Als wir Erwin Wurm im Weinviertel besuchen, herrscht große Betriebsamkeit auf dem Gelände. Ein großer Lastwagen steht vor der Halle des Ateliers. Mannshohe Kisten mit Kunstwerken werden ausgeladen. Sie kommen gerade von einer Ausstellung in New York zurück. Erwin Wurms Arbeiten sind bei Kunstsammlern, Galeristen und Museen sehr begehrt. Daran hat sich auch in Zeiten der Pandemie nichts geändert. Und dennoch denkt der sensible Künstler bereits weiter, wie es sich im Gespräch zeigt.
noe.ORF.at: Herr Wurm, mit Ihren Arbeiten mit mannshohen, prallen Würsten, mit Knackwürsten, die Häuser eindrücken, mit den verfetteten Autos oder Häusern prangern Sie auf listige und lustige Weise unsere Überflussgesellschaft an, kritisieren den Raubbau an der Natur, die menschliche Gier. Wie geht es Ihnen angesichts der Pandemie, die uns alle derzeit so beherrscht?
Erwin Wurm: Ich sage Ihnen, die Pandemie wird beherrschbar werden, aber die größeren Aufgaben warten noch auf uns alle: Die Natur geht ein, der Wald stirbt, die Ozeane und die Gletscher leiden unter unseren Gepflogenheiten. Das ist ein Horror. Da ist all das, was wir jetzt erleben, gar nichts dagegen, fürchte ich.
Es war mit Erstaunen zu beobachten, wie schnell sich die eine oder andere Umweltsituation in den Zeiten der weltweiten Lockdowns erholt hat. Das gibt ein wenig Hoffnung, dass man sieht, wie schnell sich gewisse Szenarien verlangsamen, wenn man nur will. Nie hätte man vor der Pandemie gedacht, den Flugverkehr zu minimieren und anderes mehr. Plötzlich geht es, und die Natur atmet kurz durch. Das ist schon spannend.
noe.ORF.at: Sie setzen den Humor bewusst als künstlerische Waffe ein?
Wurm: Unsere Realität ist ja so absurd, dass man sich schon fragen kann, wo bin ich da denn hingeraten. Da ist ja das Absurde Theater, das ich im Übrigen sehr schätze, ein Schmarren dagegen. Ich hantiere gerne mit dem Paradoxen, manchmal sind meine Ideen dann zum Lachen, manchmal mehr zum Weinen, so ist halt meine Arbeit aufgebaut.
noe.ORF.at: Wie erleben Sie die derzeitige Situation mit den Lockdowns und Lockerungen?
Wurm: Das Arbeiten ist für mich super. Ich kann selten so gut arbeiten wie jetzt, weil ich wenig reisen muss. Es kommen auch kaum Leute vorbei. Ich habe einfach mehr Zeit für mich und meine Projekte. Ich kann über neuen Ideen brüten, mein Schaffen viel mehr und besser kontrollieren, als es sonst der Fall wäre.
Ich habe auch keinen Stress, für die diversen Kunstmessen etwas Neues zu produzieren. Denn die Galeristen wollen für die Präsentationen auf den Messen immer das Neueste von einem Künstler. Eigentlich ist das verrückt, als ob das Vergangene keine Bedeutung mehr hätte. Das gilt offenbar wohl erst in dem Moment wieder etwas, wenn man verstorben ist. Eigentlich ist das schon grotesk. Aber Kunstmessen gibt es derzeit keine.
noe.ORF.at: Das heißt, Sie organisieren Ihre Ausstellungen heute anders als vor der Pandemie?
Wurm: Wir haben mehrere Ausstellungen gemacht, eine davon ist nach Taiwan gegangen, da hätte ich mitfliegen müssen. Aber das ging ja aus bekannten Gründen nicht. Wir wickelten das dann via long distance instruction ab. Das war eine große Ausstellung auf 1.200 Quadratmetern, und es hat super funktioniert. Alles ist dort gemäß unseren Anweisungen gemacht worden. Wir hatten 140.000 Besucher und Besucherinnen. So geht es also auch.
noe.ORF.at: Wie gestaltete sich Ihr privates Leben in diesen Monaten?
Wurm: Ich bin mir meiner privilegierten Situation sehr bewusst, wohl wissend, dass es vielen Leuten schlecht geht. Wenn man mit Familie in einer Zwei- oder Dreizimmerwohnung die Pandemie durchlebt, kann einem sehr schnell die Decke auf den Kopf fallen, der Familienfrieden in Gefahr geraten. Ich habe hier im Weinviertel einen großen Garten, kann in der Natur mit dem Hund spazieren gehen. Meiner elfjährigen Tochter fehlen allerdings mittlerweile die Schulkameradinnen sehr. Doch das ändert sich ja bald wieder.