Arzt beim Abhören eines Patienten
APA/HELMUT FOHRINGER
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Gesundheit

Verzweifeltes Suchen nach Lösungen für Ärztemangel

In Groß-Siegharts (Bezirk Waidhofen an der Thaya) gibt es ab Oktober keinen Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag. Viele Patienten sind deshalb verzweifelt. Eine konkrete Lösung für das Problem ist nicht in Sicht. Der Landärztemangel könnte in Zukunft weitere Gemeinden treffen.

Vor sieben Jahren erlitt Werner Philipp aus Dietmanns (Bezirk Waidhofen an der Thaya) einen Herzinfarkt, verlor seine Mobilität und ist seither pflegebedürftig. Im Alltag unterstützen ihn eine 24-Stunden-Pflegerin und seine Ehefrau. Zum Blutabnehmen ist er jedoch auf einen Hausarzt angewiesen, der bisher aus der Nachbargemeinde Groß-Siegharts kam, erzählt seine Gattin Elisabeth Philipp: „Auch für die Verschreibung von Medikamenten oder Therapie braucht man einen Hausarzt. Wo geh ich dann hin?“

Elisabeth Philipp sei zwar noch mobil, „aber wer weiß, wie lange noch, ich bin selbst Krebspatientin.“ Wie es ab Oktober ohne Kassenarzt weitergehen könnte, ist offen. Philipp ist verzweifelt, denn einen Wahlarzt kann sie sich nicht leisten: „Ich zahle jetzt schon eine 24-Stunden-Pflege, Ergotherapie, Physiotherapie, die Medikamente sind auch nicht billig. Wenn ich den Arzt auch noch bezahlen muss, müsste ich meinen Gatten in ein Pflegeheim geben, es gibt keine andere Möglichkeit.“

Lösung wartet angeblich „in der Schublade“

Philipp fühlt sich auch von der Gebietskrankenkasse und der Ärztekammer im Stich gelassen. Immerhin stellte ihr eine Mitarbeiterin der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK) in einem persönlichen Gespräch am Montag eine Lösung in Aussicht. „Die Dame hat mir gesagt, dass man für unser Problem eine Lösung in der Schublade habe, aber sie schaffen es nicht, diese umzusetzen. Also frage ich mich, woran das liegt?“

Ärztemangel Groß-Siegharts NÖGKK
ORF
Elisabeth Philipp hofft, dass ihr Mann weiter zu Hause leben kann und nicht ins Pflegeheim muss

Bei der NÖGKK kann man die Verunsicherung nachvollziehen. Lösen will man das Problem – neben generell höheren Ärztehonoraren – mit dem Modell von Job-Sharing-Gruppenpraxen, erklärt NÖGKK-Direktor Günter Steindl: „Die dienen dazu, dass Jungärzte nicht das unternehmerische Risiko eingehen müssen und als Spitalsärzte nebenbei gemeinsam eine Kassenstelle übernehmen.“ Dieses Modell wolle man auch in Groß-Siegharts umsetzen. Dafür ist aber laut Steindl die Zustimmung der Ärztekammer notwendig.

Generell sei man für neue Ideen zugunsten der Patienten immer offen, gleichzeitig verweist Steindl aber auch darauf, dass 24 offenen Kassenstellen 1.900 Ärztinnen und Ärzte gegenüberstehen, die unter Vertrag stehen. „Das sind so viele wie noch nie in der Zweiten Republik. Aber natürlich ist jede offenen Kassenstelle eine zuviel, denn den Patienten vor Ort ohne Kassenarzt hilft diese positive Bilanz nicht.“ Das Ziel sei daher, dass jeder Patient weiterhin seinen Hausarzt habe.

Situation laut Ärztekammer „absehbar“

Die Ärztekammer Niederösterreich unterstütze neue Modelle, weist aber darauf hin, dass die Situation absehbar gewesen sei. Die Politik hätte viel früher reagieren und die Ausbildung zum Allgemeinmediziner fördern müssen. Immerhin wurde eine von drei Kassenstellen in Groß-Siegharts bereits 42 Mal ausgeschrieben.

Für solche Fälle kündigte das Land im Vorjahr die Landarztgarantie an. Das heißt, dass Allgemeinmediziner aus den Landeskliniken einspringen, sofern die Gemeinde eine passende Ordination zur Verfügung stellt, schildert Markus Klamminger, medizinischer Geschäftsführer der Landeskliniken-Holding: „Wir sind im Auftrag des Landes bereits mit Groß-Siegharts und der Krankenkasse im Gespräch, um im Rahmen der Landarztgarantie eine rasche Lösung zu finden.“

Patientenanwalt Bachinger ortet Versäumnisse

Auch für Patientenanwalt Gerald Bachinger sei die Situation absehbar gewesen. Er kritisiert sowohl die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse als auch der Ärztekammer Niederösterreich. Er ist der Ansicht, dass von beiden Vertragspartnern zu spät reagiert wurde. Außerdem geht er davon aus, dass die Situation wie in Groß-Siegharts künftig auch andere Gemeinden betreffen könnten. Da in den nächsten zehn Jahren etwa 40 bis 50 Prozent der Kassenmedizinerinnen und Kassenmediziner in Pension gehen und keine ausreichenden Alternativszenarien vorliegen würden, fordert er ein allgemeines Umdenken.

„Ich glaube, dass wir die bestehenden Systeme zwar weiterfahren müssen, aber gleichzeitig völlig neue und alternative Modelle anbieten müssen. In Groß-Siegharts etwa sind drei Kassenstellen gleichzeitig frei. Hier wäre es sinnvoll, diese zusammenzuziehen und ein Gesundheitszentrum zu machen, am besten in Zusammenarbeit mit dem nahegelegenen Krankenhaus Waidhofen an der Thaya.“ Dadurch würden sich Synergien sowohl beim Personal als auch bei Geräten sowie beim Austausch von Gesundheitsinformationen ergeben. Er rät dazu, Regionen mit einer großen vorherrschenden Verunsicherung aufgrund von nicht besetzten Kassenstellen bewusst zu nützen, um innovative Pilotprojekte zu starten. Speziell mit flexiblen Lösungen könne es gelingen, auch für junge Ärztinnen und Ärzte wieder attraktive Angebote zu setzen.

Darauf hofft auch Elisabeth Philipp, die sich wünscht, dass ihr Mann weiterhin in den eigenen vier Wänden leben kann: „Er war bereits einige Male in Pflege, aber da muss er immer viel mehr Medikamente als zu Hause nehmen, weil es dort erforderlich ist, ihn gewissermaßen ruhigzustellen. Daheim hat er sein Zimmer und kennt sich aus, da ist er generell viel ruhiger.“