WALDVIERTEL, WAIDHOFEN a.d. THAYA, Wohnhaus in der Böhmgasse 3
Janos Kalmar
Janos Kalmar
Kultur

Spuren des verschwundenen Waldviertels

Bäckereien, Kinos, Textilfabriken waren einmal und sind nicht mehr. Der Fotograf Janos Kalmar hat gemeinsam mit den Autoren Reinhard Linke und Christoph Mayer einen Bildband über das „verschwundene Waldviertel“ herausgebracht.

Den offenkundigen Zeichen des Strukturwandels wohnt selbst in ihren Erscheinungen als heruntergekommene industrielle Baudenkmäler auch eine gewisse Schönheit inne, meinen die Autoren schon im Vorwort. Das bewahrheitet sich in den höchst ästhetischen Fotografien Janos Kalmars. „Ich sehe die Welt positiv und so versuche ich auch in diesen ‚toten‘ Objekten das Positive zu erkennen und mit der Kamera festzuhalten“, erklärte Kalmar gegen noe.ORF.at.

WALDVIERTEL,  ehem. Hammerschmiede an der Thaya bei Warnungs,
Janos Kalmar
Ehemalige Hammerschmiede bei Warnungs (Bezirk Waidhofen an der Thaya) im Waldviertel

Von herkömmlichen Werken zu sogenannten „Lost places“, die sehr beliebt sind, wollen sich die Autoren abgrenzen. Ihnen ging es nicht darum, in Gebäude einzudringen, um Fotos zu schießen, Häuser von innen zu beschreiben, die man nicht mehr wirklich betreten kann oder darf. „Unser Konzept war, dass wir jene Gebäude, Stätten und Plätze zeigen, wie ehemalige Industriegebäude, die mitten in den Dörfern, mitten in den Bezirksstädten stehen, an denen wir jeden Tag vorbeigehen, sehr oft gedankenlos. Und wir wollten zeigen: Diese Gebäude haben Geschichte und erzählen auch Geschichten“, ergänzt Mitautor Reinhard Linke.

Buchhinweis

„Verschwundenes Waldviertel: Über Greißler und Wirtshäuser, Textilfabriken und Mühlen, Kinos und Bahnhöfe sowie Grenzen, die es nicht mehr gibt“ von János Kalmár, Reinhard Linke und Christoph Mayer. Verlag: Edition Winkler-Hermaden

Eine Welt im steten Wandel

Ob Bäckereien, Konditoreien, Kinos, Hotels, Feuerwehrhäuser oder Mühlen, der Strukturwandel hatte auch im Waldviertel viele Branchen erfasst. Auch vor den großen Textil- und Möbelfabriken, wie der „Bobbin“ in Gmünd, hat der wirtschaftliche Wandel hin zur Globalisierung nicht Halt gemacht. 1985 musste die Fabrik schließen.

„Die Auswirkungen auf Infrastruktur und Dorfleben – wenn etwa der letzte Wirt im Ort sein Gasthaus zusperrt – bringen das soziale Gefüge und den Zusammenhalt zweifellos ins Wanken“, heißt es etwa im Vorwort. Doch die drei Autoren halten sich nicht damit auf, vergangenen Zeiten oder legendäre Bars, Kinos und Gaststätten, die es nicht mehr gibt, nachzujammern.

WALDVIERTEL, ALLENTSTEIG, ehem. KINO in der Dr-Ernst-Krennstraße 20, Arch. Wenzel Hartl 1940, %00 Sitzplätze,                            kontakt@lichtspiel.at,Reinhard Pölzl
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Imposanter Treppenaufgang vor dem ehemaligen Kino in Allentsteig (Architekt: Wenzel Hartl)

Mehr junge Wirte, die die Initiative ergreifen

„Eigentlich ist es fast nicht zu glauben. Sieht man in die Statistiken der Wirtschaftskammer Niederösterreich zu den aktiven Betriebsstandorten im Gastronomiesektor in den Bezirken Gmünd, Horn und Waidhofen an der Thaya und vergleicht diese mit früheren Zahlen, so fällt eines ins Auge: Es gibt kaum eine zahlenmäßige Veränderung. Im Jahr 2018 sind nahezu gleich viele Gastronomiestandorte angeführt wie 1977, im ersten Jahr der Aufzeichnungen“, schreibt etwa Christoph Mayer im Buch.

Es sei zu Standort- und Generationswechsel gekommen. Zunehmende Bürokratie, Rauchverbot und nun die Pandemie hinterließen in den letzten Jahren ihre Spuren in der Gastro-Branche. Dennoch gäbe es jetzt „wieder mehr Junge, die sich d’rübertrauen“ würden, ein Gasthaus zu führen, wird etwa die Wirtin Doris Schreiber im Buch zitiert. Ihrer Meinung nach wäre genug Kapazität da, es fehle nur an genügend qualifiziertem Personal.

WALDVIERTEL, WAIDHOFEN a.d. THAYA, ehem. Cafe Konditorei , Niederleuthnerstr. 7
Janos Kalmar
Ästhetik aus einer anderen Zeit: Waidhofen an der Thaya, ehem. Cafe und Konditorei in der Innenstadt

Die Stacheldrahtgrenze ist verschwunden

Die drei Autoren, Janos Kálmar, Reinhard Linke und Christoph Mayer wollen im Buch „Das verschwundene Waldviertel“ durchaus auch Perspektiven aufzeigen, und so lautet der Titel eines Kapitels auch: „Das Waldviertel und seine Zukunft – Nicht jammern, sondern etwas tun.“ Darin wird aufgezeigt, dass in den letzten Jahren sehr wohl mehr junge Menschen ins Waldviertel gezogen als abgewandert sind. Die höhere Altersstruktur insgesamt in den Bezirken des Waldviertels gegenüber anderen Teilen Niederösterreichs beeinflusst aber negativ die Statistik und verschleiert somit diesen positiven Trend.

Auch das Schlusskapitel und die lange Fotostrecke am Ende zeigen ein positives Verschwinden auf: Die Stacheldrahtgrenze entlang des nördlichen Waldviertels ist Geschichte. Die Grenzgebäude dämmern vor sich hin, der Todesstreifen ist dem bunten Leben der Natur gewichen. Wo einst Grenzpatrouillen mit Geländewagen unterwegs waren, drehen heute Radfahrer und Radfahrerinnen ihre Runden zur Erholung sowie zur körperlichen und seelischen Stärkung.