Barbara Schober
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Bildung

Psychologin: „Schule lindert Einsamkeit“

Seit Freitag steht fest, dass die Schulen ab Mai in einem zweiwöchigen Stufenplan wieder den Unterricht im Klassenzimmer starten werden. Knapp die Hälfte der Eltern hätte sich einen Schulstart erst ab Herbst gewünscht. Die Bildungspsychologin Barbara Schober hingegen befürwortet einen Start vor dem Sommer mit wenig Strenge bei der Benotung.

In den kommenden Wochen sollen alle Schülerinnen und Schüler im Schichtbetrieb wieder in die Klassenzimmer zurückkehren. Der am Freitag präsentierte Stufenplan bringt für die Beteiligten ein Stück weit Klarheit – hält aber zugleich eine ganze Reihe an Herausforderungen bereit. Etwa drei Wochen haben die Schulleitungen nun Zeit, entsprechende Konzepte auszuarbeiten, bevor am 18. Mai mit den unteren Jahrgängen der Großteil aller Schülerinnen und Schüler in die Klassen zurückkehren. Bereits zwei Wochen vor ihnen starten ausschließlich die Maturantinnen und Maturanten am 4. Mai. Den Abschluss bilden laut Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) die Schülerinnen und Schüler der Oberstufen. Für sie geht der Unterricht am 29. Mai los.

Während die einen darauf pochten, die Schulen möglichst schnell wieder für den Unterricht zu öffnen, sahen die anderen in einer schnellen Rückkehr der Schülerinnen und Schüler ein Wiederaufflackern der Epidemie so gut wie vorprogrammiert. Laut einer von Unique Research für das „profil“ durchgeführten Umfrage hätten es immerhin 41 Prozent der Eltern vorgezogen, wenn die Schulen erst wieder im September aufgesperrt hätten. Mehr dazu in Nur Hälfte der Eltern für Schulöffnung (news.orf.at, 25.4.2020).

Die Bildungspsychologin Barbara Schober befürwortete im Gespräch mit noe.ORF.at den stufenweisen Plan zur Wiedereinführung des Unterrichts an den Schulen. Die Dekanin der Fakultät für Psychologie der Universität Wien betonte die Wichtigkeit des physischen Kontaktes untereinander, da die Kinder und Jugendlichen ansonsten zunehmend unter Einsamkeit zu leiden hätten. Allerdings sollten Schober zufolge auch positive Effekte des sogenannten Homeschoolings, also des Hausunterrichts, künftig in den Schulen berücksichtigt werden.

noe.ORF.at: Wie wichtig ist es, dass die Schulen jetzt wieder aussperren?

Barbara Schober: Ich glaube, es ist aus zwei verschiedenen Gründen ein sehr wichtiger Schritt, dass die Schulen wieder aufsperren. Zum einen spricht vieles dafür, dass zwar nicht alle, aber ein substanzieller Teil der Schülerinnen und Schüler unter der Situation leidet. Und zum anderen muss man sagen, dass die Indikatoren – was zum Beispiel eine Infektion mit dem Coronavirus betrifft – den Versuch zulassen, jetzt wieder zumindest schrittweise in die Normalität zurückzugehen. Das würde auch im Herbst nicht anders aussehen. Die sozialen Folgen, auch für die Eltern in ihrer derzeit vielfach belasteten Situation, sprechen sehr dafür, dass es jetzt ein guter Schritt ist, wieder gezielt anzufangen.

noe.ORF.at: Abstand halten wird ein Teil des neuen Schulalltags werden. Können das alle Schülerinnen und Schüler?

Schober: Wie gut sie das können, ist sicherlich von ihrem Alter abhängig. Insbesondere ab der Sekundarstufe, aber auch schon ab einem gewissen Alter in der Volksschule kann man Schülerinnen und Schülern schon sehr viel erklären und sie dadurch zu einem geänderten Verhalten bewegen. Mit viel Liebesmühe ist hier sicherlich viel möglich. Eine hundertprozentige Einhaltung halte ich bei Kindern und Jugendlichen aber für eine Illusion. Hier wird es eine gewisse Toleranz brauchen, dass es eben nicht vollständig funktioniert.

noe.ORF.at: Verschärft die derzeitige Situation die soziale Ungleichheit zwischen den Kindern?

Schober: Ja, es sieht so aus und ist auch naheliegend, dass Kinder, deren Eltern technisch bessere Möglichkeiten haben oder etwa durch deren berufliche Situation viel Zeit haben, die Situation besser abfedern können als andere. Es spricht einiges dafür, dass sowohl sozial als auch technisch die Schere weiter aufgehen könnte.

noe.ORF.at: Was halten Sie vom jüngsten Vorschlag einer Summer School, also einer Sommerschule?

Schober: Das wird sehr davon abhängen wie die Summer School konkret aussieht und implementiert wird. Wie bei all diesen Themen wird es von dem Rahmenbedingungen abhängen. Also etwa davon, wer dort hingehen soll, wer dazu eingeladen wird, ob sie verpflichtend ist und wie klar die Aufgabe ist, wer dort etwas nachzuholen hat und wer nicht. Grundsätzlich ist es sicher ein gutes Angebot aber es ist auch eine Frage der Umsetzung.

Barbara Schober im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein
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Bildungspsychologin Barbara Schober (re.) im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein

noe.ORF.at: Schulen sind ja auch soziale Orte. Was macht es mit Kindern und Jugendlichen, wenn sie ihre Freundinnen und Freude so lange nicht sehen?

Schober: Es gibt erste Hinweise, die dafür sprechen, dass Vereinsamung und Traurigkeit wachsen. Zwar dürften die Schülerinnen und Schüler weniger Angst vor dem Virus haben – diese Sorge dürfte sich beruhigen. Aber das Gefühl zu vereinsamen und die anderen nur noch online und nicht mehr persönlich zu sehen, ist zuhemmend ein nachvollziehbares Problem für Kinder und Jugendliche.

noe.ORF.at: Eine bedeutende Frage für viele Eltern ist die Benotung dieses Schuljahres. Was schlagen Sie vor, wie Lehrerinnen und Lehrer benoten sollen?

Schober: Zu signalisieren, dass jetzt alles völlig egal ist, wäre in meinen Augen nicht richtig. Aber eine gewisse Flexibilität bei den Überlegungen wird es brauchen, beispielsweise wie die Leistungen vor bzw. auch während des Homeschoolings berücksichtigt werden können und in die Note einfließen. Die Schülerinnen und Schüler haben ja etwas geleistet und abgegeben in dieser Zeit. Ich würde hier auf Strenge verzichten und Leistung honorieren, die bereits gebracht wurden.

noe.ORF.at: Das Homeschooling hat den Prozess der Digitalisierung beim Lernen mit Sicherheit beschleunigt. Ist das für die Schulen ein Gewinn?

Schober: Ja, hier wurden innovative Schritte gesetzt und die Leute haben sich etwas getraut, das sie sonst nicht gewagt hätten. Diesen Schub mitzunehmen, finde ich ganz wichtig. Jetzt muss man sich ansehen, was aus der Krise entstanden ist und wie man diese Schritte für den weiteren Unterricht optimieren kann. Man hat zum Beispiel gesehen, dass die Schülerinnen und Schüler durchaus in ihrer Selbstorganisation anders zurechtkommen oder dass sie in ihrem individuellen Tempo arbeiten konnten oder sich Schwerpunkte setzen konnten, was durchaus alles von Vorteil sein kann.