Äpfel, Zwiebel und Knoblauch in Holzkisten
ORF/Thomas Koppensteiner
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Chronik

Selbstbedienungsläden boomen in der Krise

24 Stunden pro Tag einkaufen, sieben Tage die Woche: In Niederösterreich gibt es immer mehr Selbstbedienungsläden, in denen Lebensmittel gekauft werden können. Auch Gärtnereien haben die Handkassa für sich entdeckt.

In Kilb (Bezirk Melk) wurde Anfang März in einem ehemaligen Lebensmittelgeschäft, das seit Jahren leerstand, das sogenannte „Marktplatzl“ eröffnet. Die Idee stammt von sechs Landwirten und wurde auch wegen der Coronavirus-Krise vorangetrieben. „Ich hatte zuhause bereits seit vier Jahren einen Hofladen“, sagte Birgit Sterkl, eine der Mitbegründerinnen des Selbstbedienungsladens, „man hat gesehen, dass er von den Konsumenten gut angenommen wird. Durch Corona ist das noch mehr geworden.“

Das „Kilber Marktplatzl“ hat täglich von 6.00 bis 21.00 Uhr geöffnet und wird von 45 Produzenten beliefert, die aus einem Umkreis von zirka 30 Kilometer kommen. Mittlerweile befinden sich laut Sterkl rund 500 bis 600 verschiedene Produkte in den Regalen: von Äpfeln, Kartoffeln und Fleisch über Milch, Joghurt und Aufstriche bis hin zu Nudeln, Brot und Säften. Alkoholische Getränke befinden sich in einem separaten Raum, für den man sich extra ausweisen muss, etwa mit einem Führerschein.

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Kirchturm in Kilb und Selbstbedienungsladen „Marktplatzl“
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Der Selbstbedienungsladen im Gemeindezentrum von Kilb wurde Anfang März eröffnet
Selbstbedienungsladen „Kilber Marktplatzl“ von außen
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Das „Marktplatzl“ hat täglich von 6.00 bis 21.00 Uhr geöffnet
Innenansicht des Selbstbedienungsladens
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Das Laden ermöglicht kontaktloses Einkaufen. Personal gibt es keines
Regale mit Nudeln, Eiern und Honig
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45 Produzenten aus einem Umkreis von etwa 30 Kilometern beliefern das „Marktplatzl“
eine Kundin beim Einscannen des Einkaufs
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Die Kundinnen und Kunden scannen ihren Einkauf ein und bezahlen anschließend bar oder mit Karte
Regale mit Säften
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Jeder Produzent ist selbst dafür verantwortlich, dass „sein“ Regal nicht leer ist

„Leute sind sehr ehrlich“

Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter gibt es im „Kilber Marktplatzl“ keine. Die Kundinnen und Kunden suchen sich im 85 Quadratmeter großen Geschäft ihre Produkte aus, müssen diese anschließend selbst einscannen und mit Bargeld oder Bankomatkarte bezahlen. Laut den Betreibern sind die Leute sehr ehrlich. Wenn etwas nicht bezahlt wird, dann meist aus Versehen. Die zahlreichen Kameras, die an der Decke montiert sind, würden weniger dazu dienen, die Kunden zu kontrollieren, sondern vielmehr den Produzenten die Möglichkeit geben, zu kontrollieren, ob ihre Regale nachgefüllt werden sollten.

Für manche ist diese Art des Einkaufens noch etwas gewöhnungsbedürftig, wie sich beim Lokalaugenschein von noe.ORF.at kurz vor dem Oster-Lockdown zeigte. Im Großen und Ganzen fallen die Reaktionen aber sehr positiv aus. „Ich finde es super, dass man regionale Produkte bekommt, teilweise kennt man die Lieferanten persönlich. Sehr positiv ist auch, dass man von 6.00 Uhr in der Früh bis 21.00 Uhr einkaufen kann. Ich kann also rein, wann ich will und muss auf nichts aufpassen“, sagte etwa eine Kundin.

Gartenhütte als Verkaufsshop

Etwa 15 Kilometer entfernt, in Oberndorf an der Melk (Bezirk Scheibbs), befindet sich der Bauernhof von Franz und Monika Enengl am sogenannten Hasenberg. Seit einem Jahr – seit Beginn der Krise – steht vor ihrem Hof eine Selbstbedienungshütte, die 24 Stunden am Tag geöffnet hat.

„Wir haben vor dem ersten Lockdown damit begonnen, Nudeln zu produzieren und sind damit auf Bauernmärkte gefahren. Die Märkte wurden aber während des Lockdowns geschlossen. Wir hatten somit die Produkte, haben aber keinen Absatz mehr gesehen.“

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Selbstbedienungshütte von Familie Enengl in Oberndorf
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Vor dem Bauernhof von Familie Enengl steht seit einem Jahr eine 24-Stunden-Selbstbedienungshütte
Innenansicht der Selbstbedienungshütte
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Die Hütte wird mit Produkten vom eigenen Hof befüllt
Regale mit Nudeln
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Das Sortiment soll künftig mit einem hofeigenen Käse erweitert werden
Schild zum Selbstbedienungsladen
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Die Hütte liegt allerdings an keiner Hauptstraße, die „Laufkundschaft“ geht somit ab

Familie Enengl kaufte sich kurzfristig eine Gartenhütte, befüllte sie mit Produkten ausschließlich vom eigenen Hof und machte Werbung im Internet auf Facebook. Die Hofladenhütte wurde auf Anhieb gut angenommen. Die Kundinnen und Kunden müssen auf einem Zettel notieren, welche Produkte sie entnommen haben, das Geld legen sie in eine Handkassa.

„Das ist sicher auf Vertrauensbasis“, sagte Franz Enengl, „der überwiegende Teil der Leute ist sehr korrekt. Es sind so viele ehrliche Leute, die sogar Danke dazuschreiben, Blumen dazuzeichnen oder Trinkgeld geben. Es gab aber auch schon Fälle, denen man nachgehen musste, weil nicht oder zu wenig bezahlt wurde.“

Der Bauernhof samt Hofladenhütte von Familie Enengl liegt abseits der Hauptstraße und ist für Außenstehende wohl nur mit einem Navi zu finden. Die Möglichkeit einer Beschilderung wird derzeit ausgelotet. „Wir liegen nicht direkt an einer Durchfahrtsstraße. Wer bei uns einkaufen möchte, kommt gezielt her. Das Laufgeschäft wie auf einem Bauernmarkt fehlt zuhause natürlich, das ist der Unterschied“, so Enengl.

„Blumen to go“ in Purgstall

Auch immer mehr Gärtnereien in Niederösterreich haben in der Krise den Selbstbedienungsverkauf als eine Möglichkeit für sich entdeckt, trotz Lockdown zumindest etwas Geschäft zu machen. Martina Mayrhofer, Inhaberin einer Gärtnerei in Purgstall an der Erlauf (Bezirk Scheibbs) bietet etwa Blumen vor dem Eingang zu ihrem Geschäft an. Die Waren sind mit Preisschildern versehen, das Geld kommt in eine Handkassa.

„Die Idee ist im ersten Lockdown entstanden“, sagte Mayrhofer gegenüber noe.ORF.at, „man kann sagen, die Not macht erfinderisch. Unsere eigenen produzierten Pflanzen waren fertig. Wir haben uns gedacht, im Gewächshaus werden sie nicht besser. Wir wollten sie nicht wegschmeißen, sondern haben kleine Stände aufgemacht, wo sich die Leute Pflanzen nehmen können.“

Blumen und Handkassa vor einer Gärtnerei in Purgstall
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Vor dem Eingang der Gärtnerei Mayrhofer in Purgstall steht seit einem Jahr eine kleine, blaue Handkassa. Blumen gibt es 24 Stunden zum Mitnehmen – auf Vertrauensbasis

Sechs kleine Läden wurden in der Region aufgestellt. Die Kunden hätten das Angebot sehr gut angenommen, sagte Mayrhofer. „Es ist schön, wenn den Menschen wieder das Vertrauen geschenkt wird. Ich bin auch so ehrlich und gebe das Geld her“, so eine Kundin beim Lokalaugenschein von noe.ORF.at.

Das Vertrauen wurde teilweise sogar im wahrsten Sinne des Wortes zurückgezahlt. Manches Mal fanden sich in der Handkassa ein paar Euro mehr, so Mayrhofer. Sie will das „Handkassa-Konzept“ auch künftig beibeihalten, „um den Kunden die Möglichkeit zu geben, etwas zum Schmücken, kleine Geschenke oder Gemüsepflanzen zu holen“.

Sattes Plus für Direktvermarktung im Lockdown

Sowohl bei der Landwirtschaftskammer Niederösterreich als auch im Landwirtschaftsministerium bemerkt man eine gesteigerte Nachfrage nach Selbstbedienungsläden. „Es wird viel mehr, das merken wir an den Anfragen von Bäuerinnnen und Bauern“, sagte ein Sprecher von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP). „Es wird von den Bauern definitiv forciert und von den Kundinnen und Kunden gut angenommen“, so eine Sprecherin der Landwirtschaftskammer.

Wie viele Selbstbedienungsläden es in Niederösterreich gibt, wird zwar nicht separat erfasst, die Läden fallen aber in die Kategorie der Direktvermarktung, zu der etwa auch der Ab-Hof-Verkauf, Bauernmärkte oder Milch- bzw. Eierautomaten zählen und die während der Coronavirus-Krise einen regelrechten Boom erlebt. Deren Zahl ist laut Landwirtschaftskammer mittlerweile auf rund 8.500 gestiegen.

Die hohe Nachfrage spiegelt sich auch in den Zahlen der Agrarmarkt Austria (AMA) Marketing wieder. Demnach verzeichnete der Bereich der Direktvermarktung während des Lockdowns im zweiten Quartal 2020 ein Absatzplus von 43 Prozent, im gesamten Jahr 2020 betrug der Zuwachs immerhin 23 Prozent.

Das Landwirtschaftsministerium verwies gegenüber noe.ORF.at auf das Gütesiegel „AMA Genussregion“, das absichern soll, dass es sich tatsächlich um regionale Produkte handelt, die in den Selbstbedienungsläden oder auf den Bauernmärkten verkauft werden. Teilweise sei es nämlich bereits zu Missbrauch gekommen, sagte der Sprecher. So habe etwa ein Direktvermarkter Eier verkauft, die nicht aus Österreich waren.