Coronavirus

„Harter Lockdown ist sinnvolle Maßnahme“

Mit dem Lockdown ab Dienstag soll das Gesundheitssystem entlastet werden. Entscheidend sind die Kapazitäten für Intensivpatienten, sagt Mediziner Christoph Hörmann vom Uniklinikum St. Pölten: „Der harte Lockdown ist eine sinnvolle Maßnahme.“

Elf Covid-19-Patientinnen und -Patienten werden derzeit auf der Intensivstation des Universitätsklinikums St. Pölten behandelt. Auf den ersten Blick sieht das nicht sehr besorgniserregend aus, weiß der Intensivmediziner. Doch der Eindruck täuscht, denn die aktuellen Negativrekorde bei der Zahl der Neuinfektionen sind hier noch nicht berücksichtigt.

Viele Covid-19-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf müssten frühestens acht bis zehn Tage nach dem Beginn ihrer Erkrankung auf die Intensivstation verlegt werden, sagt Christoph Hörmann, Leiter der Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin. „Wie sich die zuletzt hohen täglichen Infektionszahlen auswirken, werden wir erst im Lauf der nächsten Woche wirklich abschätzen können.“

Personal ist „limitierend“

Das wirklich Limitierende ist laut Hörmann irgendwann das Intensivteam. Das betreffe sowohl Pflegepersonal als auch Ärztinnen und Ärzte. Kurzfristige Unterstützung aus anderen Abteilungen könnte das Problem jedenfalls kaum lösen: „Intensivtherapie ist etwas sehr Spezielles, das kann man nicht im Schnellsiedekurs in zwei Wochen lernen.“ Ein größerer Personalausfall könnte schnell gravierende Auswirkungen haben. Unter anderem behandle man jeden Akutpatienten so, als ob er infiziert sei.

Ob der harte Lockdown nun Wirkung zeigt, hängte davon ab, „wie sehr die Leute es mittragen“, sagt Hörmann. Der harte Lockdown sei durch die harte Beschränkung der Kontakte „sicher eine sehr wirkungsvolle Maßnahme, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern.“ Hörmann glaubt auch, dass die Zahlen in drei bis vier Wochen sinken werden, „aber ich möchte auch dazusagen: Bitte nicht davon ausgehen, dass wir dann zur vollkommenen Normalität zurückkehren, dann haben wir in Kürze die dritte Welle.“ Stattdessen sei ein angepasstes, verantwortungsbewusstes Vorgehen jedes Einzelnen notwendig.

Primar Christoph Hörmann im Universitätsklinikum St. Pölten
ORF
Entscheidend seien in der aktuellen Situation die Kapazitäten für Intensivpatienten, sagt Mediziner Christoph Hörmann

noe.ORF.at: Dass wir von einem Lockdown light in einen harten Lockdown geschickt werden – ist das für Sie als Intensivmediziner ein logischer Schritt gewesen?

Christoph Hörmann: Ja, es ist leider ein logischer Schritt gewesen, weil das momentane Geschehen, was sich in den Spitälern abspielt, die Infektionslage vor einer Woche bis zehn Tage wiederspiegelt. Wenn man sich anschaut, wie die Infektionszahlen in dieser letzten Periode noch einmal gestiegen sind, ist davon auszugehen, dass in einer Woche noch einmal deutlich mehr Patienten sowohl ein Spitalsbett als auch ein Intensivbett brauchen werden.

Im Bereich der Landesgesundheitsagentur haben wir in den vergangenen drei Tagen einen Anstieg von 533 auf 638 Patienten gehabt, die ein normales Spitalsbett brauchen, das sind gut 20 Prozent. Und auf meiner Abteilung haben wir in den vergangenen drei Tagen ebenfalls um ein Drittel mehr Intensivpatienten zu betreuen.

noe.ORF.at: Österreichweit haben wir aktuell 77.133 Infizierte, davon sind 584 Menschen auf Intensivstationen. In Relation zur Bevölkerung ist das weniger als ein Prozent, dennoch wird betont, dass die Spitäler an ihren Grenzen sind. Wie lässt sich das erklären?

Hörmann: Die Intensivstation, sprich ein Bett zur Intensivbetreuung, ist eine sehr teure Ressource, sodass die Intensivbetten so kalkuliert sind, dass man normalerweise eine Auslastung zwischen 85 und 95 Prozent anstrebt, wobei immer eine Reserve da ist für Patienten, die es akut brauchen, aber nie große, freie Bettenzahlen. Und wenn man sich auf dieses Szenario eine Pandemie vorstellt, ist glaube ich klar, dass man da sehr sorgsam umgehen muss und Sorge hat, wenn die Zahl der Covid-Intensivpatienten steigt, auch wenn wir noch weit von der Zahl der verfügbaren Betten entfernt sind.

Aber wer liegt denn sonst noch auf einer Intensivstation? Auf der einen Seite Patienten nach elektiven Operationen, etwa am Herz, Kopf oder wegen eines Tumors. Selbst wenn ich die alle weglasse, macht das nur 20 Prozent der belegten Betten auf einer Intensivstation aus. Der Rest sind Patienten, die ganz akut Hilfe brauchen, die ganz akut in Lebensgefahr geraten sind, die eine Blutung im Gehirn bekommen, ein schweres Problem am Herzen haben, eine Pneumonie oder einen Autounfall haben. Die Liste lässt sich weiter fortsetzen und diese Patienten brauche auch jetzt während der Covid-Pandemie ihre intensivmedizinische Versorgung, um ihre schwere Erkrankung doch überleben zu können. Das macht das, was die Situation im Moment so anspannt.

noe.ORF.at: Jetzt hat es zuletzt immer wieder geheißen, dass gar nicht die Betten das Problem seien, sondern die Personalsituation. Gibt es also generell zu wenig Pflegepersonal?

Hörmann: Es gibt für die normale Zahl an Intensivbetten gut und genug ausgebildetes Personal, sowohl Pfleger als auch Ärzte. Aber natürlich sind auch die von Covid betroffen. Wir haben aktuell innerhalb der Landesgesundheitsagentur 540 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die entweder Kontaktpersonen sind und zuhause bleiben müssen oder eine bestätigte Infektion haben. Von den räumlichen Gegebenheiten können wir die Zahl der Intensivbetten in St. Pölten zum Beispiel jederzeit von 50 auf 80 anheben. Wir werden auch versuchen, dass von personeller Seite zu schaffen, indem wir Personen, die früher eine intensivmedizinische Ausbildung gemacht haben und jetzt in anderen Bereichen arbeiten, zusammenziehen. Intensivtherapie ist aber etwas sehr Aufwendiges, etwas sehr Kompliziertes, das ist nichts, was im Schnellsiedekurs angelernt werden kann, sondern wo es ein gut ausgebildetes Team braucht. So gesehen steht die personelle Ressource vor der räumlichen.

noe.ORF.at: Wir sind jetzt im neunten Monat der Pandemie, Österreich ist eigentlich gut durch die erste Welle gekommen, monatelang hat es über den Sommer nach einer Entspannung ausgeschaut, seit 23. Oktober kommt es laut dem Gesundheitsministerium aber zu einem sprunghaften Anstieg der Infektionen. Worauf ist das zurückzuführen?

Hörmann: Das sprunghafte Ansteigen ist sicher ein multifaktorielles Geschehen. Welchen Beitrag einzelne Faktoren ausmachen, ist sicher schwierig. Das eine ist sicher die Jahreszeit, wir haben zwar eine evidenzbasierten Beweise, aber sehr viele Experten gehen davon aus, dass das Virus in der kalten Jahreszeit noch virulenter ist bzw. das Immunsystem der Leute noch empfänglicher oder nicht so effektiv in der Abwehr einer Infektion. Das Zweite, der sprunghafte Anstieg ist auch damit zu erklären, dass wir deutlich später auf die Bremse gestiegen sind als Ende März, Anfang April, natürlich auch dem geschuldet, dass alle covidmüde sind und davon am liebsten nichts mehr hören wollen. Das Problem ist, das Virus lässt nicht mit sich verhandeln, es ist da und wir müssen es akzeptieren und das Negieren führt zur aktuellen Situation. Deshalb glaube ich, ist der harte Lockdown notwendig, um größere Schäden abzuwenden.

noe.ORF.at: Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) hat am Samstag in einer Pressekonferenz gemeint, dass die zweite Welle viel härter und dynamischer sei als die erste. Warum ist das so? Hat sich das Virus verändert?

Hörmann: Es gibt Spekulationen in diese Richtung, Beweise haben wir dafür aber keine in der Hand. Aber natürlich kann das sein, dass das passiert.

noe.ORF.at: Bis vor kurzem hatten wir etwa 800 Todesfälle, die mit dem Coronavirus in Verbindung waren. Aktuell liegt die Zahl bei 1.750. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Hörmann: Ich glaube, dass sich der Prozentsatz im Verhältnis zu den Erkrankten nicht so stark verändert hat, was die Todesfälle betrifft. Das Zweite ist, dass wir bis in den Sommer hinein die Situation hatten, dass das Durchschnittsalter der Infizierten deutlich niedriger war, sprich die ältere Bevölkerungsgruppe, die Hochrisikogruppe, sehr wenig von Covid-19 betroffen war. Jetzt, wo die Infektionszahlen so hoch sind, nachdem natürlich auch Großeltern auf ihre Enkelkinder aufpassen, die aus der Schule, aus dem Kindergarten nach Hause kommen, ist leider Gottes auch diese Bevölkerungsgruppe wieder mehr in das Infektionsgeschehen hineingezogen worden und je höher die Zahl der infizierten Risikopatienten, umso höher ist auch die Mortalitätsrate.

noe.ORF.at: Wenn man in den Medienarchiven recherchiert, merkt man, dass es jedes Jahr im Herbst und Winter zu einer Überbelastung der Spitäler kommt. Jetzt kommt Covid-19 auch noch dazu. Sind die Spitäler darauf ausreichend vorbereitet gewesen?

Hörmann: Wir haben im Frühjahr für den intensivmedizinischen Bereich sehr viel gelernt. Wir haben am Anfang nicht gewusst, wie Covid zu therapieren ist, wir haben Hygiene- und Isolierregimes aufgebaut, die sehr gut funktionieren, weil wir in unserem Bereich nach wie vor keinen Arzt oder Pfleger haben, der sich an einem positiven Patienten infiziert hat. Wir haben darüber nachgedacht, wo wir Intensivbetten zusätzlich betreiben können, vor allem wer diese betreibt, das funktioniert.

Das Zweite, wovon ich überzeugt bin – ich habe zwar keine Daten dazu, aber viele Experten geben mir wohl Recht – durch die strengen Hygienemaßnahmen und durch den Lockdown wird möglicherweise die Influenza-Grippe-Welle deutlich schwächer ausfallen als gewohnt, einfach deshalb, weil auch Influenza nichts anderes ist, als zu viel Kontakt von Patienten, die an einer Influenzagrippe erkrankt sind. Und der positive Effekt, den wir für Covid erhoffen, wirkt sich ganz sicher auch auf die Grippesituation aus.

noe.ORF.at: Im Frühjahr wusste man noch nicht viel über das Virus, beim Behandeln musste viel experimentiert werden. Können die Ärzte mit dem Virus heute besser umgehen?

Hörmann: Ja, ganz sicher, wobei grundsätzlich zu sagen ist, Viruserkrankung heißt, dass das Immunsystem des Körpers mit dem Virus fertig werden muss. Die Hoffnung, dass wir ähnlich wie bei Bakterien ein Antibiotikum, ein Virobatikum, finden, das direkt das Virus bekämpft, haben sich bisher nicht erfüllt. Übrig bleibt eine gute symptomorientierte Therapie, sowohl auf der Normalstation als auch auf der Intensivstation.

Es gibt derzeit zwei Medikamente: Remdesivir, das eher im frühen Verlauf der Erkrankung auf der Normalstation eingesetzt wird. Auf der Intensivstation, wenn die Patienten mehr Unterstützung für die Atmung brauchen, wenn die Beatmungspflichtig werden, hat sich Cortison Dexamethason durchgesetzt. Das dritte, das wir erkannt haben, ist, dass Covid eine Entzündung im Bereich der Gefäßwände bewirkt. Dadurch neigt der Patient sehr leicht zu Thrombose und Embolien, und da ist eigentlich auch von Beginn an eine hohe Blutverdünnung sehr zielführend.

noe.ORF.at: Sie haben jetzt auch die Beatmung der Patienten angesprochen. Da hieß es zu Beginn der Pandemie, dass es zu Behandlungsfehlern gekommen ist, nicht in Österreich, aber in anderen Ländern. Hat sich auch dabei das Wissen um die Beatmung der Patienten verbessert?

Hörmann: Der aktuelle Stand ist vielleicht in einem Stufenkonzept am einfachsten zu erklären. Wenn der Patient ins Spital kommt und die Lunge ihrer Funktion, ausreichend Sauerstoff ins Blut hinüber zu transportieren, nicht mehr nachkommen kann, ist die erste Maßnahme Sauerstoffgabe. Da bekommt der Patient über eine Sauerstoffmaske oder Atembrille Luft, dadurch wird die Luft in der Lunge mit Sauerstoff angereichert und dadurch ist es auch leichter für die erkrankte Lunge Sauerstoff ins Blut hinüberzubringen. Der nächste Schritt ist – sollte das nicht mehr reichen – mit einer nicht invasiven Beatmung, sprich da brauche ich ein Beatmungsgerät, der Patient bekommt eine Maske, entweder über Mund und Nase oder nur über den Mund, atmet selber, wird aber vom Beatmungsgerät unterstützt. Das ist meistens die Grenze zwischen Normal- und Intensivstation. Die Sauerstoffgabe funktioniert auf allen Normalstationen, aber je nach Gerätschaft und Ausbildung des Personals sind die einfacheren Schritt nicht invasiver Beatmung auf der Normalstation möglich. Wenn die Störung der Lunge größer wird, muss der Patient auf die Intensivstation gebracht werden, dort ist der nächste Schritt weiter nicht invasiv beatmen, Unterstützung des Patienten beim Amten durch das Beatmungsgerät. Sollte das noch nicht reichen, folgt die invasive Beatmung, sprich der Patient wird in den Tiefschlaf versetzt, bekommt einen Beatmungsschlauch und wird dadurch beatmet. Hier ist auch das Ziel so lange als möglich einen Teil der Spontanatmung des Patienten zu erhalten und den Rest durch das Gerät zu machen. Sollte das auch nicht reichen, kann der Patient noch auf den Bauch gedreht werden, was eine deutlich verbesserte Belüftung der Lunge, gerade bei Covid-Patienten, bringt. Sollte das auch nicht reichen ist der nächste Schritt, dass der Patient NO-Inhalation bekommt, dadurch wird das Blut zu den Lungenarealen verteilt, wo es viel Sauerstoff gibt und dadurch die Sauerstoffaufnahme verbessert und als letzte Möglichkeit, die vor allem für jüngere Patienten Sinn macht, bleibt noch die sogenannte ECMO, wo Blut aus dem Körper herausgeholt wird, mit Sauerstoff angereichert und dem Patienten wieder zurückgegeben wird. Und damit die fehlende Funktion der Lunge durch die extrakorporale Oxygenierung unterstützt werden kann.

noe.ORF.at: Das Alter spielt natürlich eine große Rolle. Wer sind jetzt die Patienten, die auf Ihrer Station behandelt werden müssen? Sind das hochbetagte Menschen, Patienten mit einer oder mehreren Vorerkrankungen?

Hörmann: Alter ist ein Faktor, aber in Summe ist es immer die Kombination aus vorbestehenden Erkrankungen, also wenn jemand Bluthochdruck, Diabetes, dialysepflichtig ist, gehört er auch schon in sehr jungem Alter zur Hochrisikogruppe. Auf der anderen Seite gibt es durchaus auch betagtere Personen, die kerngesund sind, sonst keine andere Erkrankung haben, die sind dann sicher auch anders zu bewerten. Das zweite, was erstaunlich ist, ist, dass es wirklich vom Immunsystem der betroffenen Person abhängt. Es gibt auch durchaus betagte Personen, die mit sehr wenigen Symptomen über die Covid-Infektion kommen und es gibt auch sehr junge Personen, die schwer erkrankt sind und die ECMO-Therapie brauchen.

noe.ORF.at: Das heißt Immunsystem stärken ist sozusagen das Gebot der Stunde. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Samstag bei der Pressekonferenz auch betont, dass es erst zu einer Entspannung kommen wird, wenn es einen Impfstoff gibt. Sehen Sie das auch so? Oder können unsere Organismen lernen mit diesem Virus umzugehen?

Hörmann: Bei allen, die erkrankt sind, hat der Körper schon gelernt damit umzugehen. Wie lange dieses Lernen anhält, wissen wir noch nicht, aber wenn man es mit anderen Viruserkrankungen vergleicht, wird das sicher eine Weile anhalten. Das zweite, das man sieht, ist wahrscheinlich für uns als Gesellschaft und Bevölkerung, wenn die Zahlen einmal herunten sind, ist das super, aber wir müssen uns leider an gewisse Covid-Regeln halten, sonst kann uns eine dritte Welle – wenn wir die zweite überstanden haben – auch treffen. Und bis so viele Österreicher an Covid erkrankt sind, dass wir die Impfung nicht mehr brauchen, ich glaube bis dahin ist noch einer weiter Weg.

noe.ORF.at: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass es zwei Pharmaunternehmen gibt die Daten geliefert haben, die gezeigt haben, da wirkt ein Wirkstoff, vielleicht sogar ein Impfstoff gegen das Coronavirus. Diese Daten stammen aus der entscheidenden dritten Stufe der klinischen Studie. Stimmt Sie das zuversichtlich?

Hörmann: Ich bin immer davon ausgegangen, dass bei diesen enormen Anstrengungen einen Impfstoff zu produzieren, zu guter Letzt Erfolge eingefahren werden. Ich bin ein bisschen vorsichtig, was vorab publizierte Daten betrifft, weil wir in der aktuellen Krise gelernt haben, dass sobald nur ein leichter Lichtstreifen am Horizont war, dass sofort als Lösung hinaus posaunt worden ist. Ja, ich glaube, wenn ein Impfstoff alle Zulassungen, die in Europa üblich und vorgeschrieben sind, durchgemacht hat, wird das die Situation entspannen.

noe.ORF.at: Das heißt, Sie gehen davon aus, wenn ein Impfstoff, wo wie es derzeit prognostiziert ist, Anfang oder im Frühjahr 2021 am Markt ist, tatsächlich sicher sein kann?

Hörmann: Ich denke, dass in Europa die Zulassungsschritte, so wie für alle anderen Medikamente, die bisher zugelassen wurden, auch hier der Fall sein wird und dann glaube ich, dass das ein sinnvoller Impfstoff sein wird.

noe.ORF.at: Ist es für Sie auch sinnvoll, dass medizinisches Personal als erstes geimpft werden soll?

Hörmann: Wenn wir einen sicheren Impfstoff haben muss die Strategie ganz sicher sein, dass die Risikogruppen in der Bevölkerung geimpft werden und auf der anderen Seite die, die die kranken Patienten behandeln, egal ob das jetzt Personen sind, die im Pflegeheim, Spital oder in der Hauskrankenpflege arbeiten.

noe.ORF.at: Warten auf den Impfstoff ist der eine Weg, bis dahin kann der Lockdown aber nicht dauern. Wie schnell denken Sie wird der harte Lockdown Wirkung zeigen?

Hörmann: Das hängt davon ab, wie sehr die Leute es mittragen und den harten Lockdown wirklich umsetzen. An sich ist der harte Lockdown durch die harte Beschränkung der Kontakte sicher eine sehr wirkungsvolle Maßnahme, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern. Die Frage ist natürlich, in wie viel Familien gibt es bereits einen Positiven und da wird trotz hartem Lockdown die Ansteckung der anderen Familienmitglieder nicht wirklich zu vermeiden sein. Aber ich hoffe doch, dass sich das in drei bis vier Wochen ausgehen wird, dass wir sinkende Zahlen haben, aber ich möchte auch dazusagen: Bitte nicht davon ausgehen, dass wir dann zur vollkommenden Normalität zurückkehren, dann haben wir in Kürze die dritte Welle. Das muss ein angepasstes, vernünftiges, verantwortungsbewusstes Vorgehen jedes Einzelnen sein.

noe.ORF.at: Gesundheitsminister Anschober hat betont, dass die sogenannte Reproduktionszahl von derzeit 1,2 unter eins sinken muss. Können Sie kurz erklären, was das genau bedeutet?

Hörmann: 1,2 bedeutet letztendlich, dass die Zahl der Infizierten immer weiter ansteigt, weil jeder Infizierte nicht nur einen, sondern mehr als einen ansteckt. Und am Ende des Tages wirkt sich auch die steigende Zahl an Infizierten auf die Spitalsbetten aus.

noe.ORF.at: Die Situation trifft natürlich auch das Pflegepersonal, teilweise kommt es da schon zu einer Überbelastung der Ärzteschaft und des Pflegepersonals, die mit Arbeitsbedingungen konfrontiert sind, die es bisher so nicht gegeben hat. Wie kann man hier auch das Personal entlasten?

Hörmann: Die Belastungen sind einerseits psychischer Natur, einfach weil man viele, schwer kranke Personen hat und jeden Tag mehr kommen, das andere sind die physischen Belastungen, die einfach durch die Hygienemaßnahmen und Schutzmaßnahmen erforderlich sind, wo man wirklich oft viele Stunden in einem Anzug arbeiten muss, wo einem heiß ist, wo man schwitzt und nicht trinken kann. Wir versuchen sehr den richtigen Weg zwischen notwendiger Belastung, um all die kranken Patienten zu versorgen, und Überbelastung unbedingt zu vermeiden, weil wir werden das Spitalsbett als auch das Intensivbett – auch wenn der zweite Lockdown jetzt gut funktioniert trotzdem noch brauchen, um die Patienten, die an Covid erkranken weiterhin gut betreuen zu können.

noe.ORF.at: Zu einer Überbelastung kann es natürlich auch in der Bevölkerung kommen, die Arbeitslosigkeit, Stress, psychische Belastungen, all das kann sich natürlich auch massiv auf die Gesundheit auswirken. Wie soll man denn mit diesen Kollateralschäden umgehen?

Hörmann: Wir machen den Lockdown ja nicht zum Spaß, sondern weil sich die Überlastung der Spitalsbetten klar abzeichnet, wenn es so weitergegangen wäre, wie es die vergangenen zwei, drei Wochen gegangen ist. Ich sehe das wie bei einem Medikament. Wenn sie schwer erkrankt sind, bekommen sie ein Medikament, das ihnen hilft, die Erkrankung zu bekämpfen, aber das Medikament hat natürlich auch Nebenwirkungen. Und das ist jetzt natürlich die richtige Frage der Dosis. Der Lockdown ist eine große Belastung, ganz egal ob das jetzt die Schulkinder, alleinstehende Personen oder der ältere Teil der Bevölkerung ist, der jetzt auf viele Sozialkontakte verzichten muss. Daher so kurz wie möglich und nachher viel Vernunft von allen, sodass es nicht noch einmal notwendig wird.

noe.ORF.at: Eine massive Belastung für Betroffene ist es natürlich auch, wenn geplante Operationen verschoben werden. Wie gehen Sie damit im Uniklinikum St. Pölten um? Ist bei Ihnen jeder Patient, egal ob Herzinfarkt, Schlaganfall, Unfall oder Covid-19, gleichwertig?

Hörmann: Bei den Operationen kann man unterscheiden. Es gibt Operationen, zum Beispiel ein Gelenksersatz, ein Knie- oder Hüftgelenk, was man leichter verschieben kann als einen akuten Herzinfarkt. Wir haben ganz am Anfang gesagt, dass eben nicht alle Intensivbette nicht für Covid-Infizierte freigehalten werden können, weil es ja auch andere Patienten gibt, was genauso akut und lebensbedrohlich ist, und Herzinfarkt, Hirnblutung oder Tumorerkrankung fallen sicher in die Richtung, wo wir versuchen, dass möglichst lange für die Betroffenen aufrecht zu erhalten. Und das gelingt im Augenblick.