Demonstranten in New York
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Chronik

US-Wahl: „Angespannte Stimmung“

Die Präsidentschaftswahl in den USA hat sich zum Wahlkrimi entwickelt. Mitten drin im Geschehen sind zahlreiche Niederösterreicher, die in den USA leben und arbeiten. Sie berichten von angespannter Stimmung und Geschäften, die sich verbarrikadieren.

Eric Fiklocki, geboren in Mödling und aufgewachsen in Wolfsgraben (Bezirk St. Pölten) im Wienerwald lebt in Miami im US-Bundesstaat Florida. „Wenn man bei mir auf den Balkon rausgeht, hat man einen kleinen Platz mit einem Community Center, wo auch gewählt wurde. Da war schon ziemlich Stimmung mit Musik. Zum Schluss sind noch Leute gekommen, die Wahlplakate von Trump vor die Tür gestellt haben. Da war ziemlich viel Support für Trump“, erzählte Fiklocki im Online-Videotelefonat mit noe.ORF.at.

„Trump hat geschafft, dass die Leute an der Wahl zweifeln“

Wie schon vor vier Jahren gewann der republikanische Amtsinhaber Donald Trump auch dieses Mal in Florida und konnte somit wertvolle 29 Wahlmänner-Stimmen für sich verbuchen. „Auch wenn ich nicht wählen kann, die Wahl betrifft mich sehr stark“, sagte Fiklocki, der eine Green Card hat und als Unternehmensberater in Miami arbeitet. „Es betrifft mein Geschäft. Es wäre interessanter, einen demokratischen Präsidenten zu haben, weil wir für den Marktaufbau viele Leute aus dem Ausland brauchen und wegen des Immigration Ban von Trump schon genügend Scherereien hatten“, so der 31-Jährige.

Eric Fiklocki
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Eric Fiklocki: „Ich glaube nicht, dass in Florida jemand mit einer Waffe auf die Straße geht“

Dass es im Fall eines Wahlsieges des demokratischen Kandidaten Joe Biden, der immer wahrscheinlicher wird, in Florida zu Unruhen kommen könnte, befürchtet er nicht. „Ich wohne in einer Gegend, die republikanisch ist. Ich glaube nicht, dass jemand mit Waffen auf die Straße geht.“ Konfliktpotenzial ortet er allerdings in anderen Bundesstaaten, die durch die Auszählung der Briefwahl noch von einer republikanischen Mehrheit auf eine demokratische umspringen könnten. „Ich glaube schon, dass Trump es geschafft hat, dass die Leute an der Wahl zweifeln“, so Fiklocki.

Geschäfte bereiten sich auf Demonstrationen vor

2.873 Kilometer oder 26 Stunden mit dem Auto weiter nördlich, in St. Paul im Bundesstaat Minnesota, lebt Agnes Gruber-Hutchinson mit ihrem Mann, der US-Staatsbürger ist, und ihren beiden Söhnen. Die 37-Jährige stammt aus Loosdorf (Bezirk Melk), hatte in Wien Veterinärmedizin studiert und arbeitet in den USA als Tierärztin. „Als ich in die Arbeit gefahren bin, war die Stimmung auf der Straße nervös. Ich fahre nicht durch Downtown, aber mein Mann hat berichtet, dass die Geschäfte und Tankstellen schon Bretter aufgestellt haben, um sich auf etwaige Demonstrationen vorzubereiten. Bis jetzt war aber alles relativ ruhig.“

Agnes Gruber-Hutchinson
privat
Agnes Gruber-Hutchinson ist Tierärztin in Minnesota

Das „Wahlerlebnis“ in den USA sei bei dieser Wahl ein ganz anderes gewesen, als man es von den vergangenen Urnengängen gewohnt war. „In einem normalen Jahr ohne Covid wären wir bei Freunden und Familie gewesen und hätten gemeinsam gehofft und gezittert. Die Welt ist aber mittlerweile anders wegen Covid. Mein Mann und ich haben die Wahl zuhause angeschaut, sind dann aber schlafen gegangen. Wir waren zu nervös und hatten zu viel Angst, wie es wirklich ausgehen wird.“

In „ihrem“ Bundesstaat Minnesota holte sich Joe Biden den Sieg und damit zehn Wahlmänner-Stimmen. Mittlerweile hat er im Rennen um das Weiße Haus auch klar die besseren Karten. Zum Glück für Agens Gruber-Hutchinson und ihre Familie. Eine Wiederwahl von Donald Trump hätte für sie möglicherweise weitreichendere Konsequenzen gehabt. „Wir leben in einem sehr demokratischen, liberalen Umfeld. Ich weiß nicht, ob wir weitere vier Jahre Trump aushalten würden. Wir müssten uns dann wohl überlegen, ob wir nicht doch wieder nach Österreich ziehen.“

Wahlplakate in privaten Gärten

Auch Fabia Urban hatte es wegen der Liebe von Niederösterreich in die USA verschlagen. Die 30-Jährige lebt in Reading im Bundesstaat Pennsylvania. Sie ist gebürtige Wienerin, wuchs in Kapelln (Bezirk St. Pölten) auf und war in Österreich als Volksschullehrerin tätig. Mittlerweile hat sie eine fünf Monate alte Tochter.

Fabia Urban
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Fabia Urban lebt in einem „Schlüsselstaat“ bei dieser Wahl

„Das meiste, was ich von der Wahl mitbekomme, ist, wenn wir in der Nachbarschaft spazieren gehen. Die Leute haben Schilder und Werbeplakate im Garten stehen, die einen für Trump, die anderen für Biden, oft Haus an Haus“, sagte Urban im Videotelefonat mit noe.ORF.at. „Man sieht, dass die Leute schon gerne öffentlich ihre Meinung kundgeben, wen sie wählen oder zu wem sie halten.“

Pennsylvania ist mit 20 zu vergebenden Wahlmänner-Stimmen einer der Schlüsselstaaten im Wahl-Finish, Trump und Biden liefern sich ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen. Weil es bei der US-Post Verzögerungen gab, werden noch alle Briefwahlstimmen gezählt, die bis Freitagnachmittag eintreffen. Solange könnte es also noch dauern, bis es in dem Bundesstaat westlich der Stadt New York ein Ergebnis gibt.

„Müssen Seele des Landes zurückgewinnen“

In St. Cloud im Bundesstaat Minnesota verfolgt Emmerich Sack die Wahl mit großem Interesse. Der pensionierte Deutsch-Professor stammt aus der Gemeinde Tadten im Burgenland und war Lehrer u.a. im Stiftsgymnasium Melk, in Blindenmarkt und Emmersdorf (alle Bezirk Melk). Vor 40 Jahren war er nach einem Angebot der Saint John’s Prep School nach Minnesota übersiedelt, wo er Deutsch und Geschichte unterrichtete. Nach wie vor ist er für das Austauschprogramm zwischen dem Stiftsgymnasium Melk und der St. John’s Prep School zuständig.

Emmerich Sack
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Emmerich Sack zog vor 40 Jahren in die USA: „Trump hat seiner Partei die Seele ausgesaugt und ihr den Rücken gebrochen“

„Die Wahl erlebe ich seit Monaten mit, weil bei uns laufend über Trump berichtet wird. Nachdem ich das Ganze mit Interesse verfolge, hat sich die Spannung immer erhöht. Zum Schluss ist es schon so geworden, dass man schon davon träumt und kaum mehr schlafen kann“, erzählte er. „In den letzten Wochen war es so, dass man auch mit Freunden kaum über die Wahl sprechen konnte, weil man nicht wusste, ob man jemanden beleidigt. Ich habe zum Beispiel einen Nachbarn, der in der Garage eine Trump-Flagge hängen hat. Wir sind gute Freunde, beide wissen, wer wo steht. Aber man redet nicht darüber.“

Trend zur US-Wahl

Den aktuellen Trend bei den Wahlmänner-Stimmen für Donald Trump und Joe Biden finden Sie auf ORF.at/wahl

Mit einem Wahlsieg Bidens verbindet der pensionierte Deutsch-Professor die Hoffnung, dass in den USA wieder Ruhe einkehrt. „Es wurde die Menschlichkeit getreten, die Demokratie verletzt, die Regeln nicht eingehalten. Trump macht mehr oder weniger, was er will. Er hat seiner Partei die Seele ausgesaugt und ihr den Rücken gebrochen, sie stehen ganz auf seiner Seite ohne jegliche Kritik.“ Er hoffe, dass die Menschen der unterschiedlichen politischen Lager künftig wieder miteinander reden könnten, ohne den anderen gleich als Feind anzusehen. „Ich kann doch eine andere Meinung haben und tolerant sein. Das alles soll wieder zurückkehren. Wie Biden sagt, wir müssen die Seele des Landes zurückgewinnen.“