Länderkonferenz im NÖ Landhaus im September 1945. Am Rednerpult Staatskanzler Karl Renner
ORF/ÖNB/Fritz Zvacek
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Politik

Vor 150 Jahren geboren: Karl Renner

Nur wenige Namen sind so mit Österreichs Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden, wie der von Karl Renner. Am Montag jährt sich sein Geburtstag zum 150. Mal. Ein Museum in Gloggnitz (Bezirk Neunkirchen) würdigt seine Verdienste bei der zweimaligen Gründung der Republik.

Karl Renner wurde am 14. Dezember 1870 als eines von 18 Kindern einer Weinbauernfamilie in Südmähren geboren. Nach der Matura ging er nach Wien, um Rechtswissenschaft zu studieren. In Wien kam er mit der jungen sozialdemokratischen Bewegung in Kontakt. Er lernte deren Protagonisten wie Victor Adler kennen und war bald selbst in einer der kleinen sozialistischen Zellen Wiens aktiv.

1918 und 1945: Als Staatskanzler Weichen gestellt

1907 wurde Renner sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter. Mit dem Ende der Monarchie wurde er am 30. Oktober 1918 zum Leiter der Staatskanzlei berufen. Als Staatskanzler sah er seine Aufgabe im Aufbau einer Republik Deutschösterreich, gleichzeitig jedoch in deren Anschluss an eine sozialistisch regierte Deutsche Republik. Die Koalition von Sozialdemokraten und Christlichsozialen unter seiner Führung scheiterte 1920. Renner war in einem Übergangskabinett nur noch Leiter des Außenressorts. Nach der Wahlniederlage im Oktober 1920 zog er sich zunächst weitgehend aus der Politik zurück.

Renner widmete sich nun intensiv der Weiterentwicklung des von ihm mitbegründeten Genossenschaftswesens und gründete 1923 die Arbeiterbank. Im Zuge der Ereignisse des Jahres 1927 wieder auf die politische Bühne zurückgekehrt, wurde Renner am 29. April 1931 zum Nationalratspräsidenten gewählt. Als solcher trat er in der historischen Sitzung vom 1. März 1933 zurück und löste jene Kettenreaktion aus, die zum Ende des Parlaments und letztendlich zum Ständestaat unter Dollfuß führte. Am 12. Februar 1934 wurde Renner verhaftet, aber nach kurzer Zeit wieder entlassen. Er zog sich in seine Villa nach Gloggnitz (Bezirk Neunkirchen) zurück, um die folgenden Jahre in weitgehender Isolation zu verbringen.

Karl Renner und Theodor Körner am 27. April in Wien
APA/Heeresgeschichtliches Museum Wien
29. April 1945, Wien: Staatskanzler Karl Renner winkt nach der Konstituierung der provisorischen Staatsregierung der Bevölkerung zu, rechts neben ihm Theodor Körner, seit 17. April 1945 Bürgermeister von Wien

Im April 1938 traf Renner jene Entscheidung, die bis heute vielfach als größter Fehler seines politischen Lebens beurteilt wird: Er erklärte öffentlich sein „Ja“ zur Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. Renner meldete sich im April 1945, als die sowjetischen Truppen Österreich erreicht hatten, zurück und bot seine Dienste bei der Wiedererrichtung der Republik an. Als Staatskanzler leitete er die erste provisorische Regierung. Kurz nach der ersten freien Nationalratswahl am 25. November 1945 wählte die Bundesversammlung Renner zum Bundespräsidenten. Die vollständige Freiheit Österreichs erlebte Renner nicht mehr. Er starb am 31. Dezember 1950 in Wien.

Manche Entscheidungen werden bis heute diskutiert

Der Historiker Siegfried Nasko, von 1991 bis 2003 für die SPÖ Kulturstadtrat in St. Pölten, ist einer der kenntnisreichsten und führenden Renner-Experten. Anlässlich seines 2016 im Residenz-Verlag erschienenen Buchs „Karl Renner. Zu Unrecht umstritten? Eine Wahrheitssuche“ sagte Nasko: „Renner war keinesfalls ein wahlloser Aktivist und Opportunist. Vielmehr packte er stets dort an, wo sich andere der Politik verweigerten. In erster Linie wollte Renner damit Leid, Hunger, Arbeitslosigkeit und Gewalt durch Annäherung an den Staat von der eigenen Bevölkerung abwenden.“

Länderkonferenz im NÖ Landhaus in Wien im September 1945. Am Rednerpult Staatskanzler Karl Renner davor die Mitglieder der Staatsregierung
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Karl Renner hält bei der Länderkonferenz im September 1945 im Niederösterreichischen Landhaus in Wien eine Rede (siehe auch Bild oben), vor dem Rednerpult Mitglieder der provisorischen Staatsregierung

Dieses 1917 formulierte Prinzip habe Renner in allen fünf verschiedenen staatlichen Systemen seiner acht Lebensjahrzehnte eingehalten: „In der Monarchie mit seinen Reformversuchen, zweimal als Staatskanzler der Ersten und Zweiten Republik, mit seinem Staatsnotstandsgesetz gegenüber Engelbert Dollfuß und mit seinem umstrittenen ‚Ja‘ zum Anschluss 1938. Sein Eingreifen sollte den jeweiligen Staat milder stimmen und dessen Gewalt abfedern helfen.“

Politische Wendigkeit oder politische Taktik?

„Karl Renner war einer der bedeutendsten und zugleich einer der umstrittensten Politiker Österreichs im 20. Jahrhundert“, schrieb Michael Gehler in seinem Artikel über Naskos Buch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“). Renner habe sich vom Anschluss-Denken erst nach der alliierten Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 gelöst, die dann die Befreiung und Unabhängigkeit Österreichs verheißen sollte, so der Autor.

„Er (Renner, Anm. ) propagierte ausgehend davon die Opfer-These, gleichwohl der eigene Beitrag zur Selbstbefreiung gering war. Für Stalin, dem sich Renner 1945 geschickt angedient hatte, war entscheidend, dass er für Österreichs völlige Unabhängigkeit eintrat und damit dem Anschluss-Gedanken abschwor. So wurde Renner Chef einer provisorischen Regierung, die die Basis für die staatliche Einheit trotz Zonentrennung schuf. Er war stets flexibel, offen und vielseitig. Manchen erscheint das heute noch als purer Opportunismus. Erfolgreiche Politik ist davon aber nie ganz frei“, so Gehler.

Gerhard Strejcek, Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Wien, charakterisierte Karl Renner, das „rote Urgestein“, Anfang Dezember in seinem Aufsatz „Im Chefsessel der Republik“ folgendermaßen: „Renner, der wegen seiner politischen Wendigkeit gegeißelt wurde, muss im Licht seiner theoretischen Leistungen gesehen werden, denen schon bisher die Aufmerksamkeit der Fachwelt galt. Auffällig waren seine Vitalität, sein Fleiß, seine Vielseitigkeit und sein Optimismus. In einem acht Jahrzehnte währenden Leben vollbrachte er titanische Leistungen, begab sich mutig in die Hände der Nazis und der Roten Armee und schrieb Abhandlungen, mit denen er es auch zu einem Gelehrten von Rang gebracht hätte.“