Peter Turrini 2014
APA/Gert Eggenberger
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Kultur

Peter Turrini wird 75

Seinen Lebenstraum wird er sich wohl nicht erfüllen können: „Ein Tag Präsident und drei Tage Papst“, habe der gelautet, sagt Peter Turrini im Gesprächsbuch mit Erwin Pröll. Am Donnerstag wird der im Weinviertel lebende Autor 75 Jahre alt.

Wer nun meint, ein Leben lang Dichter sei aber auch nicht schlecht, den weist Peter Turrini gerne darauf hin, dass dies kein Honigschlecken sei, sondern harte Arbeit und ständige Angst. „Schriftsteller sind Ausdenker, Fantasierer, Lügner und keine Kopisten des wirklichen Lebens. Es geht nicht um die biografische Wahrheit, sondern – wenn es gelingt – um Wahrhaftigkeit“, sagt Turrini. Sie scheint besonders im Mittelpunkt zu stehen, wenn der Autor aus Anlass seines kommenden Geburtstags an sein Leben zurückdenkt.

Der Lebensweg des 1944 in St. Margarethen (Kärnten) als Sohn eines italienischen Kunsttischlers und eines steirischen Kindermädchens Geborenen, der in Maria Saal aufwuchs und in Klagenfurt Hauptschule und Handelsakademie besuchte, war keineswegs vorgezeichnet. Als Sohn eines Ausländers und als dicker Bub empfand er sich gleich zweifach als Außenseiter. Dass er durch das Ehepaar Gerhard und Maja Lampersberg schon als Jugendlicher am Tonhof mit Kunst und Künstlern, Literatur und Literaten in Berührung kam, „war ein Geschenk für mein Leben“, sagt Turrini. Für die Eltern war diese Flucht in eine andere Welt allerdings keineswegs leicht.

„Ich bin am Ziel, am Theater“

Nach Schule und Bundesheer verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst unter anderem als Schreibmaschinenvertreter für Olivetti und Texter und Kampagnenorganisator der US-Werbeagentur Walter J. Thompson. „1967 ergriff Turrini die Flucht aus dem werktätigen Dasein und machte sich auf den Weg in die berüchtigte Hippiekolonie in Lindos auf der griechischen Insel Rhodos“, heißt es in der eben erschienenen und von Christine Rigler verfassten Biografie. „Er war nun endlich beim Schreiben, zumindest ein paar Monate lang.“

Peter Turrini
Astrid Bartl
Peter Turrini: „Schriftsteller sind Ausdenker, Fantasierer, Lügner und keine Kopisten des wirklichen Lebens“

Dort entsteht sein erstes Stück „Rozznjogd“, mit dem er das Lebensgefühl seiner Generation traf. Die Uraufführung am 27. Jänner 1971 im Wiener Volkstheater mit Franz Morak und Dolores Schmidinger macht den jungen Autor schlagartig bekannt. „Die Leute schreien, applaudieren, pfeifen. Ich stehe da oben, schaue in diesen Hexenkessel und weiß nicht, was ich tun soll“, beschreibt Turrini den Tumult beim Schlussapplaus seiner ersten Premiere. „Von der Seitengasse schreit der Regisseur, ich solle endlich abgehen, aber ich stehe da und rühre mich nicht. Ich bin am Ziel, am Theater.“

Seither packte der Dramatiker ohne Unterlass Erfindung und Vorfindung, Dichtung und soziales Gewissen in Stücke. „Offensichtlich halte ich die Welt nicht aus, ohne sie in Theaterfantasien zu verwandeln“, sagt er. Stücke wie „Sauschlachten“ (1972), „Josef und Maria“ (1980), „Die Minderleister“ (1988) oder „Alpenglühen“ (1993) wurden Fixpunkte des deutschsprachigen Repertoires, andere sorgten kurzzeitig für Erregung.

„Was uns bedroht, sind die Arschlöcher“

Am glücklichsten ist der Theaterdichter, wenn er Regisseure und Direktoren an seiner Seite weiß. Claus Peymann war ihm lange sein wichtigster Mitkämpfer für eine gemeinsame Sache, Matthias Hartmann eröffnete 2000 seine Bochumer Intendanz mit dem Auftragswerk „Die Eröffnung“, 2006 startete Herbert Föttinger seine Direktion am Theater in der Josefstadt mit der Uraufführung von Turrinis „Mein Nestroy“. Auch Turrinis neuestes, soeben fertig gewordenes Stück „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ ist an den Kammerspielen der Josefstadt angekündigt und soll dort im April 2020 uraufgeführt werden. Die Werkübersicht der neuen Biografie umfasst 35 „zentrale“ Bühnenwerke Turrinis.

Peter Turrini, 2016
APA/Herbert Neubauer
Im April 2020 wird es zwei Turrini-Uraufführungen geben: Das neue Stück „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ und die Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“, komponiert von Johanna Doderer

Doch es gibt eine Phase seines Lebens, in welcher der Dramatiker dem Theater untreu wird. „Das Fernsehen ist das einzige Medium, das wirklich Massen erreicht“, erkennt er, der soziales Bewusstsein schaffen und Veränderung anstoßen will. Gemeinsam mit dem Autor Wilhelm Pevny und dem Regisseur Dieter Berner erarbeitete er ein Konzept für eine Serie, die Fernsehgeschichte schrieb: die „Alpensaga“ (1974-79). „Wir wollten das Bild des Bauernstandes und sein mediales Erscheinungsbild von Grund auf verändern.“ Das gelang dem Trio. Heftige Proteste begleiteten die Dreharbeiten und die Ausstrahlung. Auch die später daran anschließende „Arbeitersaga“ (gemeinsam mit Rudi Palla, 1984-90) führte zu lebhaften Debatten.

Diese Debatten befeuert er auch immer wieder aktiv. Mit Essays und Reden schaltet er sich ins politische Geschehen ein. Aufsehen erregende Reden hielt er etwa 1986 in der Anti-Waldheim-Bewegung (der er auch die Idee zu dem von Alfred Hrdlicka entworfenen und heute im Haus der Geschichte Österreich stehenden Holzpferdes lieferte) am Stephansplatz, 1995 anlässlich der 50-Jahr-Feier der Zweiten Republik am Heldenplatz, wo er kurz nach dem Attentat auf Roma in Oberwart Österreich eine „Mörderrepublik“ nannte, und 2018 im SPÖ-Parlamentsklub , wo er seinem Zorn über die politische Gegenwart Ausdruck verlieh: „Was uns bedroht, sind nicht die Ozonlöcher, sondern die Arschlöcher.“

„Ich bin ein Dramatiker und nichts anderes“

1999 begann mit der Uraufführung von Gerd Kührs Oper „Tod und Teufel“ zu Turrinis Stück eine Beziehung zum Musiktheater, die 2002 an die Staatsoper führte: Zu „Der Riese vom Steinfeld“ schrieb Friedrich Cerha die Musik. Fertig ist auch das Libretto für eine Oper von Johanna Doderer: „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ soll im April 2020 am Gärtnerplatztheater in München uraufgeführt werden.

Turrini schrieb auch Drehbücher und Hörspiele, betätigte sich als Schauspieler, nahm Tonträger auf und führte Regie. Von ihm erschienen auch Gedicht- und Essaybände, die Novelle „Die Verhaftung des Johann Nepomuk Nestroy“ (1998) und die Kinderbücher „Was macht man, wenn… Ratschläge für den kleinen Mann“ (2009) und „Manchmal ist ein Fasan eine Ente“ (2013). Elisabeth Scharang drehte 2009 „Vielleicht in einem anderen Leben“, das auf einem Drehbuch von Turrini und seiner Lebensgefährtin Silke Hassler beruht und auf das Theaterstück „Jedem das Seine“ zurückgeht.

Peter Turrini, 2019
APA/Archiv der Zeitgenossen/Walter Skokanitsch
Peter Turrini im Sommer 2019: „Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe Angst vor dem zerbröselnden Leben“

Sein bisher einziger Roman erschien 1972: „Erlebnisse in der Mundhöhle“. „Er war literarisch besonders misslungen und hat mir die Erkenntnis gebracht, dass ich ein Dramatiker bin und nichts anderes“, sagt Turrini. „Selbst meine Kinderbücher und Novellen und Gedichte und Interviewbände spielen sich letztendlich in meinem Kopf als Dialog ab.“

„Jetzt bin ich halt ein Klassiker“

2010 wurde Peter Turrini zum Ehrendoktor der Universität Klagenfurt ernannt, 2011 mit einem „Nestroy“ für sein Lebenswerk, 2017 mit dem Kulturpreis des Landes Kärnten ausgezeichnet. Sein literarischer Vorlass wurde vom Land Niederösterreich angekauft, da sein Schaffen zur „österreichischen Zeit- und Literaturgeschichte“ zähle, „Wirksamkeit und Qualität“ seiner Werke stünden „außer Frage“. Der Vorlass wird im Archiv der Zeitgenossen in Krems betreut, damit auch die künftigen Zeitgenossen von ihm profitieren gibt es ein Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium.

„Früher wurde ich als ‚Orang Utan, der aus den Kärntner Wäldern hervorgebrochen ist‘ apostrophiert, und jetzt bin ich halt ein ‚Klassiker‘. Mich erreicht das alles nicht“, meinte Turrini schon vor ein paar Jahren dazu. Das Schreiben ist aufgrund einer schweren Herzoperation und zunehmender Gesundheitsprobleme seither deutlich anstrengender geworden. Ein Leben ohne Arbeit ist für Turrini nicht vorstellbar. „Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich habe Angst vor dem zerbröselnden Leben“, sagt er.