Liao Yiwu 2011 in Erlangen
Kultur

Liao Yiwu: Vier Jahre Haft für ein Gedicht

Der Schriftsteller Liao Yiwu war Ehrengast des Festivals Literatur im Nebel. In seinem Heimatland China wurde er für seine Literatur bestraft, seit 2011 lebt er im Exil. Radio Niederösterreich bringt am Montag eine einstündige Sendung über den Autor.

Das Interesse war sehr groß, als der 63-jährige Liao Yiwu im Oktober 2021 zu Gast bei Literatur im Nebel in Heidenreichstein (Bezirk Gmünd) war. Der aus China stammende Schriftsteller lebt in Berlin. Der regimekritische Autor war vier Jahre lang in seinem Heimatland inhaftiert, wurde misshandelt, bekam Schreib- und Ausreiseverbot. Seine zahlreichen Bücher wie „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“, „Die Kugel und das Opium“ oder „Gott ist rot. Geschichten aus dem Untergrund“ sind im S.Fischer-Verlag erschienen.

Einer, der „den Entrechteten eine Stimme verleiht“

Der Autor erhielt zahlreiche Literaturpreise, unter anderem 2011 den Geschwister-Scholl-Preis, ein Jahr später den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er sei ein Autor, der „sprachmächtig und unerschrocken gegen die politische Unterdrückung aufbegehrt und den Entrechteten seines Landes eine weithin hörbare Stimme verleiht“, so die Begründung der Jury.

Liao Yiwu 2010 in Köln
„Schreiben ist ein Weg, nach Freiheit zu streben“, so der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu

Doch Chinas Regierung hatte jahrelang versucht, diesem Schriftsteller keine Möglichkeit des Gehörs zu geben. Im Juni 1989, als am Platz des Himmlischen Friedens in Peking Proteste der Bevölkerung gewaltsam niedergeschlagen wurden, veröffentlichte Liao Yiwu das Gedicht „Massaker“. Für dieses Gedicht erhielt er vier Jahre Haft wegen „Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda mit ausländischer Hilfe“.

Das Gefängnis „war meine Ausbildung“

Doch der Autor, der in den 1980er-Jahren zu den wichtigsten jungen Dichtern Chinas gehörte, wurde schon davor verfolgt und schikaniert, weil er ein genauer Beobachter der Entwicklungen in seinem Heimatland China war und ist. Liao Yiwu schreibt präzise und schonungslos. „Bevor ich ins Gefängnis geworfen wurde, war ich ein Dichter, der sich nicht um Politik scherte. Aber nach dem Gefängnis habe ich mich verändert. Das Gefängnis ist meine Ausbildung und Inspirationsquelle meines Schreibens.“ Er schrieb auf, was ihm die Menschen erzählten, und beschrieb, wie menschliche Würde mit Füßen getreten wurde. Er wollte jenen – am Rande der Gesellschaft – eine Stimme geben.

Liao Yiwu bei der Frankfurter Buchmesse 2012
dpa/Arne Dedert
Liao Yiwu bekam zwar von den chinesischen Behörden einen Reisepass, aber keine Ausreisegenehmigung

In dem Buch „Für ein Lied und hundert Lieder. Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen“ beschrieb Liao Yiwu die Jahre 1990 bis 1994, die Zeit, die er in Haft verbrachte. Das Manuskript wurde dreimal beschlagnahmt, jedes Mal schrieb Liao Yiwu den Text neu, in dem es um Hunger, Demütigungen, Folter und seine zwei Suizidversuche geht. Der Autor erhielt dafür 2011 den Geschwister-Scholl-Preis.

2011 gelang Liao Yiwu die Flucht aus China

2011 gelang es Liao Yiwu, aus China zu fliehen, über Vietnam kam er nach Deutschland. Seit damals sind zahlreiche Bücher erschienen, unter anderem „Die Dongdong-Tänzerin und der Sichuan-Koch. Geschichten aus der chinesischen Wirklichkeit“, „Die Wiedergeburt der Ameisen“, „Herr Wang, der Mann, der vor den Panzern stand. Texte aus der chinesischen Wirklichkeit“ und im Jänner 2022 „Wuhan. Dokumentarroman“.

Sendungshinweis

„Radio NÖ spezial: Liao Yiwu zu Gast bei Literatur im Nebel“, Mo, 18.4.2022, 20.04 bis 21.00 Uhr

Bei dem 2006 gegründeten Festival Literatur im Nebel in Heidenreichstein steht in jedem Jahr ein anderer internationaler Autor im Mittelpunkt von Lesungen und Gesprächen. Den Anfang machte Salman Rushdie. Es folgten Amos Oz (2007), Jorge Semprún (2008), Margaret Atwood (2009), Hans Magnus Enzensberger (2010), Nuruddin Farah (2011), Ljudmila Ulitzkaja (2012), Louis Begley (2013), Ian McEwan (2014), Christoph Hein (2015), Swetlana Alexijewitsch (2017), Herta Müller (2018) und J.M. Coetzee (2019). Liao Yiwu war am 8. und 9. Oktober 2021 zu Gast im nördlichen Waldviertel.

Aus den Büchern des Autos lasen u.a. Elisabeth Orth, Sona MacDonald, Marie-Luise Stockinger, Mercedes Echerer, Babett Arens, Cornelia Travnicek, Norman Hacker und Wolfgang Popp. Es gab Gespräche mit den Lektoren und Übersetzern des Autors, die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller sprach über ihren langjährigen Freund Liao Yiwu.