Gewichtstier am Schoß
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Soziales

Unternehmerin näht Gewichtstiere für Kinder

Elisa Wegl aus Streithofen (Bezirk Tulln) hatte lange erfolglos nach therapeutischen Gewichtspölstern für ihren autistischen Sohn gesucht. Heute stellt sie diese selbst her und verkauft die Produkte an Kindergärten und Therapiezentren.

Elisa Wegls Sohn Tobias ist Autist. Sinneswahrnehmungen zu filtern und einzuordnen fällt ihm deutlich schwerer als Gleichaltrigen. Er begann später zu sprechen oder zu gehen. Dass er nicht nur seine Umwelt anders wahrnahm als der Rest der Familie, sondern auch sich selbst, wurde seiner Mutter sehr schnell bewusst. „Tobias hat als kleines Kind zum Beispiel einen erlittenen Knochenbruch nicht gespürt. Beim Duschen hingegen schrie er scheinbar ohne Grund als würde ich ihn mit heißem Wasser übergießen, weil er die feinen Tropfen auf seiner Haut nicht ertragen konnte. Speziell seine Tiefenwahrnehmung war schwer beeinträchtigt“, erinnert sich Elisa Wegl.

Blickt man ins Familienalbum der Wegls wird schnell deutlich, dass Tobias Beeinträchtigung viele familiäre Ressourcen forderte. Unterschiedliche Therapien begleiten ihn seit seiner frühen Kindheit. Mit dem Ratschlag einer Therapeutin begann Tobias Mutter zufolge auch die Geschichte ihrer sogenannten Gewichtstiere. „Eine seiner Therapeutinnen hat uns empfohlen, schwere Gegenstände zu besorgen und Tobias auf den Körper zu legen, damit seine Tiefenwahrnehmung gefördert wird. Nachdem ich nach wirklich langer Suche nichts gefunden hatte, habe ich selbst zu nähen begonnen.“

Schildkröten wiegen dreieinhalb Kilogramm

Nachdem Elisa Wegl für ihren damals vierjährigen Sohn etwas suchte, das kleine Kinder ansprechen und an Spielzug erinnern sollte und gleichzeitig weich und damit auch für die Nutzung beim Schlafengehen geeignet sein sollte, begann sie, spezielle Stofftiere herzustellen. Laufend experimentierte sie mit verschiedenen Stoffen und Füllungen.

Heute – sieben Jahre nach ihren ersten Nähversuchen – arbeitet sie ausschließlich mit zertifizierten Stoffen, die sowohl für die kommerzielle Verwendung als auch für Spielwaren und Therapiemittel zugelassen sind. Formen und Stoffe erinnern stark an Tiere. Ihr Gewicht bekommen die mehrere Kilogramm schweren Tiere durch ihre Füllung mit Quarzsand aus dem Bezirk Melk. Die Schildkröte ist das meistverkaufte Tier und bringt dreieinhalb Kilogramm auf die Waage. Das entspricht etwa dem Gewicht eines gut entwickelten neugeborenen Baby und ist somit deutlich schwerer als herkömmliche Stofftiere.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Tobias mit Gewichtstier
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„Helfi“ unterstützt Tobias bei der Einordnung seiner Wahrnehmungen. Seine bunten Pailletten fördern Tobias’ Konzentration und sein Gewicht von etwa drei Kilogramm gibt ihm Halt
Gewichtstier am Schoß
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Je nach Größe wiegen die Tiere zwischen zwei und sechs Kilogramm. Gekauft werden sie auch von Erwachsenen
Gewichtstier Werkstatt
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Für das Gewicht der Tiere ist Melker Quarzsand verantwortlich
Gewichtstier Werkstatt
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Mittlerweile beschäftigt Elisa Wegl zwei Mitarbeiterinnen

Gewichtstiere in Kindereinrichtungen in Verwendung

Sieben Jahre nachdem das erste Gewichtstier Elisa Wegls Werkstatt verlassen hat, spielen die Tiere eine nach wie vor große Rolle im Leben des heute elf Jahre alten Tobias. Sein Lieblingstier ist ein mit bunten Pailletten geschmückter Fisch, den er „Helfi“ nennt. Ohne Helfi kann Tobais nicht einschlafen, „sonst fliegt mein Körper davon“, erzählt er. Und auch beim Schreiben seiner Hausübung liegt ein Gewichtstier auf dem Schoß des Buben, um seine Aufmerksamkeit und Konzentration auf die Schulaufgaben zu stärken.

Das Haus der Wegls wird von hunderten Gewichtstieren bevölkert. Teile des Einfamilienhauses in Streithofen (Bezirk Tulln) wurden zur Werkstatt umfunktioniert. Mittlerweile werden die schweren Stofftiere längst nicht mehr ausschließlich für Tobias produziert und auch seine Mutter näht nicht mehr alleine. Elisa Wegl beschäftigt zwei Mitarbeiterinnen und ist stolz, beide Arbeitsplätze auch während der Pandemie gehalten zu haben. Hinter den Nähtischen lagern unzählige Kartons, in denen Schildkröten, Fische, Schafe und Co. für den Versand vorbereitet werden. Absatz finden die therapeutischen Spezialpölster nicht nur bei Familien, sondern auch in Kindergärten, Schulen oder Therapieeinrichtungen.

Aufbau eines sozialen Unternehmens

Gewinn zu machen, ist nicht das vordergründige Ziel von Elisa Wegl. Sie selbst ist Teilzeit in einer Bank beschäftigt, aber stolz, die Produktion sowie die zwei bisher geschaffenen Arbeitsplätze durch den Verkauf der Tiere decken zu können. Beim Wachstum ihres „eigentlich unbeabsichtigt gegründeten Unternehmens“ – wie sie es selbst nennt – legt sie wert auf soziale Aspekte. So richtete sie etwa kürzlich einen Spendentopf für sozial benachteiligte Familien ein. „Mir ist wichtig, dass jedes Kind, dem ein Gewichtstier hilft, auch eines bekommen kann. Gespeist wird der Topf mit Teilbeträgen aus dem herkömmlichen Verkauf, sodass auch Kinder aus benachteiligten Familien zu einem Tier kommen“, so Wegl gegenüber noe.ORF.at.

Dass aus ihren ersten Näharbeiten für ihren Sohn ein kleines Unternehmen werden würde, hätte sie zu Beginn weder gedacht noch erwartet, erzählt die Jungunternehmerin. Für die Zukunft hat sie ein klares Ziel vor Augen – sowohl für Tobias als auch für Ihre Firma. Sie hofft, dass das Unternehmen noch so weit wächst, um Tobias einen sicheren Arbeitsplatz zu ermöglichen. „Wir wissen alle, dass es Menschen mit Beeinträchtigungen am Arbeitsmarkt leider sehr schwer haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass mein Sohn hier einen wertschätzenden und erfüllenden Arbeitsplatz findet.“