Ganz persönlich Michael Landau
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„Ganz persönlich“

Landau für „Zusammenhalt und Zuversicht“

Aus der Coronavirus-Pandemie darf keine soziale Pandemie werden, warnt Caritas-Präsident Michael Landau. Zudem fordert er im ORF-NÖ-Interview eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Sein Motto für das noch junge Jahr: „Zuversicht und Zusammenhalt“.

Österreich habe einen hohen Grundwasserspiegel der Solidarität, sagt Michael Landau im „Ganz persönlich“-Interview. Landau, der mit 32 Jahren in Rom zum Priester geweiht wurde und mittlerweile seit 25 Jahren Caritas-Präsident ist, geht zuversichtlich in das neue Jahr. Neben einer Erhöhung des Arbeitslosengeldes fordert er auch beim Sozialhilfegesetz „noch mal hinzuschauen“.

noe.ORF.at: Ist seit Beginn der Krise in den Einrichtungen der Caritas, in den Beratungsstellen oder auch in den Second-Hand-Geschäften mehr los?

Michael Landau: Ja, es sind mehr Menschen zu uns gekommen, die nie gedacht haben, dass sie einmal die Hilfe der Caritas in Anspruch nehmen werden: Alleinerziehende, kinderreiche Familien oder auch kleine Unternehmer, die es nicht geschafft haben, ihr Unternehmen stabil zu halten. Ich erinnere mich an eine Geschichte einer Frau aus Wiener Neustadt, die als Kosmetikerin tätig war und im Lockdown ohne Einnahmen war. Sie hat von ihrer Tochter das Sparschwein erbeten, um Essen einkaufen gehen zu können. Das sind zum Teil dramatische Situationen. Wir werden in diesem Jahr massiv gefordert sein, wenn ich etwa an die Zahl der Menschen denke, die arbeitslos sind.

noe.ORF.at: noe.orf.at: Sie fordern ja eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes und auch eine Reform des Sozialhilfegesetzes.

Landau: Die Rekordarbeitslosigkeit erfordert eine Rekordverantwortung. Es wird gut sein, positive Erfahrungen der Vergangenheit, ich denke etwa an die „Aktion 20.000“, wieder aufzugreifen. Da wurden für ältere Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwerer haben, Möglichkeiten geschaffen, wieder eine sinnvolle Aufgabe wahrzunehmen.

Ich habe auch den Eindruck, dass auf die Situation kinderreicher Familien nicht so Rücksicht genommen wird, wie es notwendig ist. Das muss man sich auch noch einmal anschauen, denke ich. Es wird heuer darum gehen, das soziale Gefüge stabil zu halten. Mir ist ein Bild wichtig geworden: Die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und die Qualität der sozialen Sicherheit in einem Land sind zwei Pfeiler ein und derselben Brücke. Die Brücke braucht beide Pfeiler und jetzt geht es darum beide stabil zu halten.

noe.ORF.at: Ein sehr herausfordernder Bereich ist die Pflege. Das größte Problem ist der Personalmangel, da sind sich alle einig. Was ist da Ihrer Meinung nach nötig?

Landau: Ich glaube, ein wesentliches Element ist es, die Ausbildungszugänge zu verbessern. Das heißt, Schwellen für Berufseinsteiger zu beseitigen. Wir werden ganz unterschiedliche Zugänge brauchen. Die neue Schule in Gaming (Schule für Sozialbetreuungsberufe mit Maturaabschluss in Niederösterreich, Anm.) wird sehr gut angenommen. Man könnte auch eine Pilotierung einer Pflegelehre überlegen. Man wird Stipendien brauchen, für jene, die umsatteln wollen.

noe.ORF.at: Aber geht es nicht auch um die Bezahlung?

Landau: Auch das wird Thema sein. Wir haben immer ganz klar gesagt, Applaus allein reicht nicht. Das ist ein Thema, das man mit dem Bund, den Ländern und den Gemeinden behandeln muss. Das ist nicht Sache der einzelnen Träger und es ist auch eine Frage, wie man Arbeit bewertet.

noe.ORF.at: Pflegereformen wurden schon von vielen Regierungen angekündigt. Geschieht hier genug?

Landau: Durch die Coronavirus-Krise ist das angekündigte große Projekt „Pflege“, wo die Personaloffensive eine Säule ist, ein Stück weit verzögert worden. Ich hoffe, dass das jetzt mit großer Energie angegangen wird.

noe.ORF.at: Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hat das Coronavirus in den Pflegeheimen gewütet. Wie wird denn die Caritas in punkto Impfung vorgehen? Wird es eine Empfehlung an die Mitarbeiter geben, sich impfen zu lassen?

Landau: Ich kann zunächst einmal für mich ganz klar sagen: Ich lasse mich impfen. Das ist ein wichtiger Beitrag, die Pandemie zu bekämpfen. Und ich glaube, dass die Mitarbeiter ein gutes Verantwortungsbewusstsein haben.

noe.ORF.at: Aber was werden Sie beispielsweise Pflegern sagen, die sich nicht impfen lassen wolle? Das ist für manche Angehörige sicherlich eine große Sorge.

Landau: Ich setze auf die Vernunft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich fand es ein gutes Zeichen, dass am Ende des Jahres noch die Impfung gekommen ist, weil damit die Chance da ist, die Situation nachhaltig zum Guten zu verändern. Diese Chance sollten wir miteinander ergreifen.

noe.ORF.at: Für viele kommt die Impfung zu spät. Tausende sind in Österreich an oder mit dem Coronavirus gestorben. Viele von ihnen allein. Wie kann man da Trost spenden?

Landau: In unseren Häusern gab es die Möglichkeit sich zu verabschieden. Ich bin fest davon überzeugt, das letzte Wort hat nicht der Tod, sondern das Leben. Das letzte Wort hat die Auferstehung und die Gemeinschaft bei Gott. Unsere eigene Sterblichkeit ist uns in dieser Krise schmerzlich vor Augen geführt worden. Es ist aber auch eine Erinnerung, dass wir am Ende des Lebens wahrscheinlich nicht vor der Frage stehen, wieviel wir verdient haben, oder welche Titel wir gehabt haben. Das ist alles angenehm, ich will darüber nicht scherzen. Aber das, was am Ende zählt, wahrscheinlich auf eine andere Art, ist nämlich, ob wir aufeinander geachtet haben, ob wir füreinander da waren, ob wir als Menschen gelebt haben.

noe.ORF.at: Michael Landau, Sie haben Biochemie studiert. Sie wurden erst mit 18 getauft, mit 32 in Rom zum Priester geweiht. Wie kam es, dass Sie sich für das Priestertum entschieden haben?

Landau: Während des Studiums ist der Gedanke gewachsen, dass Priester der richtige Lebensweg sein könnte. Ich sage immer, als Naturwissenschaftler hat man eine klare Vorstellung davon, was eine Wissenschaft ist, und Theologie ist einfach keine (lacht).

Ich habe mir gesagt, ich fange jetzt mal mit Theologie an. Wahrscheinlich ist es wirklich langweilig und dann ist es gescheit, nicht sein Leben damit zu verbringen, aber wider Erwarten war es nicht langweilig, sondern ein wirklich schönes Studium. Ich glaube, dass es für jeden Menschen eine Berufung gibt.

Ich bin sehr, sehr dankbar. Ich bin jetzt seit 25 Jahren Caritas-Direktor, also echt lange, und es ist die schönste Aufgabe, die man haben kann. Wahr ist, ich sehe sehr viel Leid. Aber ich sehe auch die Bereitschaft für andere da zu sein. Jede Stunde sind Menschen im Einsatz für andere mit viel Herzkraft, ganz viel Liebe und Engagement. Wir können Dinge zum Positiven verändern. Und das ist es auch, was mich in der aktuellen Situation zuversichtlich stimmt.

noe.oOf.at: Wenn Sie dem noch sehr jungen Jahr 2021 eine Überschrift geben, wie würde die lauten?

Landau: Zusammenhalt und Zuversicht. Wir werden den Weg bewältigen, auch wenn er steil ist. Entscheidend ist, dass wir zusammenstehen und nicht auf die Schwächsten vergessen. Das hat Österreich ja in Wahrheit groß gemacht: Auf die Schwächsten schauen. Österreich hat einen guten Grundwasserspiegel der Solidarität.