Es ging ganz schön bunt her, als Spoerri in seinem Düsseldorfer Restaurant exotische Mahlzeiten kreierte und die Reste in Kunst verwandelte. Originell und aufsehenerregend waren die Assemblagen, die er Ende der 1960er Jahre in seiner „Eat Art Galerie“ zusammenbaute. Der als Daniel Isaac Feinstein im rumänischen Galati geborene Künstler wird am Freitag 90 Jahre alt.
Leben, Tod, Verwesung und Wiedergeburt sind untrennbar
Vieles, was die Küche und dazugehörige Räumlichkeiten hergaben, sah Spoerri als symbolische Teile eines Gesamtzyklus, zu dem Leben und Tod ebenso wie Verwesung und Wiedergeburt gehören. Mit Klebstoff fixierte er Speisereste samt Tischdecke, schmutzigem Geschirr, Gläsern und Besteck zu Wandbildern zusammen.
Das Sammeln und Zusammenfügen setzte der „Kochkünstler“ auch nach der Düsseldorfer Periode fort. Wovon man sich in Hadersdorf am Kamp überzeugen kann – inmitten einer harmonischen Wein- und Kulturlandschaft, unweit von Donau und Wachau. Dort belebte Spoerri seit 2009 zwei Häuser am historischen Hauptplatz als Ausstellungs- und Begegnungsstätte.
Das Ausstellungshaus Spoerri in Hadersdorf widmet sich heuer der „Eat Art“: „Wie der Name bereits vermuten lässt, soll die Präsentation über die Ausstellung fertiger Werke hinausgehen. Es sind unterschiedlichste kulinarische Veranstaltungen geplant; das 2019 begonnene Latwerge-Projekt wird fortgesetzt, verschiedene Köche werden eingeladen und es werden auch einige der legendären Bankett-Ideen von Daniel Spoerri umgesetzt“, heißt es dazu auf der Website des Ausstellungshauses.
Spoerri: „Sammeln ist für mich Leben“
„Sammeln ist für mich Leben“, sagt Spoerri. Man nimmt es ihm auch ab, allein schon angesichts von mehr als 100 verschiedenen Eierschneidern, die er zusammentrug – und oft in Kunstwerken verarbeitete. Fortgeschritten ist ein Sammelprojekt mit geometrisch beige-braun gemusterten Matten aus Raffia-Palmen des Bakuba-Volkes im Kongo. Ebenso wie Sammlungen von Gehstöcken und Christbaumständern. Neben Kollagen von Gebrauchsgegenständen schuf der Vater der „Eat Art“ auch Skulpturen und Bilderzyklen.

Geboren wurde Spoerri am 27. März 1930 in Galati. 1941 wurde sein Vater von rumänischen Faschisten ermordet. Ein Jahr später floh seine Mutter Lydia Spoerri, eine Schweizerin, mit ihren sechs Kindern nach Zürich. In Zürich adoptierte ihn sein Onkel, dessen Nachnamen er dadurch bekam.
Hier und in Paris ließ sich Daniel Spoerri zum Balletttänzer und Pantomimen ausbilden und war dann einige Jahre Solist am Stadttheater Bern. Unter anderem choreografierte er ein Farbenballett, zu dem Jean Tinguely, mit dem er seit 1950 befreundet war, ein bewegliches Bühnenbild entwarf. „Ich bin ein Auslandsschweizer, der aus eigenem Willen nicht in der Schweiz wohnt“, meinte Spoerri einmal in einem APA-Interview. „Ich habe ein zwiespältiges Verhältnis zur Schweiz. Meine Jugend war viel mehr vom Jüdisch-Sein geprägt.“
Nach Gelegenheitsjobs studierte Spoerri Tanz an der Zürcher Oper und Schauspiel in Paris. Dort traf er Gleichgesinnte wie den Schweizer Objektkünstler und Kinetiker Tinguely oder den französischen Maler und Theoretiker Yves Klein. Bald entwickelte Spoerri erste eigene Objektkunstwerke.
Momentaufnahmen der Alltagswirklichkeit
Weltberühmt sind seine „Fallenbilder“ – Momentaufnahmen der Alltagswirklichkeit, die er wie in einer Falle einzufangen versuchte. Spoerri nannte sie „Topographien des Zufalls“: Scheinbar zufällig vorgefundene Anordnungen von zum Beispiel Geschirr, Gläsern, Zigaretten werden auf einer Platte fixiert und als Tafelbild an die Wand gehängt. Bereits 1960 schaffte er damit die Aufnahme ins New Yorker Museum of Modern Art.
Kritiker waren begeistert von Spoerris „Verherrlichung des Zufalls“. Zusammen mit Künstlern wie Tinguely, Christo und Niki de Saint Phalle rief er die Bewegung des Nouveau Realisme ins Leben. Kunst – so ihr Credo – sollte helfen, die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen an der Lebenswirklichkeit zu schulen.
Vielfalt blieb dabei für Spoerri Lebensgrundsatz. Er widmete sich dem Tanz, dem Film und Theater und wirkte ebenso als Museumsgründer und Lehrer. Etwa Ende der 1970er Jahre, als er in Köln zusammen mit Studenten der Fachhochschule für Kunst und Design Objekte und Relikte der Stadtgeschichte sammelte. 20 Jahre später legte er in der Toskana den Grundstein für seinen Skulpturengarten „Il Giardino di Daniel Spoerri“. Schon damals befand Spoerri, er habe „genug Bleibendes“ geschaffen. Doch ans Aufhören denkt der Rastlose bis heute nicht.
Seit 2007 lebt er in Wien. „Ich wollte eigentlich nach Triest, es ist wunderschön, aber ich habe festgestellt, dass ich dort verloren wäre.“ In der Toskana traf er auf einen Wiener Kunsthändler und dessen Freunde. Und fand über eine junge Kunsthistorikerin, die gerade umgesattelt hatte auf Wohnungsvermittlung, eine Bleibe in Wien. „Ich wohne noch immer in derselben Wohnung, direkt neben dem Flohmarkt, in der Kettenbrückengasse …“, was sich als besonders praktisch für seine Objektstreifzüge herausgestellt habe, so der Künstler.
Daniel Spoerri und seine Beziehung zu Niederösterreich
Den Garten des Museums Niederösterreich in St. Pölten prägt seit Sommer 2015 die Skulpturengruppe „Dead End“ von Spoerri. „Es ist ein Bild, das wir kennen: sei es aus Konzentrationslagern, aus Vietnam, Jugoslawien oder dem Irak. Wenn Menschen andere Menschen zerstören, vergraben sie ihre Opfer wie Hunde ihre abgenagten Knochen“, erläuterte der Künstler.
Die fünf Bronzefiguren wurden im Museumsgarten als Gedenkstätte für alle Verbrechen dieser Art installiert. Dem Doppelsinn des englischen Titels – Tod bzw. Sackgasse, Ausweglosigkeit – trage die Wahl des Standorts Rechnung: Wie in die Enge getrieben und dort erschöpft und tödlich getroffen zusammengesunken liegen die Figuren am Boden. Gesichtslos unterscheiden sie sich lediglich in ihrer Haltung, mal verdreht, mal mit den Armen schützend über den Kopf erhoben.

Im Jahr 2010 erhielt das Land Niederösterreich von Spoerri Werke im Wert von 3,5 Millionen Euro: Der international renommierte Performance-Artist errichtete eine Stiftung namens „Eat Art & Ab Art“ zur Erhaltung und Pflege seines Werkes. Damit verbunden war die Schenkung von 39 Kunstwerken und die Einsetzung der Stiftung als Letztbegünstigter. Spoerri hatte 2009 zwei Häuser in Hadersdorf am Kamp als Ereignis- und Ausstellungsorte gekauft und der Präsentation seiner Kunstwerke gewidmet. Hier hätte am 28. März die Jubiläumsausstellung „Daniel Spoerri & die Eat Art“ eröffnet werden sollen.
Zentrales Anliegen der Stiftung ist die Bewahrung und Verwaltung der Kunstwerke. Eine wesentliche Aufgabe der Stiftung ist auch die Präsentation und Vermittlung zeitgenössischen Kunstschaffens an Schüler und Jugendliche ohne Zugangsbarrieren und zu sozialen Konditionen. Darüber hinaus sollen Vorträge und Veranstaltungen zum Thema Kunst und Kulinarik („Eat Art“) abgehalten werden. Im März 2015 erhielt Spoerri das Silberne Komturkreuz des Ehrenzeichens für Verdienste um das Bundesland Niederösterreich.
„Ich mache nur, was ich meine machen zu müssen“
„Ich glaube, dass gar nichts Bedeutendes aus mir geworden ist. Ich bin kein Spezialist im Sinne von irgendetwas. Ich mache nur, was ich meine machen zu müssen von Tag zu Tag“, so Spoerri. Er wolle nur „weitermachen. Ohne behindert zu werden. Das würde mir schon gefallen, wenn das so weitergeht …“ Und auf die Frage, ob ihm der kommende Geburtstag Angst mache, antwortete er im November des Vorjahres: „Eindeutig. Vielleicht werde ich verschwinden und gar nicht da sein.“