Niki Popper im Interview mit Eva Steinkellner-Klein
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„Ganz persönlich“

„Superspreader können gute Nachricht sein“

Der renommierte Simulationsexperte Niki Popper von der TU Wien berechnet, wie sich das Coronavirus ausbreitet. „Superspreader können eine gute Nachricht sein“, sagte er im noe.ORF.at-Interview, wenn das Testen und Tracen schnell funktioniere.

Niki Popper ist Teil des Expertengremiums, das Bundeskanzler, Gesundheitsministerium und Innenministerium berät. Die Zahlen werden noch weiter steigen, sagt er. Das sei aber kein Grund zur Panik, man müsse jetzt gemeinsam etwas dagegen tun. Eva Steinkellner-Klein traf Niki Popper zum Interview in seinem Büro in Wien.

noe.ORF.at: Die Zahlen steigen. Die Regierung spricht vom Beginn der zweiten Welle. Wie hoch wird sich diese auftürmen?

Niki Popper: Das ist die Frage, wann und ob die zweite Welle da ist. In der Tat stellt sich jetzt die Frage, ob wir der Sache noch Herr werden. Ob wir mit dem Testen, Tracen und Isolieren nachkommen – denn das ist ein Faktor, der hohe Auswirkungen hat.

noe.ORF.at: Wie kann man die Zahlen wieder in den Griff bekommen?

Popper: Es gibt zwei große Faktoren. Erstens, wie viele Menschen neu infiziert werden und zweitens, wie man die Leute da raus bekommt. Je schneller getestet werden kann und Kontakte ausfindig gemacht und isoliert werden können, desto besser und desto größer ist der Effekt.

Wir sehen an unseren Modellen, dass das bei Covid-19 besonders gut funktioniert, und zwar, weil es Superspreader gibt. Das ist ganz spannend: Das ist eigentlich eine gute Nachricht, denn dort funktionieren die Tests, das Tracen und das Isolieren gut, aber es muss schnell gehen.

noe.ORF.at: Und momentan geht es zu langsam?

Popper: Das kann ich Ihnen nicht beantworten, weil ich die Daten nicht habe. Aber wir sehen, dass die Zahlen noch oben gehen, dass wir also an die Grenzen unserer Ressourcen kommen. Natürlich wird es aufwendiger, je mehr positiv Getestete jeden Tag dazukommen. Es ist also eine negative Feedbackschleife.

noe.ORF.at: Wie funktioniert es in Niederösterreich?

Popper: Im Grunde gut, aber es bleibt die Frage, wie es im Herbst wird. Da werden viele Husten haben, auch Kinder werden hustend nach Hause kommen. Es ist daher ganz wichtig, dass die Tests schnell ausgewertet werden.

Niki Popper im Interview mit Eva Steinkellner-Klein
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Niki Popper im Interview mit Eva Steinkellner-Klein in seinem Büro in Wien

noe.ORF.at: Die Aufregung ist groß, weil die Zahlen doch massiv steigen. Es schwingt so etwas wie Panik in manchen Berichten mit. Wie geht es Ihnen da?

Popper: Ich bekomme nie Panik, weil dann hätte ich den falschen Job. Die Frage ist, wie können wir als Forschungsinstitution die Ausbreitung des Virus verstehen und die Politik unterstützen? Es gibt nicht den einen Punkt, an dem wir jetzt ansetzen können. Das wäre natürlich sehr schön, wenn ich jetzt sagen könnte, wir sperren jetzt das zu und dann ist alles gut.

Es ist leider komplizierter. Wir müssen bei jeder Aktion vernünftig handeln. Wir müssen jetzt schauen, was wir weglassen können. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, wie gesagt, schnell zu testen und zu isolieren. Dann können wir die Lage in den Griff bekommen, aber im Moment ist die Dynamik nicht sehr positiv.

noe.ORF.at: Hinken wir dem Virus hinterher?

Popper: Es steht mir nicht zu das einzuschätzen. Wir tun uns ja leicht. Wir haben unser virtuelles Österreich mit unseren fast neun Millionen Österreichern. Da können wir genau schauen, wie eine Strategie funktioniert. Ich kann mir vorstellen, wie kompliziert es ist, das alles in der Praxis umzusetzen.

In der Tat habe ich manchmal den Eindruck, dass die Politik noch immer ein bisschen diesen alten Zugang hat, erst zu reagieren, wenn etwas passiert. Wir haben im Frühling schon gelernt, dass wir immer zwei Wochen früher dran sein müssen. Das ist sonst so, wie wenn Dominic Thiem erst dann reagieren würden, wenn Zverev schon aufgeschlagen hat und erst zwei Sekunden später nachdenkt. So hätte er auch nicht gewonnen. Daran müssen wir jetzt gemeinsam arbeiten.

noe.ORF.at: Können Sie ausrechnen, wann das Gesundheitssystem überlastet sein wird?

Popper: Ich glaube, das ist eine sehr wichtige Frage. Davon sind wir aktuell noch weit entfernt. Es wird zu einem Anstieg der Krankenhauszahlen kommen, es wird zu einem Anstieg der Intensivbettennutzung kommen. Warum? Weil sich die Zahl absolut erhöht und, weil sich aktuell die Altersstruktur verändert. Derzeit verschiebt sich die Lage wieder weg von den Jungen. Aber wir sind weit entfernt von einem Ressourcenengpass.

noe.ORF.at: Wo steckt man sich eigentlich an?

Popper: lacht. Man steckt sich dann an, wenn man sehr nah zu einem Menschen kommt, der krank ist. Im September wird sicher die Nachricht kommen, dass die Schulen schuld sind. Warum? Weil die Schulen jetzt aufgesperrt haben. Einmal ist es der Chor, dann die Freikirchen, der Rotaryclub und so weiter. Wir müssen hier aber sehr aufpassen. Da gibt es keine wissenschaftliche Wertung.

Wenn ich Sie jetzt ganz fest umarme, dann werde ich Sie anstecken. Ich kann also im Alltag sehr viele Maßnahmen setzen, um die Ausbreitung zu verhindern. Und ja, in einem zweiten Schritt müssen wir uns als Gesellschaft überlegen, wo sperren wir zu. Sollten die Zahlen weiter steigen, müssen sich die Politiker und Politikerinnen überlegen, was zu tun ist. Aber im Grund ist die Frage nur: wie eng sind die Kontakte?

Niki Popper im Interview mit Eva Steinkellner-Klein
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In Bezug auf die Ausbreitung des Coronavirus sagte Niki Popper: „Ich bekomme nie Panik, weil dann hätte ich den falschen Job“

noe.ORF.at: Sie haben zwei Kinder. Schicken Sie die eigentlich bedenkenlos in die Schule?

Popper: Ja, weil ich glaube, dass wir Regeln vereinbart haben, zu denen wir jetzt stehen müssen und dann nicht immer was anderes ausmachen und diskutieren sollen. In der Schule ist es wichtig, dass die Klassenverbände möglichst zusammenbleiben. Wir wissen mittlerweile, dass kleine Gruppen okay sind, wenn sie sich nicht durchmischen. Ich habe heute in der Früh mit den Kindern geredet, wie es sein wird, wenn der Halsschmerz kommt. Dann muss rasch geklärt werden, was los ist. Wir haben ja schon Fälle in Schulen in Wien und Niederösterreich.

noe.ORF.at: Was berechnen Sie eigentlich, wenn Sie nicht gerade Coronavirus-Simulationen für die Regierung erstellen?

Popper: Es gibt ganz viele Bereiche. Überall dort, wo wir komplizierte, dynamische Systeme haben, die der Mensch gebaut hat und die vom Menschen, von der Natur und von der Technik abhängig sind. Das kann die Güterlogistik der ÖBB sein, Energienetze oder auch archäologische Ausgrabungen. Es ist also ein sehr weites Feld. Das macht unsere Arbeit so spannend. Es kann sein, dass ich in der Früh mit einem Archäologen rede, zu Mittag mit einer Ärztin und am Nachmittag mit jemandem aus dem Bereich der Logistik.

noe.ORF.at: Wie geht es Ihnen mit Ihrer Bekanntheit? Werden Sie auf der Straße erkannt?

Popper: Ja, das kommt schon vor. Ganz lustig: Vor einiger Zeit bin ich auf der Straße ums Eck gegangen und habe gehustet. Dann hat ein junger Mann mit Kind gesagt, „Herr Popper, geht es Ihnen eh gut“. Das kommt also schon vor. Aber, so wie das kommt, wird es auch wieder vergehen, im Sinne von Covid-19 hoffentlich früher als später.