Mit 237 Quadratkilometern ist die Wiener-Neustadt-Insel eine der kleineren Inseln des Franz-Josef-Archipels. Auf ihr erhebt sich der höchste Berg, Peak Parnass, mit 620 Metern. Die Insel ist fast zur Gänze vergletschert. Bewohnbar ist sie nur für Eisbären.
Dieser Anblick aus Eis und Schnee eröffnete sich auch Julius Payer, als er im Frühjahr 1874 die Wiener-Neustadt-Insel erstmals betrat und kartografierte. Payer, Kommandant zu Land, war für die Entdeckungsexpeditionen zuständig. Gemeinsam mit dem Kommandanten zur See, Carl Weyprecht, leitete Payer die k.u.k.-Nordpolexpedition.
Eingeschlossen im Packeis
Ziel dieser Mission war es, eine eisfreie Route durch das Polarmeer bis nach Asien zu finden, die dazumal sagenumwobene Nordostpassage. „Es gab damals die Meinung von vielen Wissenschaftlern, allen voran vom deutschen Geographen August Petermann, dass möglicherweise durch den warmen Golfstrom dieser Nordpolarbereich eisfrei wäre“, erklärt Petra Svatek, Wissenschaftshistorikerin an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Doch die Unternehmung ging schief, das Forschungsschiff Admiral Tegethoff blieb bereits im August 1872, gut zwei Monate nach Expeditionsbeginn, im Packeis stecken. Die Tegethoff fror ein und driftete entlang der Meeresströmung langsam Richtung Norden. Für die Besatzung sollten es zwei lange Jahre im ewigen Eis werden.
„Land, Land, endlich Land!“
„Auch im Sommer kamen die Temperaturen nicht über null Grad“, sagt Svatek. Dazu wurden Nebel, Wind, Dunkelheit und einseitige Ernährung für die Mannschaft zur Zerreißprobe. Schließlich, am 30. August 1873, als auch im Sommer das Packeis nicht aufgetaut war, erklang schließlich der Ruf: „Land, Land, endlich Land!“. Kaiser-Franz-Josef-Land war entdeckt.
Doch es dauerte einen weiteren Herbst und Winter bis Julius Payer das neuentdeckte Land endlich per Hundeschlitten erkunden konnte. In umfassender Genauigkeit fertigte er erste Karten an und vergab Namen an die Kaps, Gletscher und Erhebungen, die er sah. Die Insel mit dem höchsten Berg nannte er Wiener-Neustadt-Insel.
Hinweis in der Fußnote
Den Grund dahinter erläuterte Payer später in einer knappen Fußnote seiner Memoiren, die sich heute im Bestand der Österreichischen Akademie der Wissenschaften befindet. „Der Militär-Akademie von Wiener Neustadt verdanke ich meine Ausbildung“ schreibt Payer. „Er hatte eine enge Verbindung zu Wiener Neustadt“, erklärt Svatek. Zunächst habe er an der Militärakademie gelernt, später sei er sogar einige Jahre als Lektor für Geschichte und Geographie tätig gewesen, erklärt die Wissenschaftshistorikerin.
Einen weiteren Wiener-Neustadt-Bezug weist auch der nördlichste Punkt des Archipels auf, den Payer Kap Fligely nannte. Der österreichische Kartograph August von Fligely (1810-1879) war ebenfalls Zögling der Militärakademie Wiener Neustadt gewesen und wurde später Payers Vorgesetzter am Militär-Geographischen Institut in Wien. „Zu seinen Ehren hat Julius Payer dann dieses Kap nach seinem Chef benannt“, erklärt Svatek.
Name wurde nie geändert
Seit 1926 gehört der gesamte Archipel zu Russland, jahrelang war er Sperrgebiet und Militärstützpunkt. Heute kann man das Land nur mit Sondergenehmigung betreten. Warum Russland die Insel nie umbenannt hat, darüber könne man nur Mutmaßungen anstellen, meint Svatek: „Ich denke, dass sie einfach für Russland nicht so eine große Bedeutung hat, weil man aufgrund dieser widrigen Witterungsverhältnisse dort wirklich nicht irgendwelche dauerhaften Kolonien gründen kann“, glaubt die Wissenschaftshistorikerin.
Im Frühsommer 1874 leuchtete schließlich auch Payer ein, dass er sich den widrigen Lebensbedingungen der Inselgruppe geschlagen geben muss. Die Crew ließ das festgefrorene Schiff zurück und zog mit Booten und Schlitten solange nach Süden, bis sie das eisfreie Meer erreichte. Russische Fischerboote nahmen die Besatzung schließlich an Bord.
Sendungshinweis
„NÖ heute“, 12.2.2024
Am 25. September 1874 erreichten 23 Besatzungsmitglieder schließlich Wien, nur einer überlebte die zwei Jahre im Eis nicht. „Der Empfang war triumphal“, meint Svatek, auch wenn die Nordostpassage nicht gefunden wurde. „Aber man wusste nun, dass es tatsächlich keinen eisfreien Weg in so hohen Breiten gibt, die Expedition war auch irgendwie ein Erfolg.“ Bis heute erinnert daran unter anderem der niederösterreichische Name einer russischen Insel im Nordpolarmeer.