Landestheater Niederösterreich in St. Pölten
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Kultur

Bewegte Zeiten: 200 Jahre Landestheater

Am Stefanitag 1820 wurde im Theater in St. Pölten die erste Premiere gezeigt. Heuer wollte es das 200-Jahr-Jubiläum groß feiern. Die Pandemie vereitelte aber alle Pläne. Ein Blick ins Archiv zeigt, dass das Theater immer wieder bewegte Zeiten erlebte.

Eine kräftige Zäsur erfuhr das Haus in der Spielzeit 2005/ 2006, als das Land Niederösterreich das Theater von der Stadt St. Pölten übernahm. Die Kosten für das Krankenhaus und den großen Bühnenbetrieb erwiesen sich als zu große finanzielle Last für die budgetär stark gebeutelte Stadt. Das Land Niederösterreich entschied sich dafür, den Betrieb mit Oper, Operette, Musical Tanz und Schauspiel auf eine Sparte, nämlich das Sprechtheater, zu reduzieren.

Der Erfolg scheint den Entscheidungsträgern jener Tage Recht zu geben. Bereits im Jahr 2011 wurde die damalige Landestheater-Intendantin Isabella Suppanz für einen Spezial-Nestroy „als für den Aufschwung des Landestheaters Niederösterreich verantwortliche Intendantin“ nominiert. Viele weitere Auszeichnungen dieses höchsten österreichischen Theaterpreises wurden seither gewonnen. Mit dem Stück Königsweg schaffte es das Landestheater zweimal in die New York Times und wurde zu den fünf besten Sprechtheatern Europas gewählt.

Probenarbeit
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Aktuell laufen in St. Pölten die Proben zum neuen Stück „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller

Ein interessantes Haus für Produktionen und Publikum

„Die Fokussierung auf diese eine Sparte war garantiert die relevanteste Entscheidung in diesem Zusammenhang. Das hat dazu geführt, dass wir mittlerweile international einen Namen haben“, so Olivia Khalil, die Geschäftsführerin des Landestheaters. Das Landestheater in St. Pölten wird seit Jahren immer wieder zu Gastspielen eingeladen und präsentiert auch dem St. Pöltener Publikum Produktionen anderer Länder. „Wir arbeiten etwa mit Theatern in Luxemburg oder in Bozen, zudem gibt es eine Zusammenarbeit mit Tschechien. Die Kooperationen mit Nachbarländern wirkt auch inspirierend. Da entstehen natürlich ganz neue Theaterformen“, freut sich Marie Rötzer

Auch für Schauspieler und Schauspielerinnen aus anderen Ländern wurde Niederösterreichs Landeshauptstadt interessant. „Ich habe auf einer Riesenbühne in Düsseldorf gespielt oder in Hamburg, aber hier in St. Pölten empfinde ich die Größe als ideal, weil es davon lebt, dass man interagiert, dass man das Publikum spürt und mit ihm das Stück entwickelt“, erzählte beispielsweise die Schauspielerin Bettina Kerl.

Der Bischof als erster Aktionär

Wir wechseln ins Archiv der Stadt St. Pölten, um knapp vor das Jahr 1820 zurückzugehen, als eine Aktiengesellschaft zur Errichtung eines Theaters gegründet wurde. Die erste Aktie zeichnete ausgerechnet der Diözesanbischof – und das war mehr als nur eine symbolische Geste des Kirchenmannes, erläuterte Thomas Pulle, der Leiter des Stadtmuseums St. Pölten: „Die Bürger der Stadt holten sich mit diesem ersten Aktionär nicht einfach nur den Segen der Kirche. Bischof Johann Nepomuk von Dankesreiter war sehr kunstsinnig. Er hat zum Beispiel im Jahr 1821 auch dafür gesorgt, dass Franz Schubert nach St. Pölten kam und hier einen Monat an seiner Oper ,Alfonso und Estrella’ gearbeitet hat.“

Es war ungewöhnlich für die damalige Zeit, dass die Bürger einer Region ein Theater bauten, dass es nicht von einem Fürsten oder anderen Magnaten geschaffen wurde, um zu repräsentieren und sich und Seinesgleichen Unterhaltung zu verschaffen. Intendantin Maire Rötzer wertet dies als ein Zeichen für eine durchaus „Theaterwütige“ Stadt, wie sie sagt.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Archivbild
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Das Landestheater Niederösterreich (ganz hinten links) am St. Pöltner Rathausplatz
Ritter von Dankesreither
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Bischof Johann Nepomuk von Dankesreiter
Erste Theater-Aktie
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Im Besitz des St. Pöltner Stadtarchivs ist die erste Aktie der damaligen Gesellschaft des Theaterbaues
Stadttheater
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Das ehemalige Stadttheater entwickelte sich im Lauf von 200 Jahren zum international anerkannten Landestheater
Archivbild
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Damals wie heute war das Theater ein wesentlicher kultureller Treffpunkt Niederösterreichs

Das erste Theater entstand aus dem umgebauten des Stadtgefängnis und es wurden auch, wie das Beispiel des „Lumpazivagabundus“ zeigt, viele Stücke bereits kurze Zeit nach der Premiere in Wien, in St. Pölten herausgebracht. Es wurden früh auch bereits Bälle im Theater veranstaltet, um die Einnahmen der Aktiengesellschaft zu heben. Dennoch: in der Saison 1847/48 wurde das Theater an die Stadt verkauft.

Der Wandel durch mehr Sicherheit für das Publikum

Nach dem verheerenden Brand 1881 im Ringtheater in Wien mit mindestens 385 Toten musste auch das Stadttheater in St. Pölten geschlossen werden, führt Thomas Pulle, Leiter des Stadtmuseums, aus: „Das St. Pöltener Theater musste schließen, weil es diese nun erhöhten Sicherheitsanforderungen nicht erfüllen konnte. Erst 1886 konnte dann langsam wieder mit einem Theaterbetrieb begonnen werden und 1896 hat man schließlich ein vollkommen neues Theater gebaut.“

Ab dann wurden alle Sparten bedient: Oper, Operette, Lustspiel, klassische Tragödien. Gerade in Kriegszeiten – das verdeutlichen unter anderem die gesammelten Theaterzettel aus dem Jahr 1917/18 – war das Bedürfnis nach Zerstreuung besonders groß. Viele Talente durften im Theater in St. Pölten ihre ersten Erfahrungen sammeln. „Eines davon war Peter Minnich, der zuerst als reiner Sprechtheater-Schauspieler engagiert wurde und Shakespeare-Rollen verkörpert hat. Erst nach einem Jahr wurde entdeckt, dass er eine sehr schöne Singstimme hat und es wurden ihm Gesangsstunden in Wien bezahlt. Das war der Beginn einer ganz großen Operetten-Karriere“, sagt Thomas Pulle schmunzelnd.

Das heutige Aussehen – mit der Erweiterung eines zweiten Stockwerkes – erhielt das Theater erst 1969. Mit jedem Umbau wurde mit zunehmender Beachtung der Sicherheit der Gäste die Anzahl der Sitzplätze reduziert. Angefangen wurde einst mit etwa 500, derzeit liegt das Haus im großen Saal bei 357 Sitzen. Jetzt, Pandemie-bedingt, ist die Bestuhlung wegen der Abstandsregeln auf unter 200 Besucher ausgelegt. „Wir kommen wieder“ prangt ein Schild, selbstbewusst und optimistisch derzeit auf der Fassade des Landestheaters. Viele aktuelle und preisgekrönte Produktionen werden derzeit via Internet-Stream dem Publikum angeboten.