Atomkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1995
APA/Greenpeace/Shirley/HDS
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Umwelt & Klima

Vor 35 Jahren: Tschernobyl und kein Ende

Am Montag jährt sich der Reaktorunfall von Tschernobyl zum 35. Mal. Was man zuerst für einen Störfall in einem sowjetischen Atomkraftwerk hielt, wurde zu einer der größten Umweltkatastrophen. Mit Folgen auf Niederösterreich – bis heute.

Am 26. April 1986 ereignete sich die bisher größte nukleare Katastrophe: Nach einem simulierten Stromausfall schlug die Notabschaltung des Reaktorblocks 4 des Atomkraftwerks „Lenin“ in Tschernobyl fehl – um 1.23 Uhr geriet die Anlage außer Kontrolle und explodierte. In den Flammen stiegen radioaktive Partikel auf, die der Wind schließlich über ganz Europa verbreitete.

Nicht nur der Norden der Ukraine, auf deren heutigem Territorium das Unglück geschah, wurde 1986 verstrahlt. Die radioaktive Wolke traf vor allem das benachbarte Weißrussland und den Westen Russlands, dann verteilte sie sich Richtung Skandinavien und Westeuropa. Österreich war durch die damals herrschenden Witterungsbedingungen im Vergleich zu anderen mitteleuropäischen Staaten besonders belastet. Bis heute herrscht über die Opferzahl Unklarheit: Während Greenpeace von mehr als 90.000 Toten ausgeht, spricht die Weltgesundheitsorganisation von bis zu 17.000 Toten.

Blochberger: „Keiner hat gewusst, wie es weitergeht“

Die Öffentlichkeit erfuhr zunächst nichts von der Explosion in Tschernobyl, sondern erst drei Tage später wurde in Schweden Alarm geschlagen, erinnerte sich Peter Stehlik, der damals Landessekretär des Niederösterreichischen Zivilschutzverbandes war, im Gespräch mit noe.ORF.at: „In Schweden gab es ein Strahlenfrühwarnsystem, das anschlug. Erst durch die Rückverfolgung der Wetter- und Windsituation konnte man zurückverfolgen, woher das kam. Dann erst hat man in der Sowjetunion zugegeben, dass etwas passiert ist.“

„Sarkophag“ um den Reaktor in Tschernobyl, Archivaufnahme 1995
Greenpeace/Shirley/HDS
Um den Reaktorblock 4 wurde später ein „Sarkophag“ aus Beton errichtet, um die Strahlung einzudämmen (Archivbild aus dem Jahr 1995)

Die radioaktive Wolke aus Tschernobyl zog zu diesem Zeitpunkt schon längst nach Westeuropa und dehnte sich immer weiter aus. Durch heftigen Regen kam es auch über Niederösterreich zu einem radioaktiven Niederschlag. „Keiner hat gewusst, wie es weitergeht. Wir waren ja keine Spezialisten. Wir haben abgewartet, die Bevölkerung informiert und gebeten, Ruhe zu bewahren“, erzählte Franz Blochbeger (ÖVP), der von 1981 bis 2000 als Agrarlandesrat in der Landesregierung für Katastrophenschutz zuständig war.

In Niederösterreich waren Nahrungsmittel wie Fleisch, Milch und Gemüse massiv belastet. Franz Blochberger erließ deshalb ein Weideverbot, Frischgemüse durfte nicht mehr verkauft werden. „Es gab keine Erfahrungswerte, man musste sich auf die Mediziner verlassen, welche in den Labors die Untersuchungen durchgeführt haben. Man sieht, wie verwundbar die Gesellschaft ist.“

Pilze und Wildfleisch noch immer radioaktiv belastet

Auch 35 Jahre nach dem Reaktorunfall sind die Auswirkungen in Österreich noch immer messbar. So ist in Wildpilzen und Wildfleisch weiter radioaktives Cäsium-137 zu finden, so das Gesundheitsministerium. Grundsätzlich können diese Lebensmittel zwar weitgehend unbedenklich gegessen werden, es gibt aber Empfehlungen, was Eierschwammerl, Maronenröhrlinge und Wildfleisch betrifft.

Die Belastung von Wildpilzen und Wildfleisch wird vom Ministerium regelmäßig im Rahmen von Studien analysiert. Aus den Ergebnissen der vergangenen zehn Jahre wurde deutlich, dass die Cäsium-137-Werte für Eierschwammerl und Steinpilze im Mittel deutlich unter dem Grenzwert von 600 Becquerel pro Kilogramm (Bq/kg) liegen. Allerdings wurden noch immer bei etwa zehn Prozent der Eierschwammerl Grenzwertüberschreitungen festgestellt.

35. Jahrestag der Atomkatastrophe in Tschernobyl

Am 26. April jährt sich der Reaktorunfall im Atomkraftwerk Tschernobyl zum 35. Mal. Tausende Menschen starben, riesige Gebiete wurden radioaktiv versucht. Die Strahlung ist bis zum heutigen Tag messbar – auch in Österreich.

Bei Steinpilzen kommen Überschreitungen des Grenzwertes nur noch selten vor und Parasole weisen nur sehr geringe Cäsium-137-Werte auf. Bei den Maronenröhrlingen liegen im Gegensatz dazu selbst die Mittelwerte über dem Grenzwert und Grenzwertüberschreitungen treten bei mehr als der Hälfte auf.

Eierschwammerl ja, Maronenröhrlinge nein

Aus diesem Grund lauten die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums: Steinpilze können aus radiologischer Sicht praktisch aus allen Regionen Österreichs bedenkenlos genossen werden. Auch der Konsum von Eierschwammerl stellt praktisch kein Gesundheitsrisiko dar. Allerdings sollten Eierschwammeln aus höher belasteten Regionen aus Vorsorgegründen nicht in allzu großen Mengen konsumiert werden. Höher belastete Gebiete befinden sich vor allem im westlichen Niederösterreich, der westlichen Obersteiermark, in weiten Teilen Oberösterreichs und Salzburgs sowie im Koralpen-Gebiet. Maronenröhrlinge sollte generell eher nicht gegessen werden.

In jüngster Zeit wurden vom Gesundheitsministerium außerdem zwei größere Studien zur Erhebung der radioaktiven Belastung von Wildfleisch in Auftrag gegeben. Eine der Studien zeigte, dass etwa zehn Prozent der untersuchten Wildschweine und etwa vier Prozent der untersuchten Rehe Cäsium-137-Werte über dem Grenzwert von 600 Bq/kg aufweisen. Die Mittelwerte für diese zwei Gattungen liegen mit 250 Bq/kg bzw. 126 Bq/kg deutlich unter dem Grenzwert, die Maximalwerte mit etwa 5.800 Bq/kg bzw. 3.000 Bq/kg deutlich darüber.

Dabei wurde vor allem Wild aus Gebieten untersucht, die durch den Tschernobylunfall höher belastet sind. Es sei daher anzunehmen, dass die Werte für Gesamtösterreich deutlich niedriger liegen, hieß es. Die zweite Studie nahm Wildschweinfleisch aus dem Handel unter die Lupe, wo selbst der Maximalwert deutlich unter dem Grenzwert lag.

Sarkophag des Reaktors 4, Archivaufnahme aus dem Jahr 2004
APA/Gunther Lichtenhofer
Die Opferzahl ist bis heute unklar: Greenpeace geht von mehr als 90.000 Toten aus, die Weltgesundheitsorganisation spricht von bis zu 17.000 Toten

Grundsätzlich kein Gesundheitsrisiko bei Wildfleisch

Aus den Untersuchungen ergibt sich für das Ministerium folgende Empfehlung: Grundsätzlich stellt das Verzehr von Wildfleisch kein Gesundheitsrisiko dar, jedoch sollte jenes aus höher belasteten Regionen nicht in allzu großen Mengen konsumiert werden.

Anhand eines Beispiels kann veranschaulicht werden, welche Strahlendosis sich eigentlich aus dem Verzehr von Wildpilzen und Wildfleisch ergibt. Werden bei einer Mahlzeit 200g Wildpilze oder Wildfleisch mit einer vergleichsweise hohen Belastung von 1.000 Bq/kg verzehrt, ergibt sich daraus eine Dosis von etwa 0,0028 Millisievert (mSv). Dies entspricht einem Tausendstel der mittleren jährlichen natürlichen Strahlenbelastung, die in Österreich etwa 2,8 mSv beträgt. Ein weiterer Vergleich dazu: Die Strahlenbelastung bei einem Flug in 10.000 m Höhe beträgt etwa 0,008 mSv pro Stunde. Dies ist deutlich mehr als die Dosis, die sich aus der oben angeführten Mahlzeit ergibt.

Auch Böden sind noch immer belastet

Auch 35 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sind die Böden in Österreich noch immer mit radioaktivem Cäsium-137 belastet. Die höchsten Werte verzeichnen Gebiete in Oberösterreich, Kärnten, Salzburg und der Steiermark, wie das Umweltbundesamt mitteilte. Die regionalen Unterschiede sind auf die Niederschlagsmengen in den Tagen nach dem Reaktorunfall zurückzuführen.