Wenn man Jim Buie fragt, wie viele Einwohner seines Heimatorts Wagram in North Carolina (NC) die Geschichte hinter dem Namen kennen, dann lacht er. „Ich würde sagen, die meisten wissen es nicht“, meint der Hobbyhistoriker: „Die meisten wissen vermutlich nicht mal, wer Napoleon war.“
Sendungshinweis
„NÖ heute“, 23.2.2024
Im Bezirk Scottland County, ganz im Süden des US-Bundesstaats North Carolina, liegt „Town of Wagram“, eine Stadtgemeinde mit rund 840 Einwohnerinnen und Einwohnern. Ein dichter Wald mit einem idyllischen Fluss umgibt jenen Ort, der bis heute einen niederösterreichischen Namen trägt.
Die Geschichte hinter dem Namen ist skurril, und sie beginnt im Juli 1809. Napoleon Bonaparte ist im Begriff Europa zu erobern, in der Schlacht bei Deutsch-Wagram beschert er den österreichischen Streitkräften eine empfindliche Niederlage. Das Scharmützel geht als eines der bis dato blutigsten in die Geschichte ein, und sollte Generationen faszinieren. So auch einen US-amerikanischen Lokführer namens William Fitzhugh Williams, genannt „Puff Puff“, Jahrzehnte später.
Lokführer „Puff Puff“ als Napoleon-Experte
„Das war etwa vor 120 Jahren“, erzählt Jim Buie aus Wagram NC im Interview mit noe.ORF.at. Auf der lokalen Bahnlinie wurde damals Baumwolle vom Land in die Marktzentren transportiert, „Puff Puff“ Williams war einer der die Strecke häufig fuhr. „Williams kam hier ständig vorbei und träumte davon, dass sich die Orte an der Bahnlinie entwickeln würden“, erzählt Buie.
Williams sei aber nicht nur Zugführer gewesen, sondern auch Experte für Napoleonische Geschichte, erklärt Buie. „In seiner Freizeit las er Biographien über Napoleon.“ Darunter auch die Bände „The Life of Napoleon Bonaparte“ von John S. C. Abbott, erschienen 1855. Sie befinden sich heute in Privatbesitz, Williams Name findet sich handschriftlich vermerkt auf einer der ersten Seiten des Buchs.
Williams soll von der Geschichte um Napoleons Schlacht von Deutsch-Wagram so ergriffen gewesen sein, dass er jenen Weiler, bei dem seine Dampflokomotive Wasser tankte, „Wagram“ taufte, so erklärt es Heimatforscher Buie. Ungeklärt bleibt jedoch, woher der Lokführer die Autorität für sich beanspruchte, das Örtchen benennen zu können.
Wagram NC blüht durch Bahnlinie auf
Historisch gesichert ist, dass sich der Name durchsetzte und 1911 offiziell anerkannt wurde. Wagram blühte durch den Anschluss an die Bahnlinie auf. Zeugnis davon liefert die Lokalzeitung „The Robesonian“, die im Oktober 1910 schreibt: „Letztes Jahr (Anm. 1909) gab es nur zwei Läden in Wagram, heute sind es neun, davon sind fünf Backsteingebäude.“
Die Backsteinhäuser prägen noch heute das Stadtbild von Wagram, NC. Ähnlich wie Deutsch-Wagram ist Wagram NC ein Straßendorf an einer Bahnlinie. Seit 1970 habe sich die Bevölkerung verdoppelt, erzählt Buie. Er rechnet damit, dass sie sich in 20 Jahren noch einmal verdoppeln könnte.
„Obwohl Wagram NC ziemlich provinziell ist, was die Natur angeht, das Gemeinschaftsgefühl ist herzerwärmend“, beschreibt die Wagramerin Mary Wayne Watson ihren Ort heute. Die Einwohnerinnen und Einwohner stammten von schottischen und afro-amerikanischen Einwanderern, sowie von den amerikanischen Ureinwohnerinnen ab, meint Watson: „Die Kultur ist eine Mischung.“
Interesse in Paris entfacht
Über die Beziehung zu Niederösterreich wüssten heute nur wenige Bescheid, meint Heimatforscher Buie. Er selbst entdeckte die Geschichte als Schüler durch Zufall in Paris. Während einer Klassenfahrt stieß die Klasse auf die Pariser Prachtstraße „Avenue du Wagram“. Sie erinnert ebenfalls an die Schlacht bei Deutsch-Wagram. „Das hat mein Interesse entfacht“, erzählt Buie.
Niederösterreichische Ortsnamen in aller Welt
Manche Weltregionen sind durch verrückte historische Fügungen miteinander verbunden. Was hat zum Beispiel der Süden North Carolinas mit Deutsch-Wagram zu tun? Oder was eine Insel im russischen Eismeer mit Wiener Neustadt? Unser Wissenschaftsredakteur Tobias Mayr hat recherchiert und nimmt uns mit auf eine Reise um die Welt.
Umgekehrt war die Existenz von Wagram NC auch im Rathaus von Deutsch-Wagram bislang unbekannt. Man höre von der Zwillingsgemeinde in North Carolina zum ersten Mal, ließ Kulturstadtrat Franz Spehn (ÖVP) auf Anfrage ausrichten. Und betont: Er freue sich auf neue Erkenntnisse.