Bauarbeiten im Semmeringtunnel
ORF
ORF
Chronik

Tunnelbau unter schwierigen Bedingungen

Vor einer Woche wurde bekannt, dass sich die Eröffnung des Semmeringbasistunnels um ein Jahr verschiebt. noe.ORF.at begab sich am Freitag auf Lokalaugenschein. Laut ÖBB soll die Verzögerung keine Mehrkosten verursachen, dennoch sind umfangreiche Sicherungsbauten notwendig.

Es war am 15. April 2019: In die Tunnelröhre 1 drangen bei Göstritz (Bezirk Neunkirchen) Wasser- und Geröllmassen ein. Bis an die Oberfläche im Wald tat sich ein trichterförmiges Loch auf. Der Göstritzbach färbte sich in weiterer Folge wegen des ausgewaschenen Gesteins milchig weiß. Dieses Unglück, bei dem zum Glück niemand verletzt wurde, beschäftigt die Tunnelplaner bis heute und sorgt – laut derzeitiger Prognose der ÖBB – für eine Verschiebung der Eröffnung der Strecke um ein Jahr, auf Dezember 2027.

Während man auf der steirischen Seite mit den beiden Tunnelröhren gut vorankommt und im Plan liegt, ist der Tunnelbau in Niederösterreich im geologisch komplexesten Bereich des Projekts angelangt. Das Gestein zwischen Schottwien und Maria Schutz (Bezirk Neunkirchen) ist bunt zusammengewürfelt. Es ist porös, locker, wasserhaltig. Man stoße keine zwei Bohrtage hintereinander auf das gleiche Gestein, wird bei unserem Lokalaugenschein berichtet. „Auf der einen Seite befinden sich die stark wasserführenden Karbonate und auf der anderen Seite finden sich Schiefer- und anderes Störungsmaterial, fein zerrieben und trocken, das überhaupt nichts aushält“, erläutert der Tunnelbau-Experte der TU Graz, Wulf Schubert. „Genau diese Kontaktzonen sind extrem kritisch und gefährlich“,

Ein „Dach“ gegen weitere Gerölleintritte

Im Risikobereich bei Göstritz – 3,5 Kilometer von Gloggnitz entfernt – wird nun von der Tunnelröhre 2 aus die Tunnelröhre 1 an der Oberseite abgedichtet. Dazu wird ein Schacht in Richtung Tunnelröhre 1 schräg nach oben getrieben, um den Krater wie mit einer Zwischendecke abzudichten und mit horizontalen Pfählen zu stabilisieren.

Erst wenn dieses „Dach“ fertig ist, kann der Vortrieb der Tunnelröhre 1 auf niederösterreichischer Seite wieder aufgenommen werden. „Wir haben aus dem Ereignis zu Ostern 2019 dazugelernt und gehen entsprechend vorsichtig vor. Dass wir in diesem Bereich für 150 Meter ein halbes Jahr brauchen, ist eine grobe und eher pessimistische Schätzung. Wir hoffen, dass es wesentlich schneller geht“, sagt Schubert.

Veranschaulichung der Oberfläche rund um den Semmeringtunnel
ORF
Die Tunnelbauer kämpfen derzeit vor allem mit den unterschiedlichen Gesteinsschichten

Laut ÖBB keine Mehrkosten durch Verzögerung

Derzeit haben die Verzögerungen laut ÖBB keine Auswirkungen auf die Kosten. „Wir haben beim Semmering-Basistunnel aufgrund unseres Kostenhandbuchs entsprechende Risikovorsorgen getroffen und können auf diese Weise dieses eine Ereignis mit der Verschiebung um ein Jahr noch einmal abdecken. Wir gehen heute davon aus, dass wir kein weiteres Ereignis wie Ostern 2019 haben werden. Sollten aber in den Vortriebsarbeiten zukünftig unvorhergesehene Unglücke eintreten, wird man über Mehrkosten reden müssen“, sagt Gerhard Gobiet, der Projektleiter des Semmering-Basistunnels.

3,3 Milliarden Euro sind derzeit als Gesamtkosten für den Semmeringbasistunnel budgetiert. Derzeit sind 45 Prozent der Tunnellänge von 28 Kilometern abgeschlossen. Nach der jüngsten Prognose soll 2021 der Durchstich erfolgen. 2025 und 2026 sollen die Gleise, Oberleitungen und Signalanlagen eingebaut und der Testbetrieb begonnen werden. Derzeit sind 1.000 Mitarbeiter beim Tunnelbau beschäftigt.