Buchcover Hitler
Residenz Verlag
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Wissenschaft

Hitler: „Prägende Jahre eines Diktators“

Einen Blick auf die Kindheits- und Jugendjahre des späteren „Führers“ Adolf Hitler wirft ab 29. Februar die Ausstellung „Der junge Hitler – Prägende Jahre eines Diktators 1889-1914“ im Haus der Geschichte in St. Pölten. Dazu erscheint ein praktisch gleichnamiges Buch von Christian Rapp und Hannes Leidinger.

Detailreich verweben dabei Christian Rapp, wissenschaftlicher Leiter des Hauses der Geschichte im Museum Niederösterreich, und der Historiker Hannes Leidinger die Familienhistorie des Sohns eines Zollbeamten mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten und Denkweisen bzw. politischen Umständen der damaligen Zeit.

Gleich zu Beginn machen sich die Autoren Gedanken darüber, inwieweit eine biografische Betrachtung Hitlers überhaupt sinnvoll und gangbar ist: „Die Gefahr eines biografischen Blicks auf die Person Hitlers besteht immer darin, die Gesellschaft oder zumindest große Teile der Gesellschaft zu exkulpieren und die Verantwortung auf einen Einzelnen zu konzentrieren.“

Bis 1914 formten sich Hitlers Charakter und Weltbild

Es gebe aber durchaus einen Grund, in diesem Fall die Person „Hitler“ in den Vordergrund zu stellen: „In der Zeit bis 1914 formen sich sein Charakter und sein Weltbild. Was immer Erster Weltkrieg und Revolution zur Radikalisierung Hitlers beigetragen haben mögen, die Grundlagen sind bereits vorhanden.“

Fotostrecke mit 6 Bildern

Aquarell von Adolf Hitler Michaelerplatz Wien
Verlag Alinari
Adolf Hitler, Michaelerplatz in Wien, Aquarell
Aquarell von Adolf Hitler Parlament Wien
Verlag Alinari
Adolf Hitler, Parlament in Wien, Aquarell
Aquarell von Adolf Hitler Hofrbäuhaus München
Verlag Alinari
Adolf Hitler, Hofbräuhaus in München, Aquarell
Adolf Hitlers Entwurf für eine Villa für August Kubizek
Nachlass August Kubizek in Kooperation mit dem DÖW
Adolf Hitler, Villa für August Kubizek, Skizze
Ansichtskarte Adolf Hitlers an August Kubizek
Nachlass August Kubizek in Kooperation mit dem DÖW
Postkarte Adolf Hitlers an August Kubizek: „Dir und deinen werten Eltern sende ich hiemit die herzlichsten Glückwünsche zu den Feiertagen mit vielen Grüßen Hochachtungsvoll Adolf Hitler"
Postkarte Hitler an August Kubizek Vorderseite Parlement Wien
Nachlass August Kubizek in Kooperation mit dem DÖW
Vorderseite der Postkarte, die Adolf Hitler an August Kubizek sendete

So folgen die Autoren der Kindheit und Jugend ihres Protagonisten von Braunau, Lambach, Leonding, Linz und Steyr bis später zu den Aufenthalten in Wien. Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig in Oberösterreich, wo Hitler zunächst in einer gut situierten Mittelstandsfamilie aufwächst. Der Leser erfährt vom jähzornigen Vater, der seinen Sohn häufig schlägt, von Adolfs Vorliebe für Karl May bzw. dessen Häuptling Winnetou, der Schmerzen stoisch erträgt, von der Mutter, die sich um den schwächlichen Adolf auch aufgrund des frühen Todes von vier Geschwistern übermäßig sorgt. Das böte genug Stoff für jede Menge Küchenpsychologie, derer sich die Autoren aber enthalten.

Leidinger/Rapp über Hitler: „Hedonistischer Lebensstil“

Vielmehr zeichnen sie detailliert die Schullaufbahn Hitlers nach – von den Anfängen als guter Volksschüler, der allerdings als Rädelsführer bei diversen Streichen und Sachbeschädigungen hervortritt, bis zum späteren Scheitern in der Realschule. „Regulative, Normen, Anweisungen, Ein- und Unterordnen, Einfügen in eine Gruppe, geregelte Arbeits- und Zeitpläne: Das alles lehnt er zugunsten eines hedonistischen und unregelmäßigen Lebensstils ab. Nur was Spaß macht, zählt“, heißt es etwa. Auch dem gesellschaftlichen Abstieg nach der Pension bzw. dem Tod des Vaters bzw. der späteren Geldnot widmen die Autoren immer wieder Raum.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Der 16jährige Adolf Hitler in einer Zeichnung
Sammlung Rauch/Interfoto/picturedesk.com
Der 16-jährige Adolf Hitler, gezeichnet von einem Mitschüler namens Sturmlechner in der Realschule Steyr, 1905
Adolf Hitlers Mutter Klara
ÖNB Wien
Hitlers Mutter Klara, geborene Pölzl (1860-1907), um 1885/90
Hitlers Vater Alois, in seiner Uniform als Zollbeamter
ÖNB Wien
Hitlers Vater Alois (1837-1903), in seiner Uniform als Zollbeamter, um 1890
Hitlers Freund August Kubizek
Nachlass August Kubizek in Kooperation mit dem DÖW
Hitlers Jugendfreund August Kubizek (1888-1956)
Arztzimmer im Männerheim Meldemannstraße 1910
ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
Arztzimmer im Männerheim Meldemannstraße in Wien, 1910
Fußwaschraum im Männerheim Meldemannstraße 1910
ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
Fußwaschraum im Männerheim Meldemannstraße in Wien, 1910
Gang in den Schlafsälen des Männerheims Meldemannstraße
ANNO/Österreichische Nationalbibliothek
Gang in den Schlafsälen des Männerheims Meldemannstraße in Wien, 1910

Den Charakter Hitlers lassen sie etwa seinen damals einzigen Freund aus Jugendtagen, August Kubizek, beschreiben: Ihn „beschäftigte und beunruhigte“ alles, ihm „blieb nichts gleichgültig“. „Harmlose Dinge, ein paar unbedachte Worte etwa, konnten Zornesausbrüche bei ihm hervorrufen, bei denen meiner Ansicht nach der Gefühlsaufwand in keinem Verhältnis zu der Geringfügigkeit der Sache stand.“

Gleichzeitig wird Hitler in seinem gesellschaftlichen Umfeld verortet – vom antislawischen Abwehrkampf gegen Tschechen in Linz bis zum schwelenden bzw. offenen Antisemitismus. So ist damals in christlich-sozialen Zeitungen etwa zu lesen, wenn „dem Judentum die Geldzufuhr abgeschnitten wird, dann muß es selbst weichen und Österreich wird von der ekligen Läuseplage befreit“.

Hitler hat Feindbilder „verarbeitet und verinnerlicht“

Besonders antisemitisch eingestellt war der junge Hitler allerdings nicht, konstatieren die beiden Autoren. „Alles in allem besteht kaum ein Zweifel: Hitler hat sich in Oberösterreich ‚weder eine geschlossene antisemitische Weltanschauung angeeignet‘, wie er in ‚Mein Kampf‘ vorgibt, noch ist bei ihm zu dieser Zeit eine gerade auch unter Deutsch-Österreichern verbreitete judenkritische Haltung ausgeprägt.“

Buchhinweis

Hannes Leidinger/Christian Rapp, Hitler – Prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889-1914. Residenz Verlag, 224 Seiten, 24 Euro

Allerdings: Eine Reihe von Feindbildern der Jahrhundertwende, insbesondere den Hass auf die Slawen und Juden, habe Hitler verarbeitet und verinnerlicht, schreiben Leidinger und Rapp. „Ungeachtet seiner Distanz zur Parteipolitik und seines allgemeinen Mangels an sozialem Engagement in den ersten Lebensdekaden sind frühe weltanschauliche Orientierungsmuster erkennbar. Vor allem das ‚völkische‘ Denken ist Teil seines wenig originellen Weltbildes.“ Etwas weniger detailliert verfolgen die Autoren die Spuren Hitlers in Wien. Zäsur des Buches ist schließlich das Ende des Ersten Weltkriegs und Hitlers Aufbruch nach München.