Chronik

Erstes „Haus des Lebens“ ausgezeichnet

Die Internationale Raoul Wallenberg Stiftung hat mit dem SOS-Kinderdorf in Hinterbrühl (Bezirk Mödling) erstmals ein „Haus des Lebens“ in Österreich ausgezeichnet. Dieses sei schon während der NS-Zeit ein Ort der Hilfsbereitschaft gewesen.

Schon während der NS-Zeit versteckte Karl Motesiczky jüdische Familien auf dem damaligen Familienanwesen in der Hinterbrühl und verhalf ihnen zur weiteren Flucht, also etliche Jahre bevor das Kinderdorf überhaupt gegründet wurde. Nach dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich 1938 ging Karl Motesiczky mit einigen Freunden aktiv in den Widerstand, unter anderem mit dem befreundeten Ehepaar Ella und Kurt Lingens.

In einem Interview im Jahr 1993 sagte Ella Lingens (1908-2002) über diese Zeit: „Dann haben wir uns gesagt, wirklich sinnvoll, um dafür auch ein Risiko einzugehen, ist, dass man versucht, Menschen zu helfen, die vom Regime verfolgt werden. Und das waren natürlich in erster Linie Juden.“

Die Fluchthelfer wurden von einem Spitzel verraten

In der Hinterbrühler Villa Todesco der Motesiczkys, die mittlerweile abgerissen wurde, aber auch in einem im Kinderdorf noch immer existierenden Haus, dem damaligen „Schweizerhaus“, wurden jüdische Familien versteckt. Als man einer dieser Familien zur Flucht in die Schweiz helfen wollte, wurde die Gruppe von einem Gestapospitzel verraten.

SOS Kinderdorf
ORF
Im damaligen „Schweizerhaus“ wurden jüdische Familien versteckt

Karl Motesiczky und auch Ella Lingens wurden verhaftet und in das berüchtigte Gestapo-Hauptquartier am Wiener Morzinplatz gebracht. Von dort wurde Motesiczky einige Wochen später ins KZ Auschwitz transportiert, wo er 1943 vermutlich an Typhus verstorben ist.

Und genau in jenem Haus in der Hinterbrühl, wo Karl Motesiczky einst auch mit der Familie Lingens wohnte und wo man Juden versteckte, wurde jetzt sein Engagement gewürdigt. Es gab nicht viele Menschen, die so Widerstand geleistet haben, sagt die israelische Botschafterin in Österreich, Talya Lador-Fresher: „Aber jene, die es getan haben, denen gebührt unser ganzer Respekt. Sie können für uns auch heute noch Vorbilder sein.“

SOS-Kinderdorf ist „Haus des Lebens“

Die Internationale Raoul Wallenberg Stiftung hat am Mittwoch das SOS-Kinderdorf in der Hinterbrühl zum „Haus des Lebens“ ernannt.

Mehr als 500 Orte zeichnete die Internationale Raoul Wallenberg Stiftung bisher mit dem Titel „Haus des Lebens“ aus. Diese Ehrung sei allerdings die erste in Österreich, sagte Danny Rainer, Vizepräsident der Internationalen Raoul Wallenberg Stiftung: „Unsere Hauptaufgabe ist es, das Vermächtnis jener hochzuhalten, die Juden vor dem Holocaust gerettet haben.“ Raoul Wallenberg (1912-1952) war ein schwedischer Diplomat. Bekanntheit erlangte er durch seinen Einsatz zur Rettung ungarischer Juden während des Holocausts.

Lingens: „Schön, dass das Haus dem guten Zweck dient“

Bei der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel am Mittwochnachmittag wurde besonders hervorgehoben, dass dieses Haus ein Haus der Menschlichkeit geblieben sei. Die für Soziale Verwaltung zuständige Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) sah damit einen Kreis geschlossen, damals wie heute würde geholfen. Auch die Aufsichtsratsvorsitzende der SOS Kinderdörfer, Irene Szimak, nannte Parallelen zwischen Karl Motesiczky und dem späteren Gründer des SOS-Kinderdorfes, Hermann Gmeiner. „Was die beiden verbindet, ist, dass sie geholfen haben, ohne jede Bedingung. Es war sozusagen eine bedingungslose Unterstützung, und in dieser Hinsicht sind sie aus ähnlichem Holz geschnitzt gewesen“, so Szimak.

Sichtlich gerührt vom Festakt war der Sohn der ehemaligen Widerstandskämpferin Ella Lingens, der Journalist Peter Michael Lingens. Er hatte als Kleinkind noch in diesem Haus gewohnt und erlebte auch mit, wie seine Mutter damals verhaftet wurde. „Ich freue mich, dass das Haus auch jetzt noch einem so guten Zweck dient, dass es als Haus des Lebens der Therapie von Kindern dient. Das ist schön“, sagte der 80-Jährige mit Tränen in den Augen. Das SOS-Kinderdorf Hinterbrühl trägt seit Mittwoch also auch den Titel „Haus des Lebens“ und beherbergt mehr als 100 Kinder und Jugendliche.