AntoN Widauer Selbstisolationsexperiment in Litschau
Constantin Widauer/kollekTief
Constantin Widauer/kollekTief
Kultur

Theaterexperiment: 14 Tage im Glascontainer

14 Tage, 336 Stunden oder 20.160 Minuten: So lange sind ab Samstag, 20.30 Uhr, in Litschau (Bezirk Gmünd) fünf Mitglieder der Schauspielgruppe kollekTief in Isolation. Sie inszenieren unter dem Titel „Bitte nicht berühren“ ihr Leben in Selbstisolation.

Österreichs nördlichste Stadt Litschau ist von 7. bis 16. August zum dritten Mal Schauplatz des Festivals „Hin & weg. Tage für zeitgenössische Theaterunterhaltung“. Bereits eine Woche davor startet eine Produktion von „Hin & weg“: das Isolationsexperiment „Bitte nicht berühren“ von kollekTief.

"Wir hatten diesen Sommer für das Festival in Litschau ein Stück geplant, das von sehr viel Nähe lebt“, erzählt der Reinhardt-Seminarist Anton Widauer. „Nun mussten wir uns um 180 Grad drehen und zeigen mit ‚Bitte nicht berühren‘ ein Stück, das Nähe negiert und Leben in Isolation vorführt“, sagt die Schauspielerin Alina Schaller, die zuletzt in „Vorstadtweiber“ im ORF zu sehen war.

Die Situation sei für die Kunstbranche – wie für viele andere Branchen – weit entfernt von normal, so der 24-jährige Felix Kammerer, seit dem Vorjahr Mitglied des Burgtheaterensembles. Auch Tilmann Tuppy hofft auf Normalität im Herbst, denn er wird im Vestibül des Burgtheaters auftreten. Die Fünfte in einer Glasbox ist die Musikerin Anna Mabo, die als Anna Marboe im Theater vor allem Regie führt.

Isolationsexperiment des kollekTief in Litschau
kollekTief
Probesitzen am Donnerstag in einer der Boxen (v.l.): Anton Widauer, Amelie Wimmer (Koordinatorin, die aber nicht in eine Box geht), Tilman Tuppy, Alina Schaller, Felix Kammerer und Anna Marboe

„Covid-19 betrifft alle Menschen gleich. Das Stück zeigt sehr überspitzt das neue Leben und ist ein Versuch, uns der Komplexität des Themas anzunähern“, so Schaller. "Wir sind hochaktuell und zeigen die neue Realität ins Extrem getrieben. Eine Realität, die für alle gilt, und für uns, als junge, in unserem Schaffen stark beeinträchtige Künstlerinnen und Künstler, besonders“, erläutert Widauer.

336 Stunden beobachten und beobachtet werden

Alle Isolierten sind in einer eigener Glasbox untergebracht. Dort leben, schlafen, essen und arbeiten die fünf Schauspieler. Sie können einander beobachten und rund um die Uhr von Besuchern des Theaterfestivals beobachtet werden.

Der persönliche Kontakt zur Außenwelt ist abgeschnitten. Nur eine Glasscheibe bietet Einblick in die Lebens- und Arbeitsräume der Isolierten. „Um nicht in der Einsamkeit verloren zu gehen, erzählen sie einander täglich neue Geschichten in Tanz, Gesang, Erzählung und Spiel“, heißt es in einer Aussendung von kollekTief.

Und weiter: „Mittels Mikrofonen im Inneren der Boxen ist es für das Publikum und für die Isolierten möglich, zu gewissen Zeiten an Performances auditiv teilzuhaben. Das Publikum ist unter freiem Himmel, die Isolierten in ihren vier Wänden. Und doch sind alle mittendrin. Zuseher werden ebenfalls gebeten, einander nicht zu berühren.“

20.160 Minuten: Keine Nähe und kein physischer Kontakt

Jede Box ist etwa zwölf Quadratmeter groß, mit einer Glasfront an der längeren Querseite, einem Fenster und einer Türe mit Vorraum und Toilette. Die Grundeinrichtung besteht aus Bett, Tisch und Sessel, einem Regal, einer Stehlampe und einem Paravent sowie Schreibzeug, Papier, CD-Player, Wasserkanister und Hygieneartikel.

Alina Schaller Selbstisolationsexperiment in Litschau
Constantin Widauer/kollekTief
Alina Schaller: „‚Bitte nicht berühren‘ ist ein Stück, das Nähe negiert und Leben in Isolation vorführt“

Zur nur wenige Schritte entfernten Dusche wird man jeden Tag eskortiert, das Essen und die Bekleidung werden gebracht. Jeder der fünf darf sich 14 individuelle und persönliche Dinge für jeden der 14 Tage mitnehmen. Felix Kammerer zum Beispiel ausgedruckte Wikipedia-Artikel und Bücher, Alina Schaller nimmt sich Rollschuhe und Pflanzen mit, Anna Marboe u.a. ihre Gitarre, auch Tillmann Tuppy nimmt sein Cello mit, Anton Widauer wird mit seiner analogen Kamera das Experiment von seiner Box aus dokumentieren.

Die Performance kann täglich rund um die Uhr besucht werden. Es gibt ein „daily ritual“, um „körperlich, geistig und emotional fit für den Tag zu sein“, gemeinsames Essen, abends jeweils eine Performance um 20.30 Uhr, am 8. und 9. August jeweils zwei Performances (14.00 und 20.30 Uhr), ein Abendritual, das Schlafenszeichen wird um 23.00 Uhr gegeben. Performances sind kreative Miniaturen als Einzelauftritte oder gemeinsam. „Nach zwei Wochen fehlender Nähe und physischem Kontakt münden die Anstrengungen der Isolation in einer finalen gemeinsamen Performance auf der Bühne“, so kollekTief: Am Abend des 15. August ist das Isolationsexperiment „Bitte nicht berühren“ zu Ende.

Wer ist kollekTief?

kollekTief ist eine junge Theater- und Künstlergruppe aus Wien, die 2012 gegründet wurde, um eigene Ideen und Visionen für Theater und Bühne außerhalb vorhandener Strukturen zu entwickeln. Die Gruppe arbeitet selbstständig und eigeninitiativ und ist mit sechs Hauptmitgliedern, alle unter 26 Jahre, ein „Beispiel für eine Generation, die die Zukunft des Theaters aktiv mitbestimmen will“, so die Gruppe in einer Aussendung.

Felix Widauer Selbstisolationsexperiment in Litschau
Constantin Widauer/kollekTief
Felix Kammerer: „Die Situation für die Kunstbranche ist weit entfernt von normal“

Die neun Theaterstücke der Gruppe, darunter „kurz sebastian sein“, „er|ich“, „one to one“ oder „one to three“ waren auf mehreren Bühnen und Festivals in Wien und Niederösterreich zu sehen. Die letzten beiden Produktionen von kollekTief „zeigen eine intime, begehbare Theaterform. Mit ‚Bitte nicht berühren‘ führt kollekTief das immersive Konzept fort – radikaler, größer und mutiger als zuvor.“

„Hin & weg“: Mehr als 100 Veranstaltungen an sechs Tagen

Zeno Stanek will bei „Hin & weg“ an verschiedenen Orten in der Stadt Litschau und am Herrensee wieder Aufführungen, szenische Stückpräsentationen, „Küchenlesungen“ von Theatermenschen in privaten Haushalten (mit Dreigangmenü), Hörspiele, Theater für junge Menschen, Autorenlesungen und Workshops präsentieren. Auf die Einhaltung der notwendigen coronavirusbedingten Sicherheitsvorkehrungen wird laut einer Aussendung geachtet.

Das Publikum wird an den Wochenenden vom 7. bis 9. und 14. bis 16. August aus mehr als 100 Veranstaltungen wählen können. Während der Woche finden Theaterworkshops zu Schauspiel, Regie, Improvisation, Körperarbeit, Puppenspiel, Sprechen, dramatischem Schreiben, Maskenspiel und Sprache der Komik statt. Erstmals wird auch ein Theaterworkshop für Kinder angeboten.