14 Kilometer lang führt die Neunkirchner Allee durch das Steinfeld. Abgesehen von einem Kreisverkehr, der Anfang der 2000er Jahre ergänzt wurde, verläuft die Straße ohne eine einzige Kurve schnurgerade aus. Was wie ein Kunststück der Verkehrsplanung anmutet, ist in Wirklichkeit der Ursprung für die erste exakte zusammenhängende Karte des Habsburgerreichs.
Bevor die Neunkirchner Allee zur Straße wurde, diente sie als Vermessungsgrundlinie. Ihre Geschichte beginnt im Jahr 1759. Das Österreichische Kaiserreich befindet sich in den Wirren des Siebenjährigen Krieges (1756-1763), das militärische Vorgehen wird immer wieder durch das Fehlen exakter, zusammenhängender Karten behindert.
Orientierungslos im Krieg
„Vor allem an den Randgebieten der Provinzen war es relativ schwierig, da die Größenverhältnisse zwischen Natur und Karte nicht übereinstimmten“, erklärt Franz Blauensteiner vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen (BEV). Kaiserin Maria Theresia beauftragte deshalb 1759 den Grazer Jesuitenpater, Mathematiker und Astronomen Joseph Liesganig mit der Erstellung einer ersten umfassenden Karte.
Joseph Liesganig (1719-1799) war in den 1750er Jahren Leiter der Wiener Sternwarte geworden, und damit in einer prädestinierten Position für sämtliche vermessungstechnischen Fragen jener Zeit. „Er war ein Pionier“, sagt Blauensteiner, der mathematische Modelle geschickt zu nutzen wusste, um damit weite Strecken zu vermessen.
Dreiecke als Grundlage für die Karte
Das mathematische Werkzeug war für Liesganig die Triangulation, sprich die Einteilung von Flächen in kleine Dreiecke. Ausgangsbasis ist ein „Ur-Dreieck“, dessen Maße bekannt sein müssen. Um die erste Seite dieses Ur-Dreiecks zu vermessen, ließ Liesganig im Steinfeld eine sogenannte Grundlinie abholzen. Zwischen Wiener Neustadt und Neunkirchen lies Liesganig auf einer schnurgeraden Strecke Bäume fällen, anschließend maß er die ermittelte Länge mithilfe von hölzernen Klaftern.
Ein Klafter entsprach etwa zwei Metern. „Die Hauptaufgabe war nun, diese Holzlatten sukzessive aneinander zu reihen und das natürlich mit höchster Präzision“, schildert Blauensteiner. Ungefähr 250 Meter pro Tag konnte Liesganig so vermessen, inklusive einer Kontrollmessung brauchte er rund drei Monate.
Messfehler von nur zehn Zentimetern
Liesganig gelang das Unterfangen mit unglaublicher Präzision. Auf den insgesamt 12,1 Kilometern vermaß er sich lediglich um zehn Zentimeter gegenüber heutigen Messungen. Nach dem diese Wiener Neustädter Grundlinie bekannt war, suchte sich Liesganig einen dritten Punkt, der von den beiden Enden aus sichtbar war, zum Beispiel einen Berggipfel oder einen Kirchturm. So bildete Liesganig ein Dreieck.
Bekannt war nun die Länge einer Dreiecksseite sowie die beiden Winkel zum dritten Punkt. Mit diesen Werten lassen sich die beiden weiteren Dreiecksseiten einfach berechnen. Das „Ur-Dreieck“ war geschaffen.
„Ausgehend von diesem ersten Dreieck wurden dann immer weiter Dreiecke gebildet. Das geht so lange, bis die ganze Fläche der Monarchie in Dreiecke aufgeteilt ist“, schildert Blauensteiner. Dabei bildet je ein bekanntes Dreieck die Grundlage für ein neues Dreieck.
Jagd nach dem Geschwindigkeitsrekord
Wann aus der Wiener Neustädter Grundlinie die Neunkirchner Allee wurde, lässt sich heute nur mehr schwer nachvollziehen. Als wahrscheinlich gilt, dass die abgeholzte Trasse schon rasch nachdem sie von Liesganig nicht mehr benutzt wurde, zum praktischen Verkehrsweg zwischen Wiener Neustadt und Neunkirchen wurde.
Die einzigartige Geradlinigkeit dieser Straße blieb auch den Pionieren des Motorsports nicht verborgen. In den 1930er Jahren lockten die sogenannten Kilometer-Rennen tausende Zuseher auf die Neunkirchner Allee, die den Wettbewerben um die höchste Geschwindigkeit beiwohnen wollten.
Sechs Weltrekorde
Vor 15.000 Personen stellte am 20. April 1931 der Münchner Ernst Henne auf seiner BMW-Maschine hier sechs internationale Geschwindigkeitsrekorde auf. Mit der Höchstgeschwindigkeit von 238 km/h unterbot er den damaligen Geschwindigkeitsweltrekord des Briten J. S. Wright im Steinfeld nur um 4 km/h.
Henne zog die Neunkirchner Allee den Rennstrecken seiner Münchner Heimat vor. Dem Sportmagazin „Motorrad“ berichtete er 1931: „Die 55 km von Wien entfernt liegende Strecke ist im Vergleich zur Münchener etwas besser, wenn sie auch in den zwei Jahren etwas gelitten hat und teilweise Wellen und Unebenheiten aufweist“, so Henne. „Dazu kommt, dass sie links und rechts gleichmäßig von Wald flankiert ist und so störende Seitenwinde verhindert.“