Sozialmarkt-Mitarbeiter
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Gericht

Sozialstunden: Straftäter im Sozialmarkt

Straftäter leisten angeordnete Sozialstunden oft in Heimen oder Pflegeeinrichtungen ab. Nachdem das in den letzten Wochen durch die Coronavirus-Pandemie nicht möglich war, wurden sie vermehrt in Sozialmärkten eingesetzt.

Die Coronavirus-Pandemie hat auch Auswirkungen auf den außergerichtlichen Tatausgleich. Beschuldigten, denen vom Gericht ein Tatausgleich angeboten wurde, konnten die angeordneten Sozialstunden in den letzten Wochen nicht in Heimen oder Pflegeeinrichtungen ableisten, wo sie üblicherweise oft eingesetzt werden.

Außergerichtlicher Tatausgleich:
Das Strafrecht sieht mit dem Tatausgleich eine Möglichkeit für eine außergerichtliche Lösung der beiden Konfliktparteien vor. Eine gelungener Tatausgleich hat zur Folge, dass es keine Gerichtsverhandlung und keine Verurteilung gibt. Beschuldigte entgehen damit einer Vorstrafe und leisten stattdessen beispielsweise angeordnete Sozialstunden in einer Pflegeeinrichtung ab. Eine der Voraussetzungen dafür ist, dass das begangene Vergehen der beschuldigten Person als „nicht schwer“ beurteilt wird.

Sozialmärkte suchten neue Hilfskräfte

Der neue Einsatzort für die Ableistung gemeinnütziger Arbeit waren stattdessen in vielen Fällen Sozialmärkte. Laut Wolfgang Brillmann, Geschäftsführer der zehn soogut-Sozialmärkte in Niederösterreich, konnten während der Krise zusätzliche helfende Hände gut gebraucht werden. Denn der Ansturm auf die Geschäfte sei krisenbedingt besonders hoch gewesen. Die Zahl jener, die Lebensmittel günstig einkaufen, nahm nach Ausbruch der Pandemie zu, während gleichzeitig viele ehrenamtliche Hilfskräfte ausfielen. „Viele von ihnen gehören selbst zur Risikogruppe und daher waren wir auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Fündig wurden wir über den Verein Neustart“, so Brillmann.

Der Verein Neustart fungiert im außergerichtlichen Tatausgleich als Mediator und vermittelt bzw. betreut die Täterinnen und Täter bei der Verrichtung ihrer Sozialstunden. Auch dort waren durch die coronavirusbedingten Isolationen der Pflegeheime viele Kooperationspartner weggefallen. Somit musste man sich ebenfalls auf die Suche nach Ersatzarbeitsplätzen für Beschuldigte machen, sagt Alexander Grohs, Leiter von Neustart, gegenüber noe.ORF.at: „Aufgrund der Coronamaßnahmen und zum Schutz der Bevölkerung konnten die Beschuldigten diese Stunden ja sehr plötzlich in keinen Alten- oder Pflegeheimen ableisten. Umso wichtiger ist, dass die Möglichkeit in den Sozialmärkten weiter bestanden hat.“ Sowohl für Neustart als auch für die Sozialmärkte also eine Win-win-Situation.

Sozialmarkt St. Pölten
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In der Krise erlebten die Sozialmärkte einen besonders hohen Ansturm auf die Geschäfte. Helfende Hände waren gerne gesehen

Gemeinnützige Arbeit statt Verurteilung

Im Sozialmarkt in St. Pölten leistet etwa auch Herr W. 80 Sozialstunden ab. Angeordnet wurde die gemeinnützige Leistung, nachdem er im Internet Hasspostings geteilt hatte. Er ist froh über den außergerichtlichen Tatausgleich, erzählte er gegenüber noe.ORF.at: „Nachdem ich vorher noch nie Kontakt mit dem Gericht gehabt habe und Ersttäter war, finde ich es eine sehr gute Möglichkeit, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.“

Alexander Grohs von Neustart ist der Einschätzung, dass davon nicht nur die Täter selbst profitieren, indem sie keinen Eintrag ins Strafregister bekommen und die Strafe mit der Ableistung der Sozialstunden damit getilgt ist. „Aus unserer Sicht ist es eine Situation, in der alle gewinnen. Die Sozialmärkte bekommen Unterstützung, um die fehlenden Freiwilligen auszugleichen. Umso besser, wenn unsere Klientinnen und Klienten motiviert sind und diese Sozialstunden hier ableisten wollen.“

Manche Täter bleiben den Einrichtungen erhalten

Doch nicht nur von der Ableistung der Sozialstunden profitieren die Sozialmärkte, so deren Geschäftsführer Wolfgang Brillmann: „Wir haben hier Jugendliche oder Privatpersonen bishin zu Unterneherinnen und Unternehmern, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Stunden ableisten. Dadurch ergeben sich wieder interessante Aspekte. Beispielseweise sind schon nachhaltige Kooperationen mit Unternehmen zustande gekommen, die uns zum Beispiel mit Know-how unterstützen oder Privatpersonen, die hängen bleiben und als Ehrenamtliche erhalten bleiben.“

Auch Herr W. spielt mit dem Gedanken, nach dem Ende seiner abgeleisteten Sozialstunden, den Sozialmarkt weiterhin zu unterstützen. „Ich könnte mir vorstellen, dass ich das selbst wieder freiwillig machen werde.“ Mit dem außergerichtlichen Tatausgleich erreicht der Verein Neustart laut eigenen Angaben gute Erfolge. Etwa 5.000 Fälle werden jährlich betreut. 87 Prozent der Straftäter werden nach der Ableistung ihrer Sozialstunden nicht mehr rückfällig.