Manuskript von Julian Schutting im Archiv der Zeitgenossen in Krems
Archiv der Zeitgenossen
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Kultur

„Ihr seid mein besseres Gedächtnis“

Am Dienstag jährt sich zum zehnten Mal die Gründung des Archivs der Zeitgenossen. Künstler wie Friedrich Cerha, Peter Patzak, Wolf D. Prix, Julian Schutting, Kurt Schwertsik und Peter Turrini präsentieren aus diesem Anlass ihre Gedanken über das Archiv, in dem ihre Vorlässe liegen.

Das Archiv der Zeitgenossen in Krems wurde am 16. Juni 2010 eröffnet, als mit dem Erwerb der Vorlässe des Schriftstellers Peter Turrini und des Komponisten Friedrich Cerha durch das Land Niederösterreich der Grundstein für ein Archiv gelegt wurde, das der Sammlung von Vor- und Nachlässen herausragender Künstlerpersönlichkeiten gewidmet ist. Seither wurden die Bestände um die Vorlässe des Komponisten Kurt Schwertsik, des Schriftstellers Julian Schutting, des Filmemachers Peter Patzak und des Architekten Wolf D. Prix erweitert. Auch der Nachlass des Verlegers Alfred Schlee wurde übernommen.

Neben den archivarischen Aufgaben der Erhaltung, Erschließung und Präsentation der Bestände umfasst die Tätigkeit des von Christine Rigler geleiteten Archivs auch die Konzeption und Durchführung von Forschungsprojekten und wissenschaftlichen Tagungen sowie die Herausgabe von Publikationen. Die Gestaltung der Archivräume erfolgte nach einem Entwurf des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz. Das Archiv der Zeitgenossen/Sammlung künstlerischer Vor- und Nachlässe ist als Einrichtung des Bundeslandes Niederösterreich an die Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur der Donau-Universität Krems angebunden.

Der österreichische Dramatiker Peter Turrini 2010
APA/GERT EGGENBERGER
Peter Turrini: „Wenn ich von Menschen nach einem Text aus den letzten fünfzig Jahren gefragt werde und mich nicht mehr daran erinnern kann, dann melde ich mich bei euch, im Archiv der Zeitgenossen. Ihr seid sozusagen mein besseres Gedächtnis“

Für das Jahr 2020 ist die Eröffnung eines unterirdischen „Escape Room“ ebenso geplant wie die Publikation einer Gesprächsreihe sowie die Tagung „Auf- und Ausbrüche. Grenzüberschreitungen von Peter Patzak“ zum 75. Geburtstag des Autors, Regisseurs und Malers (22. September) und das Symposium „Kurt Schwertsik und der Begriff der Moderne im Wandel“ (15./16. Oktober). „Gefeiert wird am 16. Juni 2020 mit einem kleinen digitalen Feuerwerk“ hieß es in einer Presseaussendung anlässlich des Zehn-Jahr-Jubiläums des Archivs der Zeitgenossen.

Sechs Künstler und ihr Verhältnis zu Archiven

Der Filmemacher und Autor Peter Patzak, der dem Archiv der Zeitgenossen 2018 seinen Vorlass übergab, von dem er sich lange Zeit nicht trennen konnte: „Anfang der Sechzigerjahre. Man machte sich Notizen auf den unbedruckten Stellen von Zeitungen, auf Fahrscheinen, Bierdeckeln und auf flach geklappten Zigarettenschachteln. Das Gedachte, Gefragte, Beantwortete, Festgehaltene landete in einer Schachtel, dann in einer Kiste, in einer alten Truhe. So begann mein Arbeitsarchiv.“

„Bei euch Unterschlupf gefunden?“, so der Schriftsteller Julian Schutting (siehe Bild oben) „vielmehr als ein Mostviertler Heimatrechte erworben, mit meinem Meisten lieber bei euch untergebracht als in einem Analogon der Residenzstadt.“

Gertraud und Friedrich Cerha, 2012
APA/Herbert Neubauer
Gertraud und Friedrich Cerha über das Archiv der Zeitgenossen: „Was sich in den folgenden Jahren ergab, hat unseren Vorstellungen aber nicht nur entsprochen, sondern sie vielfach übertroffen!“

„Die Entscheidung, die meiner Frau gehörende und von ihr verwaltete Sammlung meines gesamten Oeuvres und Materials zu meinem Leben und Werk einer Institution zu übergeben, die sich zum Zeitpunkt der Verhandlungen erst im Aufbau befand, war nicht einfach“, sagt Komponist Friedrich Cerha. „Was sich in den folgenden Jahren ergab, hat unseren Vorstellungen aber nicht nur entsprochen, sondern sie vielfach übertroffen!“

Auch Peter Turrini bedankt sich für die Arbeit, die in Krems geleistet wird: „Ich habe in meinem langen literarischen Leben viel, sehr viel geschrieben und immer, wenn ich von Menschen nach einem Text aus den letzten fünfzig Jahren gefragt werde und mich nicht mehr daran erinnern kann, dann melde ich mich bei euch, im Archiv der Zeitgenossen. Ihr seid sozusagen mein besseres Gedächtnis, meine Freude an euch hat also auch egoistische Gründe.“

„In gekühlten Kellern wohlbehütet eine Ruhestätte“

„Es ist schön zu denken, dass alles, was ich auf Notenpapier notierte & noch notieren werde, in gekühlten Kellern wohlbehütet für immer & ein Jahr eine Ruhestätte gefunden hat. Dass es sich aber zugleich einer virtuellen & fast geisterhaften Präsenz im WWW erfreut & dergestalt an beliebig vielen Orten in Erscheinung treten mag, erfüllt mich mit Zuversicht“, so der Komponist Kurt Schwertsik.

„Die Spuren des wunderbar erfüllten Lebens unseres Vaters, denen Zeugnisse des ebenso der Musik gewidmeten Wirkens unserer Mutter beigesellt sind, nunmehr in ihrer Gesamtheit im Archiv der Zeitgenossen bewahrt zu wissen, ist uns Söhnen ein besonderes Glück“, so Thomas Daniel und Alexander Schlee, die beiden Söhne des Verlegers Alfred Schlee, der von 1947 bis 1985 die Universal Edition leitete.