Den Geschmack des Kaiserhauses hatte Lucas von Hildebrandt nie so richtig erobern können. Wo imperiale, strenge architektonische Repräsentation gefragt war, hielten sich Johann Bernhard Fischer von Erlach und dessen Sohn als unangefochtene Favoriten, die Habsburger bevorzugten deren elegante Kühle.
Prinz Eugens Lieblingsbaumeister
Konnte Hildebrandt weder die Gunst des Hofes noch der Kirche bei der Vergabe der repräsentativsten Bauaufgaben nachhaltig erringen, so prägte er doch mit einer Fülle von Stadtpalästen und Schlössern entscheidend die Architektur der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Lieblingsbaukünstler des Prinzen Eugen und des Hauses Schönborn, der Glanz mit Bequemlichkeit und dem damals modernen, intimen Wohngefühl vereinigte, starb vor 275 Jahren, am 16. November 1745 in Wien.
Johann Lucas von Hildebrandt wurde am 14. November 1668 in Genua als Kind deutscher Eltern geboren. Der Vater fiel als Hauptmann der kaiserlichen Armee im Spanischen Erbfolgekrieg, der Sohn studierte in Rom Kriegs- und Stadtbaukunst und erregte als Ingenieur in Piemont die Aufmerksamkeit des kaiserlichen Kommandeurs, des Prinzen Eugen von Savoyen. „Jean Luca“, wie Hildebrandt von seinen adeligen Gönnern genannt wurde, machte in Wien ab 1700 zuerst bescheidene Karriere als Hofbaumeister, bevor er Johann Bernhard Fischer von Erlach als Chefarchitekten des Prinzen Eugen verdrängte und darüber hinaus zum Hausarchitekten der in höchsten Reichs- und Kirchenämtern äußerst einflussreichen und baufreudigen Grafen und Fürsten Schönborn sowie der Grafen und neapolitanischen Vizekönige Harrach avancierte.
Hildebrandt war ein Meister der Profanbauten
Der mit Aufträgen überhäufte und in ständiger Terminnot befindliche Hildebrandt entwarf viele Stadt- und Gartenpalais in Wien, darunter das heutige Palais Schwarzenberg (ehemals Mansfeld-Fondi) und das Stadtpalais des Prinzen Eugen (das ehemalige Finanzministerium). Beteiligt war der vielbeschäftige und gelegentlich in Auseinandersetzungen mit Bauherrn und Künstlern verwickelte Bau-Pragmatiker bei Ausbauten und Umgestaltungen an der Salzburger Residenz und den Schlössern in Bruck an der Leitha und Schloßhof (Bezirk Gänserndorf). Keine Aufgabe war Hildebrandt zu klein, er plante Profanbauten für Gutsbetriebe ebenso wie eine Reihe von Patronatskirchen in Böhmen, Mähren und Niederösterreich wie etwa in Pottendorf (Bezirk Baden), Aspersdorf und Göllersdorf (beide Bezirk Hollabrunn).
Hildebrandts Hauptwerk in Wien sind das Untere und das Obere Belvedere – von vielen als die anmutigste und phantasiereichste Palast-Garten-Konzeption des Barock bezeichnet. Einen idealeren, kunstverständigeren und großzügigeren Bauherrn als Prinz Eugen von Savoyen hätte er sich nicht wünschen können. Eine andere monumentale Aufgabe wurde Hildebrandt von Friedrich Carl Schönborn, dem Bischof von Bamberg und Würzburg, gestellt. 1731 beauftragte er ihn mit der Aufsicht aller Schönborn’schen Bauvorhaben in Österreich, aber auch mit den Erweiterungsbauten seiner Würzburger Residenz.
Italienischer Stil, gepaart mit Wiener Charme
Der italienisch beeinflusste Stil sei von typischem Wiener Charme geprägt, kraftvoller und eleganter als jener von Fischer, heißt es unter dem Stichwort „Hildebrandt“ in der Online-Datenbank und -Enzyklopädie „Gedächtnis des Landes“ des Museum Niederösterreich. „Hildebrandts Frühwerk, die St.-Laurentius-Kirche in Deutsch-Gabel (Nordböhmen, 1699), zeigt seine Bewunderung für Guarino Guarini, dessen charakteristische dreidimensional-bewegte Bögen er übernahm und von dem er sich auch zum komplizierten, fantasievollen Gesamtentwurf anregen ließ. Borrominis Einfluss ist im plastischen Schmuck seines Meisterwerkes spürbar, dem Belvedere in Wien, das er für Prinz Eugen erbaute. Seine Profanbauten sind besonders wegen ihrer ovalen und oktogonalen Räume und ihrer fantasiereichen und feierlichen Treppenaufgänge bemerkenswert.“
Hildebrandts Raffinement im Räumlichen und in der ornamentalen Wandgestaltung gipfelt in den Treppenhäusern des Palais Daun-Kinsky auf der Wiener Freyung, des Schlosses Mirabell in Salzburg, im Stift Göttweig (Bezirk Krems) und im Schloss Weißenstein in Pommersfelden nahe Bamberg. Der wichtigste Bau, den Hildebrandt für den Wiener Hof errichtete, ist die 1717 fertiggestellte Geheime Hofkanzlei am Ballhausplatz, das heutige Bundeskanzleramt.
Über das Leben Hildebrandts ist trotz reichhaltiger überlieferter Korrespondenz nicht allzu viel bekannt. Er war nicht gerade glücklich verheiratet, wohlhabend, aber nicht reich, und wohnte in der Rotenturmstraße nahe dem Stephansdom zur Miete. Er war vor allem ein leidenschaftlicher Arbeiter und Künstler und hierin einer der produktivsten seiner Epoche. Bei weitem nicht immer ist Hildebrandts Wirken urkundlich gesichert, aber sein gestalterischer Geist prägt viele Baujuwele des Spätbarocks.