Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie stieg die Zahl der von der Polizei ausgesprochenen Annäherungs- bzw. Betretungsverbote leicht an. Seither liegt sie österreichweit recht konstant bei bei etwa 1.000 pro Monat. In Niederösterreich wurden im Jänner 184 Annäherungs- bzw. Betretungsverbote registriert, im Februar 150.
Anders als noch vor zehn Jahren ist häusliche Gewalt nicht mehr vorrangig auf die eigenen vier Wände beschränkt. Immer mehr Frauen werden im Internet Opfer von Stalking bzw. beharrlicher Verfolgungen, berichten die Gewaltschutzzentren. Die Pandemie dürfte diesem Trend weiter Vorschub leisten. Laut Michaela Egger, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrum Niederösterreich, suchen immer mehr Betroffene von Cybergewalt Beratung.
Verfolgung lauert überall und jederzeit
Die Formen der Gewalt variieren, nicht selten dienen sie der Überwachung von Frauen bzw. haben zum Ziel, deren soziale Kontakte zu beeinträchtigen, erzählt Egger. Als Beispiele nennt sie zunehmende Videoüberwachung, das Erstellen von falschen Profilen in sozialen Medien, das Teilen privater bzw. pornografischer Bilder und Videos oder die Installation von Apps, durch die gestalkte Personen jederzeit und überall unter der Beobachtung ihrer Verfolger stehen.
„Meist wissen die Betroffenen lange nicht, dass sie geortet werden, weil die Apps unsichtbar im Hintergrund ihrer Smartphones laufen. Bemerkt wird es von den Klientinnen dann, wenn der Gefährder offensichtlich permanent weiß, wo sie sich aufhalten. Dieser Umstand macht natürlich etwas mit Personen, wenn sie auf Schritt und Tritt verfolgt werden und das Gefühl haben unter Beobachtung zu stehen“, so die Expertin.
Online-Stalker stammen meist aus persönlichem Umfeld
Magdalena Habringer kennt solche Phänomene sowohl aus ihrem Beruf als Sozialarbeiterin als auch aus ihrer Forschungstätigkeit. Derzeit untersucht sie Formen von Cybergewalt und wie ihnen am besten begegnet werden kann. Habringer zufolge sind die Opfer von Cybergewalt überwiegend Frauen, die Stalker sind meist deren Partner oder Expartner. In den seltensten Fällen werden Frauen von Fremden verfolgt.
„Damit ist Cybergewalt meist eine Form der häuslichen Gewalt. Zudem sind Handys und Laptops mittlerweile Alltagsgegenstände. Folglich können sie von den allermeisten bedient werden. Außerdem wissen wir alle, wie wir diese Geräte potenziell missbräuchlich bedienen können und das wissen auch die Gefährder“, so Habringer. Die Gefahr bei Tätern aus dem nahen Umfeld der Frauen sei groß, denn im Gegensatz zu Fremden haben sie „einen enormen Datenpool, auf den sie zugreifen können und nützen die Nähe und das Wissen zu den Frauen, um sie unter Druck zu setzen.“
Egger: „Es braucht Gesetzesänderung“
Michaela Egger zufolge würden Gewaltschutzzentren aber in den wenigsten Fällen in Cybergewaltfälle involviert. Dafür verantwortlich ist eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2019. Seither ist es der Polizei aus Datenschutzgründen nicht mehr erlaubt, Anzeigen an Gewaltschutzzentren weiterzuleiten und Betroffene damit an Hilfsangebote weiterzuleiten.
„Jetzt müssen sich die Frauen aktiv bei uns melden und das passiert leider nicht immer. So wurden im Jahr 2020 ca. 300 Anzeigen wegen beharrlicher Verfolgung bei der Polizei erstattet, vier davon sind letztlich bei uns gelandet.“ In Anbetracht der konstanten Zunahme von Cybergewalt wünscht sie sich eine Gesetzesänderung, die Gewaltschutzzentren nun wieder involviert. „Schließlich haben wir den Auftrag, uns um Personen zu kümmern, die von Gewalt betroffen sind. Leider können wir das in diesem Fall nicht mehr.“
Frauenministerin setzt auf Fortbildungsinitiative
Auf diesen Vorstoß reagierte Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) am Mittwoch bei einem Besuch im Gewaltschutzzentrum St. Pölten auf Nachfrage von noe.ORF.at mit Vorsicht. Sie äußerte „datenschutzrechtliche“ Bedenken, wolle „das Anliegen aber mitnehmen“. Stattdessen kündigte sie eine Fortbildungsinitiative ab März für alle Gewaltschutzzentren in Österreich an. „Wir wollen die Mitarbeiterinnen in den Gewaltschutzzentren umfassend schulen in Bezug auf Cybergewalt, damit Frauen dort kompetente Ansprechpersonen zur Verfügung stehen“, so die Ministerin.
Bewusstseinsbildung von Kindheit an
Prävention lautet auch die Prämisse von Niederösterreichs Frauenlandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP). Sie plädierte für Bewusstseinsbildung gegenüber Gewalt bereits in der Schule. Dazu würden bereits Initiativen laufen, die sowohl bei Buben als auch bei Mädchen das Bewusstsein für Gewalt, Grenzen und Verletzungen schärfen und auch das pädagogische Personal spiele hier eine Rolle. „Lehrerinnen und Lehrer können sich heute schon mit dem Thema beschäftigen, hier gibt es bereits Schulungen in Hinsicht auf Gewaltprävention. Wir sind hier aber jederzeit bereit, das Angebot zu verstärken.“
Nachdem Kinder bereits sehr früh in den Kontakt mit Smartphones kommen, ortet auch Michaela Egger einen großen Aufklärungsbedarf von früher Kindheit an. „Stalking hat sich mit dem Internet ausgedehnt. Mit den digitalen Medien ist der Raum, in dem ich jemanden verfolgen kann, immens gewachsen – und ebenso die Möglichkeiten, Fotos von anderen zu retuschieren oder Nachrichten zu verbreiten. Das Betätigungsfeld ist mittlerweile grenzenlos.“