Szenenfoto Sommerspiele Melk Kassandra 2023
Daniela Matejschek
Daniela Matejschek
Kultur

„Kassandra“ in Melk: „Die Welt ist im Umbruch“

Das Theaterfest Niederösterreich beginnt am 14. Juni mit einer Uraufführung. Die Sommerspiele Melk zeigen „Kassandra und die Frauen Trojas“, verfasst von Magda Woitzuck, inszeniert von Christina Gegenbauer. „Die Welt ist im Umbruch“, sagt die Regisseurin.

Die Sommerspiele Melk gehen mit „Kassandra und die Frauen Trojas“ in ihre 63. Saison. Gesetzt wird dabei auf eine Doppelspitze. Die aus Neulengbach stammende Autorin Magda Woitzuck und die aus Herzogenburg stammende Regisseurin Christina Gegenbauer präsentieren eine „moderne Erzählung des antiken Mythos über eine tragische Heldin, die den weiblichen Blick auf eine patriarchale Welt zeigt“.

Für den künstlerischen Leiter Alexander Hauer wird heuer „zusammen mit außergewöhnlich talentierten Frauen ein fesselndes und nicht zuletzt hochaktuelles Stück auf die Bühne“ gebracht. Die Autorin Woitzuck sieht in dem Auftragswerk „Selbstbestimmung und Verantwortung sowie die patriarchale Tradition und das Brechen damit“ thematisiert.

Seit 1961 inszeniert erstmals eine Frau in Melk

Mit Gegenbauer, die u.a. bereits am Wiener Burgtheater inszenierte, ist die Regie nach Angaben der Veranstalter erstmals in der Geschichte der Melker Sommerspiele in weiblicher Hand. Christina Gegenbauer studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Sie inszenierte u.a. am Burgtheater Wien, Staatstheater Nürnberg, Theater Regensburg, Theater Münster, Theater Trier, Theater Detmold und am Theater Bielefeld.

In der Spielzeit 2022/23 arbeitete sie an sieben Theatern im deutschsprachigen Raum. Ihre Inszenierung von Horvaths „Hin und Her“ für das Viertelfestival Niederösterreich 2017 wurde zu den Ruhrfestspielen Recklinghausen eingeladen. 2019 wurde ihr der Kulturpreis des Landes Niederösterreich in der Sparte Darstellende Kunst verliehen. Im Vorjahr wurde sie für ihre Arbeit mit drei Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem nur alle drei Jahre vergebenen Ödön-von-Horvath-Förderpreis.

Christina Gegenbauer
Sommerspiele Melk
Christina Gegenbauer: „Persönlich bevorzuge ich Stoffe, die sich mit unserer Gesellschaft auseinandersetzen.“

noe.ORF.at: Dieser Abend sei die moderne Erzählung eines antiken Mythos, die unsere eigenen Verhaltensmuster und Denkweisen in Frage stellt, heißt es auf der Website der Sommerspiele. Wie ist dieser Satz zu verstehen?

Christina Gegenbauer: Die Figuren laden zur Identifikation ein. Die Zuschauenden können sich selbst fragen, wie sie in einer Situation, in der man selbst oder jemand anderer ungerecht behandelt wird, agieren würden. Wie verhält man sich, wenn die eigene Existenz auf dem Spiel steht? Tritt man für seine Werte auch noch in Krisensituationen ein? Und welche Werte sind das, die zu einem friedlichen Miteinander auf Augenhöhe führen?

noe.ORF.at: Was hat die Autorin mit der Kassandra-Legende gemacht, wie wurde die Geschichte weiterentwickelt? Die Legende war für welchen Plot, den wir dann auf der Bühne sehen werden, die Ausgangssituation?

Gegenbauer: Magda Woitzuck hat die Götterwelt in ihrem Text eliminiert und erzählt eine Familiengeschichte. Die trojanische Königstochter Kassandra stellt die Handlungen ihres Vaters in Frage, welche zu Krieg mit den Griechen führen werden. Der König ist ein misogyner Bilderbuch-Patriarch, der über Leichen geht, um an der Macht zu bleiben.

noe.ORF.at: Ist das Stück ein anderer Blick auf den Trojanischen Krieg? Oder ist jeder Krieg gemeint, wie etwa auch jener gegen die Ukraine?

Gegenbauer: Die Handlung kann auf jede kriegerische Auseinandersetzung übertragen werden. Die Welt, in der die Figuren leben, ist – genau wie unsere heute – im Umbruch: Klimatische Veränderungen, Erdbeben und soziale Spannungen prägen den Alltag. Rücksichtslosigkeit, Machtgelüste und Größenwahn führen zur Eskalation. Eigentlich wäre es möglich, mit den Feinden ein Bündnis einzugehen, wie Kassandra dem König rät, doch dieser negiert ihren Vorschlag.

noe.ORF.at: Kann man mit historischen Stoffen einfacher Probleme und Themen der heutigen Zeit ansprechen?

Gegenbauer: Meiner Meinung ist es nicht einfacher, aber möglich. Zum Glück sind wir in Österreich keiner Zensur unterlegen, in der Handlungen in die Ferne oder längst vergangene Zeiten transferiert werden müssen, um etwas über gegebene politische Verhältnisse auszusagen, wie etwa Christa Wolf es in ihrer „Kassandra“ machen musste.

noe.ORF.at: Die Sommerspiele Melk vergeben immer Stückaufträge, und die Texte und die Themen üben auch jedes Jahr Kritik an Zuständen in unserer Gesellschaft. Muss und soll das Theater die Finger auf die Wunden der Zeit legen?

Gegenbauer: Persönlich bevorzuge ich Stoffe, die sich mit unserer Gesellschaft auseinandersetzen. Wenn Theater mich emotional bewegt, intellektuell anspricht und ein ästhetisches Ereignis bietet, ist es für mich das perfekte Theatererlebnis.

Isabella Knöll als Kassandra 2023 bei den Sommerspielen Melk
Daniela Matejschek
Isabella Knöll ist ab Mittwoch als Kassandra in Magda Woitzucks „Kassandra und die Frauen Trojas“ zu sehen

noe.ORF.at: In einem Interview haben Sie von einem Besuch einer Aufführung der „Nibelungen“ in Melk erzählt, und dass Sie damals – 2006 – sagten, dass Sie hier gerne Regie führen möchten. Ist heuer ein Jugendtraum in Erfüllung gegangen?

Gegenbauer: Kann man so sagen. Hauptsächlich arbeite ich in Deutschland, und das auch sehr gerne. Dennoch genieße ich es sehr, in Österreich meinem Beruf nachgehen zu können – und das dann auch noch in der Wachau, einer meiner Lieblingslandschaften. Die Atmosphäre in der Wachauarena ist besonders schön, die Natur spielt mit. Das Stift Melk thront am Felsen und wird heuer Symbol für den Palast der trojanischen Königsfamilie sein.

noe.ORF.at: Was ist denn das Besondere am Spielort Melk? Oder anders formuliert: Was sind die Herausforderungen, denen sie sich in letzter Zeit in Ihrer Arbeit nicht stellen mussten? Ist Melk schwierig, weil es eine Open-Air-Aufführung ist?

Gegenbauer: Die Wachauarena ist zwar überdacht, aber im Bühnenhintergrund offen, daher ist es bei der Aufführung in der ersten Stunde noch hell. Das spielt für mich bei der Arbeit eine große Rolle, da ich im ersten Teil der Aufführung noch nicht mit Licht Atmosphären schaffen und Fokus setzen kann. Eine weitere Herausforderung ist, dass wir erst in der Nacht Beleuchtungsproben machen – bis die Sonne aufgeht, da wird der Tag-Nacht-Rhythmus auf den Kopf gestellt. Es ist unglaublich, wie schnell die Zeit mit dem hervorragenden Beleuchtungsteam vergangen ist. Es hat mir große Freude bereitet, für die tolle Bühne von Daniel Sommergruber Lichtstimmungen zu kreieren.

noe.ORF.at: Sie waren bis Juni 2019 am Burgtheater, haben dort „Waisen“ von Dennis Kelly inszeniert. Danach machten Sie viele Inszenierungen in Deutschland. War der Weggang für Sie schwierig, als freiberufliche Regisseurin in der Zeit der Pandemie?

Gegenbauer: Zum Glück habe ich bereits vor der Pandemie inszeniert und konnte mir einen Puffer ansparen. Die Zeit der Pandemie war für mich – wie für viele andere auch – sehr herausfordernd. Wenn plötzlich alle Aufträge wegbrechen und man nicht weiß, für wie lange, ist das existentiell und deprimierend.

noe.ORF.at: Im April haben Sie am Landestheater Salzburg inszeniert („Das Gewicht der Ameisen“ von David Paquet) – „Ich habe selten eine so freche Jugendproduktion gesehen“, schrieb eine Kritikerin. Jetzt im Juni Melk, was steht in den kommenden zwölf Monaten auf dem Plan?

Gegenbauer: Jetzt nach der Pandemie ist meine persönliche Auftragslage wieder sehr gut. Ich habe diese Spielzeit sechs Premieren und eine Wiederaufnahme feiern können, und ich bin mit der Produktion „Ich bin Vincent und habe keine Angst“ beim Südwind Festival in München eingeladen. Auch kommende Spielzeit gibt’s ein volles Programm: „Big Guns“ von Nina Segal wird am Theater Plauen Zwickau gezeigt, die Romanadaptierung von Robert Seethalers „Der Trafikant“ am Theater Trier. Dann inszeniere ich meine erste Oper, eine Neukomposition des „Zauberers von Oz“ am Volkstheater Rostock, anschließend geht’s mit „Der Vorfall“ von Deirdre Kinahan am Stadttheater Bremerhaven weiter und das Theater Kiel zeigt meine Inszenierung von „Der Sturz der Kosmonauten und Kometen“ von Marina Skalova.

Christina Gegenbauer Burgtheater 2019
APA/Herbert Neubauer
„Wenn Theater mich emotional bewegt, intellektuell anspricht und ein ästhetisches Ereignis bietet, ist es für mich das perfekte Theatererlebnis“, so Regisseurin Christina Gegenbauer

noe.ORF.at: In Rostock machen Sie also Ihre erste Operninszenierung, „Der Zauberer von Oz“. Eine berühmte Verfilmung, auf der Bühne ein Hit. Sie sind nun die Uraufführungsregisseurin einer Neukomposition dieses Buches, ist das eine besondere Herausforderung?

Gegenbauer: Mittlerweile habe ich mich auf moderne Texte spezialisiert, den Wunsch, auch Oper zu inszenieren, hege ich seit ein paar Jahren. Rhythmus spielt in meinen Inszenierungen eine große Rolle, ich arbeite choreographisch und denke in Bildern. Ich habe schon oft Ur- und deutschsprachige Erstaufführungen inszeniert, deshalb freue ich mich besonders, dass es sich bei der Oper um eine Neukomposition handelt. Für mich ist jede Produktion eine besondere Herausforderung.

noe.ORF.at: Sie haben im Vorjahr für Ihre Arbeit drei Preise bekommen: den Ödön-von-Horvath-Förderpreis, den Förderungspreis für Kunst und Wissenschaft und Kunst der Stadt St. Pölten und den Liese-Prokop-Frauenpreis in der Sparte Kunst, Kultur und Medien. Welche Bedeutung haben diese Preise für Sie persönlich, für Ihre Arbeit?

Gegenbauer: Der Preisregen war echt ein Segen! Für meine Arbeit spielen Preise eine Rolle, da sie überregional Bedeutung haben. Für mich persönlich ist es Bestätigung, dass sich harte Arbeit und stete Weiterentwicklung des künstlerischen Schaffens auszahlen. Eine Prise Glück gehört sicherlich dazu. Ich bin sehr dankbar für die Anerkennung, die mir im letzten Jahr zuteilwurde.

noe.ORF.at: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren? Welche Projekte möchten Sie bis 2033 umgesetzt haben?

Gegenbauer: Weiterhin will ich mich mit spannenden Stoffen auseinandersetzen, die das Publikum bewegen. Inszenieren ist sowohl eine Möglichkeit, mich auszudrücken als auch (m)eine Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft, in der ich/wir lebe(n). Ich mag es, dass Theaterarbeit das Potenzial hat, Impulse für den Diskurs zu setzen. In zehn Jahren würde ich gerne ein Festival oder ein Theater leiten. Ein Programm zusammenzustellen, Menschen zu verknüpfen und junge Kunstschaffende zu fördern, ist mir ein großes Anliegen.