Karl Gruber im Museumsdorf Niedersulz
ORF/Pöchhacker
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„Menschen im Blickpunkt“

Der Wikipedianer und das freie Wissen

Auf Wikipedia verlässt sich jeder. Die Online-Enzyklopädie hat zum Ziel, freies Wissen zu fördern und zugänglich zu machen. Der Niederösterreicher Karl Gruber engagiert sich seit den Anfängen. Er hat auch den regionalen Wikipedia-Ableger für Österreich gegründet.

Karl Gruber ist kein Geschichtelehrer, aber er wirkt wie einer. Wenn er zu erzählen beginnt – über Textilwirtschaft, dann über Dorfarchitektur, dann über industrielle Wurstherstellung – merkt man, dass er fast an jedem Thema interessiert ist. Der 72-Jährige aus dem Bezirk Mödling eignete sich dieses Wissen durch seine Arbeit für Wikipedia an. Seit 2003 schreibt und fotografiert er für das Online-Lexikon. Mehr als 20.000 Fotos lud er bislang hoch und er schrieb und bearbeitete so viele Artikel, dass er sie nicht mehr vollständig aufzählen kann. Am liebsten beschäftigt er sich mit der Geschichte der Feuerwehren und vergessenen Denkmälern.

„Feuerwehren haben oft eine meist längere Geschichte als die Gemeinde selbst, weil die werden ständig zusammengelegt über die Jahrhunderte, aber an den Feuerwehren erkennt man oft, wie sich ein Ort eigentlich entwickelt hat“, erzählt Gruber. Vor seiner Pension, also im „früheren Leben“, wie er sagt, war Karl Gruber Maschinenbauer und in der EDV von mehreren Unternehmen tätig. Für die Plattform und die technischen Details hinter Wikipedia habe er sich in den frühen 2000er-Jahren sofort interessiert. Dass damit auch eine Leidenschaft für regionale Geschichte geweckt wird, habe er nicht kommen sehen.

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Karl Gruber im Museumsdorf Niedersulz
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Gruber reist für seine Fotos und Recherchen quer durch Niederösterreich und das Burgenland
Karl Gruber im Museumsdorf Niedersulz
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Im Museumsdorf Niedersulz (Bezirk Gänserndorf) im Weinviertel dokumentierte er etwa den neuen Südmährerhof
Karl Gruber im Museumsdorf Niedersulz
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Die Fotos des Museumsdorfs sind dann unter Nennung des Copyrights auf Wikimedia frei verfügbar

Österreich und seine eigene Wikipedia

Zu Wikipedia kam Gruber, weil er etwas über seinen Heimatort Weissenbach bei Mödling nachlesen wollte, für diesen gab es aber 2003 – so wie für die meisten niederösterreichischen Gemeinden – noch gar keinen Beitrag. Heute wird dieses frei verfügbare Wissen als selbstverständlich gesehen und innerhalb weniger Sekunden auf dem Smartphone abgerufen. Damals war man von dieser Situation noch weit entfernt. Vor 20 Jahren gab es etwa 170.000 deutschsprachige Wikipedia-Artikel, heute sind es 2,7 Millionen.

Diese kleinen, lokalen Themen, um die sich Karl Gruber kümmert, sind für Wikipedia aber oft zu irrelevant, deswegen gründete er einen regionalen Ableger der Wikipedia: das Regiowiki Österreich. Dort finden jene Artikel Platz, die auf der Hauptseite der Wikipedia oft gelöscht werden – interessiere niemanden und habe keine ausreichende Bedeutung, so fällt das Urteil der Diskussion zwischen den Wikipedianerinnen und Wikipedianern dann oft aus. Für die Online-Enzyklopädie gibt es eigene Relevanz-Kriterien, vieles wird auf Wikipedia aber auch gemeinschaftlichen auf der Diskussionsseite zu jedem Beitrag ausgetragen.

Die Jänner/Januar-Diskussion

Dabei sei wichtig, sich mit belegbaren Argumenten durchzusetzen, so Gruber – etwa wenn es um eine seiner Lieblingsdiskussionen geht: den Jänner. Die deutschsprachige Wikipedia wird von Autorinnen und Autoren aus Österreich, der Schweiz und Deutschland betreut. Und die deutschen Wikipedianer würden in Beiträgen, die spezifisch Österreich betreffen, den Jänner eben ständig zum Januar ausbessern, erzählt Gruber. Selbiges gelte für den Rauchfangkehrer und den Schornsteinfeger.

„Da muss ich dann immer lang erklären, dass das kein Dialekt ist, sondern Varietät. Es ist wichtig, die österreichische Varietät in der Wikipedia zu erhalten. Das ist ja unsere Identität, diese eigenen österreichischen Begriffe“, so Gruber im Gespräch mit noe.ORF.at. Die Arbeit eines Wikipedianers drehe sich auch hauptsächlich um das Ausbessern von Fehlern oder haltlosen Behauptungen.

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Innenaufnahme eines Triebwagens im Stadtverkehrsmuseum Mödling
Geschichte und historische Objekte möchte Gruber durch seine Fotos auf Wikipedia erhalten. Hier zu sehen ist das Innere eines Triebwagens im Stadtverkehrsmuseum Mödling
Engelsstatue am Friedhof Mödling
Eine Engelsstatue am Friedhof Mödling habe historische Bedeutung, aber eben nur für eine kleinere Gruppe von Menschen
Albrechtsbrücke über die Schwechta in Baden
Genauso wie die Albrechtsbrücke über die Schwechat in Baden

„Wikipedia ist keine Quelle“

Bei einem Wikipedia-Eintrag müssen Informationen mit Quellen belegt werden. Wenn Quellen fehlen und der Artikel auffällig positiv oder werblich ist, dann stecken dahinter oft PR-Agenturen: „Das muss man dann entweder zurücksetzen auf die ursprüngliche Version oder man sieht sich an, ob es dafür überhaupt Quellen gibt. Aber Wikipedia wird überschwemmt mit diesen Selbstdarstellern, die glauben, ihre Person müsse einen Wikipedia-Eintrag haben.“

Deswegen sollten Informationen aus der Wikipedia nicht einfach kopiert und in Präsentationen oder Arbeiten für Schule und Studium verwendet werden, so Gruber. Es handle sich um eine reine Wissenszusammenführung, die auf Sekundärquellen, etwa Zeitungsberichten oder Büchern, beruhe. „Die Lehrer haben völlig recht, wenn sie sagen, Wikipedia ist keine Quelle. Ist es auch nicht. Schüler sollten die vorigen Versionen des Artikels sowie die Infos mit anderen Dokumenten vergleichen, dann sehen sie auch, wie Wissen ausverhandelt wird und sich ändert.“

Wikimedia Österreich

Hinter Wikipedia steht Wikimedia Österreich. Ein gemeinnütziger Verein, der Wikipedianerinnen und Wikipedianern etwa Fahrtengeld beisteuert oder Eintrittskarten für Artikelrecherche ersetzt.

Freies Wissen durch Freiwilligenarbeit

Engagieren kann sich auf Wikipedia jeder. Es gebe auch genug zu tun, sagt Gruber, denn die etwa 2,7 Millionen Beiträge müssen gewartet und auf dem aktuellsten Stand gehalten werden. „Wenn jemand beginnt, glaubt er immer, er muss seinen ersten, eigenen Beitrag schreiben, dabei geht es eben nicht um den Einzelnen. Das Wiki-Prinzip hat man erst verstanden, wenn man sich freut, dass jemand anderer den eigenen Beitrag verbessert oder weiterschreibt“, sagt Karl Gruber.

Zu Niederösterreich-spezifischen Themen würden etwa zehn Autorinnen und Autoren schreiben, so Gruber. In der österreichweiten Wikipedia-Community gebe es etwa 450 aktive Wikipedianerinnen und Wikipedianer. Sie entscheiden anhand von Kriterien und der gemeinschaftlichen Diskussion, welche Informationen frei zugänglich sind – und kreieren damit Wissen, auf das sich jeder verlässt.