmar Karas geben?

Othmar Karas: Das nächste, das vor uns liegt, ist die Europaparlamentswahl am 9. Juni, die eine Richtungsentscheidung für Europa wird, genauso wie die Wahl des amerikanischen Präsidenten am 5. November. Ich werde mich – wie ich das immer gesagt habe – mit ganzer Kraft in diesen Wahlkampf für die europäische Demokratie, für das Europäische Parlament, die Herausforderungen der Zukunft und die Arbeit der Abgeordneten einbringen. Das ist meine absolute Priorität.

Ich werde auch danach politisch aktiv sein, mich in die Debatten einbringen, weil mir Österreich und Europa ein Anliegen sind, weil ich glaube, dass wir die Politik politisieren, den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern intensivieren müssen, weil wir in einer sehr komplexen Zeit leben, die bedeutet, dass es keine einfache Antwort gibt, vor allem keine nationale. Daher ist mir das Gespräch über die Zukunft mit den Bürgern so wichtig.

Ich appelliere an alle Bürgerinnen und Bürger, sich mit ihren Idealen, Sorgen, Ängsten und Wünschen einzubringen. Ich habe mehrere Möglichkeiten, tätig zu sein – wirtschaftlich und politisch, national oder international.

NR-Wahl: Karas schließt eigene Liste nicht aus

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noe.ORF.at: Politisch gesehen – kann man es ausschließen? Werden Sie antreten?

Karas: Ich schließe heute noch gar nichts aus.

noe.ORF.at: Mit dem Bundespräsidentschaftswahlkampf werden Sie auch immer in Verbindung gebracht.

Karas: Ich habe Ihnen gesagt, dass ich Gerüchte höre. Die, die mich kennen, wissen, dass ich nur Dinge mache, die einen Sinn machen, wo ich gestalten und die konstruktiven Kräfte parteiübergreifend zusammenführen kann. In diesem Sinn werde ich mich weiterhin engagieren.

Othmar Karas im Interview mit Benedikt Fuchs
ORF/Andreas Kotzmann
„Werde mich weiterhin engagieren“: Othmar Karas (r.) im Interview mit ORF-NÖ-Chefredakteur Benedikt Fuchs

noe.ORF.at: Fakt ist, dass Sie letzte Woche Ihre letzte Plenarsitzung im EU-Parlament hatten, auch im Vorsitz. In Ihrer Rede haben Sie unter anderem gesagt: „Kämpfen Sie gegen den dummen Nationalismus“. Haben Sie Angst, dass Europa nach dem 9. Juni nach rechts rückt, so wie auch in Österreich eine FPÖ damit tituliert, die EU zu verkleinern. Haben Sie Angst vor dem Danach?

Karas: Ich mache mir Sorgen über die gesellschaftspolitische Entwicklung in Europa und der Welt, auch in Österreich. Ich mache mir Sorgen und bedauere manchen Umgang der politischen Parteien mit diesen neuen Herausforderungen, mit den Sorgen, Ängsten und Hoffnungen der Menschen, denn es kommt ja sehr viel auf einmal zusammen. Es überfordert auch sehr viele. Wir stoßen an unsere Grenzen, das muss man einfach ehrlich zugeben.

Daher ist die Europaparlamentswahl eine so wichtige Richtungsentscheidung zwischen Stärkung der Demokratie – das heißt, Stärkung der Zusammenarbeit der konstruktiven Kräfte in Europa – und Autokratismus und Schuldzuweisung. Das ist die große Auseinandersetzung: Zusammenarbeit auf demokratischem Boden oder Autokratismus mit Schuldzuweisungen.

noe.ORF.at: Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat zuletzt gefordert, dass die EU entbürokratisiert werden muss, damit man am internationalen Markt wettbewerbsfähig bleibt. Das ist eine Forderung, die man schon seit Jahren kennt. Ist die EU aus Ihrer Sicht noch immer überbürokratisiert?

Karas: Wir haben generell im politischen Leben einen Mangel an Vertrauen und ein Zunehmen an gegenseitigem Misstrauen. Dieser Mangel an Vertrauen und das Zunehmen von Misstrauen führen zu Bürokratie, weil jeder alles regeln will. Wir sollten einander wieder mehr vertrauen, dann gibt es auch weniger Regeln.

Wir sollten dafür Sorge tragen, dass für jede europäische gemeinsame Regel 27 nationale Regeln fallen. Und wir sollten dafür Sorge tragen, dass es keine Doppelberichtspflichten und vor allem kein sogenanntes „Gold Plating“ gibt, wo die Regionen und Nationen auf die europäische gemeinsame Lösung noch etwas draufdoppeln. Daher sind wir alle gefordert.

Das ist aber nur ein Teil der Wettbewerbsfähigkeit. Die Wettbewerbsfähigkeit hängt auch damit zusammen, dass wir unseren Binnenmarkt stärken, ihn zu einer Energieunion ausarbeiten, die Zusammenarbeit in jenen Bereichen stärken, wo wir gesehen haben, dass wir abhängig geworden sind, etwa von Asien oder Amerika: Energie, Sicherheit, medizinische Produkte, Telekommunikation.

Daher bin ich dafür, dass wir der Weltmarktführer für grüne Technologien werden wollen. Das stärkt die Wettbewerbsfähigkeit und den Standort. Hier haben wir viel mehr zu tun, als nur an der Bürokratieschraube zu drehen.

„Müssen Grundrechte der EU stärken“

noe.ORF.at: Innerhalb der ÖVP werden Sie auch immer wieder als parteiinterner Kritiker beschrieben, sind bei der Pressekonferenz, bei der Sie gesagt haben, dass Sie nicht mehr kandidieren, hart ins Gericht gegangen. Sie haben etwa gesagt, Ihnen fehlen die christlich-sozialen Werte in der ÖVP. Was meinen Sie damit konkret?

Karas: Ich glaube, dass alle Richtungsentscheidungen auch Werteentscheidungen sind. Die Politik entwickelt sich zunehmend – das ist nicht die Frage einer Partei – zu einer sehr vereinfachten Ja-Nein-, Gut-Böse-Orientierung und Schuldzuweisungen. Das ist schlecht so.

Wir müssen versuchen, die Grundrechte der Europäische Union zu stärken. Der wichtigste Teil ist der Respekt im Umgang miteinander, die Demokratie, das heißt Freiheit, Friede, Rechtsstaatlichkeit, aber auch Wertorientierung und Faktenbasiertheit. Diese Eigenschaften müssen wir stärken, denn die Vereinfachung stärkt die Extreme und die Zusammenarbeit bringt Lösungen.

noe.ORF.at: Sie blicken auf sehr viele Jahre Europapolitik zurück. Was war Ihr größter Erfolg auf der politischen Bühne in Europa?

Karas: Erfolgreich ist man nie alleine. Gerade als Niederösterreicher war eines meiner Grundmotive für die Arbeit und Beteiligung an Österreichs Weg in die Europäische Union meine Erfahrung mit der „toten Grenze“ im Wald- und Weinviertel, im Burgenland und damit auch im Industrieviertel, wo wir pro Volkszählung zehn Prozent Einbruch bei der Bevölkerungszahl und Abwanderungsraten bei den Jungen von 20, 30 Prozent hatten.

Für mich war es immer wichtig, dass ich einen Beitrag leisten kann, dass Niederösterreich und Österreich vom Rand ins Zentrum rücken und dass wir unseren Beitrag leisten, dass wir die gewaltsame Teilung Niederösterreichs, der Familien Österreichs und Europas überwinden helfen.

Daher war der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, die Erweiterung der Europäischen Union und als Folge die Änderung unserer geopolitischen Lage – Niederösterreich ist jetzt eine Modellregion in Europa, vom Rand ins Zentrum – mein schönster Moment, als die zehn Flaggen vor dem Europaparlament vor 20 Jahren hochgezogen wurden (bei der EU-Erweiterung 2004 traten zehn Länder der EU bei; Anm.) und der frühere Gründer der Solidaren und erste frei gewählte Präsident Polens, Lech Walesa, im Europaparlament sprach.

noe.ORF.at: Bleiben wir bei Niederösterreich, bei Ihrer Heimat. Werden Sie in Zukunft wieder mehr Zeit für Ihre Heimat haben?

Karas: Selbstverständlich. Zuhause bin ich dort, wo ich lebe, wo ich meine Freunde, meine Wurzeln habe. Europa war für mich immer Arbeitsplatz. Aber ich werde weiterhin über den Tellerrand blicken, weil das für die Zukunft Niederösterreichs und Österreichs wichtig ist.

noe.ORF.at: Herr Karas, ich danke Ihnen für das Gespräch.