Reingard Grabherr
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„Ganz Persönlich“

Virologin: „Das Gröbste im Frühjahr vorbei“

Die Virologin und Molekularbiologin Reingard Grabherr war maßgeblich an der Forschung und Entwicklung eines Coronavirus-Antikörpertests beteiligt und arbeitet an einem CoV-Impfstoff mit. „Im Frühling wird das Gröbste vorbei sein“, sagt sie im Interview.

Reingard Grabherr ist Virologin und Leiterin des Departments für Biotechnologie an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Die 56-Jährige kommt aus dem Bezirk St. Pölten. Sie ist Teil einer Forschungsgruppe, die einen Antikörpertest für das Coronavirus entwickelt hat. Über die Besonderheiten dieses Tests, wie sie mit Druck umgeht und über den Fortschritt bei der Entwicklung eines Impfstoffes spricht sie in der Interviewreihe „Ganz persönlich“ mit Eva Steinkellner-Klein.

noe.ORF.at: Im März und im April herrschte ein ziemlicher Hype um Sie und Ihr Team. Sie haben in kürzester Zeit einen Antikörpertest entwickelt. Was ist denn das Besondere daran?

Reingard Grabherr: Der Antikörpertest zielt auf die Reaktion des Immunsystems ab. Wir können also schauen, ob jemand Kontakt mit dem Virus hatte, ob Antikörper da sind. Das Besondere an diesem Test ist, dass er sehr genau ist, sehr sensibel, sagt man in der Wissenschaft. Wir können damit feststellen, wie gut ich gegen SARS-CoV-2, also das aktuelle Coronavirus, geschützt bin.

noe.ORF.at: Stichwort Immunität. Weiß man schon, wie lange man immun ist?

Grabherr: Nein. Es gibt noch keine Langzeitstudien. Das muss man jetzt herausfinden, wie lange der Schutz hält. Das ist ja auch wichtig für eine mögliche Impfung. Auch dazu kann man diese Tests verwenden.

noe.ORF.at: Wie stressig war die Zeit damals im Frühjahr für Sie?

Grabherr: Sehr (lacht). Es gab viele Publikationen, viel Austausch mit anderen Universitäten und Wissenschaftlern. Es war auch viel Druck da, schnell zu arbeiten. Aber man muss sich die Zeit nehmen, weil es ja qualitativ hochwertig sein muss. Dann gab es immer wieder Rückschläge, weil die Qualität des Materials doch nicht so gut war. Trotzdem muss ich sagen: Es hat alles sehr schnell funktioniert. Es war ein tolles Team, das sich da gefunden hat und in kürzester Zeit etwas Tolles auf die Beine gestellt hat.

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Virologin und Molekularbiologin Reingard Grabherr (l.) ist an der Entwicklung eines CoV-Impfstoffes beteiligt, hier im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein

noe.ORF.at: Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Grabherr: Klappe zu, Laptop zu. Manchmal muss man alles zumachen. Ich bin viel nach draußen gegangen, im Wald spazieren oder laufen. Das war nicht immer leicht, denn der Kopf arbeitet ja weiter, aber wenn man ein bisschen im Wald spazieren war, dann geht es schon ein bisschen leichter.

noe.ORF.at: Sie sind auch an der Erforschung eines Impfstoffs beteiligt. Anfang November war die Aufregung groß: Das deutsche Unternehmen Biontech hat gemeinsam mit Pfizer eine Impfung entwickelt, es wurden große Fortschritte gemacht. Noch ist nicht ganz klar, wann ein Impfstoff für die breite Masse zugänglich sein wird. Wovon gehen Sie aus?

Grabherr: Es kommt darauf an, wo und für wen. In China wird schon zum Teil geimpft. Es gibt eben schon viele klinische Studien in der dritten Phase, das sind alles schon Impfstoffe, die mehr oder weniger zur Verfügung stehen. Allerdings noch nicht für die breite Masse. Das wird noch ein paar Monate dauern, vielleicht bis nächstes Jahr im Frühling. Dann ist das Wetter auch wieder schöner und dann wird das Gröbste vorbei sein.

noe.ORF.at: Werden Sie sich impfen lassen?

Grabherr: Sofort, ja. Viele sind skeptisch und haben Angst, dass der Impfstoff nicht sicher ist, weil es so schnell geht. Der Impfstoff wird sicher sein. Wir können uns darauf verlassen, dass die Behörden und Forscher wirklich nur dann einen Impfstoff auf den Markt bringen, wenn alles passt.

Natürlich dauert so etwas normalerweise zehn Jahre, aber jetzt geht es wesentlich schneller. Es arbeiten wirklich viele Forscher und Firmen zusammen. Wenn es keinen Kampf um Förderungen gibt und Geld kein Thema ist, dann geht alles viel schneller. Dazu kommt, dass man durch das Pandemiegesetz bestimmte Zulassungsverfahren beschleunigen kann. Aber es gibt Qualitätskontrollen, die man trotz allem nicht umgehen kann.

noe.ORF.at: War die Pandemie vorhersehbar?

Grabherr: Ja, die WHO (die Weltgesundheitsorganisation; Anm.) warnt schon seit zehn Jahren vor einer Pandemie. Diese CoV-Pandemie ist sehr speziell, weil das Virus so ansteckend ist und unbemerkt bleiben kann.

Reingard Grabherr
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An der Entwicklung eines Impfstoffes sind viele Forscher und Firmen beteiligt. „Wenn ein Impfstoff auf den Markt kommt, wird er sicher sein“, so Grabherr.

noe.ORF.at: Hängen Klimawandel und Pandemie zusammen?

Grabherr: Ja, unbedingt. Der Klimawandel bedeutet, dass sich der Lebensraum für viele Tiere verkleinert. Dieses enge Zusammenleben von Mensch und Tier begünstigt das Überspringen von Krankheiten von Tieren auf Menschen. Der Klimawandel begünstigt auch die Wanderung von Insekten aus südlichen Gebieten in nördlichere Gebiete. Man kann das ganz gut an den Zecken beobachten. Letztlich ist es so: Veränderungen, die die Natur bedrohen, bedrohen auch uns Menschen. Es wird nicht die letzte Pandemie sein, die uns beschäftigt.

noe.ORF.at: Sie als Wissenschaftlerin wissen viel mehr über das Virus als die meisten anderen Menschen. Ist das für Sie beruhigend oder beängstigend?

Grabherr: Es ist schon beängstigend. Ja, auf jeden Fall beängstigend. Die Zahlen gehen weltweit nach oben. Ich denke, es wird erst aufhören, wenn wir eine Impfung haben und wir alle geschützt sind. Bis dahin müssen wir Maßnahmen ergreifen, um ältere Mitmenschen zu schützen.

noe.ORF.at: Was machen Sie als Ausgleich?

Grabherr: Ich stricke (lacht). Ich habe mir ein YouTube-Tutorial angeschaut, weil ich mich von meiner Volksschulzeit nicht mehr erinnern konnte und seitdem stricke ich. Das ist mein Projekt. Jetzt ist es bald fertig und es ist bunt (lacht).