Chronik

Freispruch für ehemaligen Tanzlehrer

Ein ehemaliger Tanzlehrer der Wiener Staatsoper ist am Donnerstag am Landesgericht St. Pölten vom Vorwurf des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses freigesprochen worden. Weil Aussage gegen Aussage stand, erfolgte der Freispruch im Zweifel.

Der 59-Jährige wurde laut Anklage beschuldigt, 2013 einen damals 16-jährigen Schüler aufgefordert zu haben, an ihm geschlechtliche Handlungen vorzunehmen. Der Mann wurde nach Bekanntwerden der Vorwürfe gekündigt und ist derzeit arbeitslos. Laut der Einzelrichterin gab es aber „erhebliche Zweifel“ an den Angaben des mutmaßlichen Opfers: „Die Aussage des Zeugen war sehr widersprüchlich und inkonsistent.“

Es habe zwar ein Naheverhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem ehemaligen Schüler gegeben. Der Beschuldigte sagte aus, er sei wie ein Vater für den Jugendlichen gewesen, der Schüler habe sich ihm anvertraut. Eine Situation, wie sie der Betroffene bei der Befragung durch die Polizei geschildert habe, konnte der Richterin zufolge jedenfalls nicht festgestellt werden.

Opfer vor Gericht befragt

Zu den angeklagten Handlungen kam es laut dem früheren Schüler der Ballettakademie an der Wiener Staatsoper, als er zu Schulschluss 2013 im Haus des damaligen Partners seines Lehrers im Bezirk Melk zu Besuch war. Da sich die vorgeworfene Tat im Sprengel des Landesgerichts St. Pölten zugetragen haben soll, fand die Verhandlung in der Landeshauptstadt statt. Nach dem ersten Prozesstag am 23. Februar wurde am Donnerstag das mutmaßliche Opfer befragt.

Gleich zu Beginn seiner Befragung erklärte der inzwischen 24-Jährige, er wolle einige seiner Aussagen bei der Polizei ändern. Der Italiener hatte laut Übersetzung der Dolmetscherin den Landsmann 2011 kennengelernt, als er die Ausbildung in Wien begonnen hatte. Zunächst habe es sich um eine Beziehung zwischen Lehrer und Schüler gehandelt, später „wurde die Beziehung etwas näher, etwas tiefer“. Er habe dem Angeklagten gesagt, dass er homosexuell sei, und „es ist so etwas wie eine Freundschaft entstanden“, meinte er.

„Einvernehmliche Berührungen“

Die vorgeworfenen Berührungen seien zudem einvernehmlich gewesen, antwortete er auf eine Frage der Staatsanwältin. Eine weitere von der Anklage umfasste Situation im Auto, als ihn sein Lehrer zum Bahnhof brachte, schilderte er am Donnerstag ebenfalls anders als zuvor bei der Polizei. Anzeige habe er erst Jahre später erstattet, weil bei einem Besuch in Wien Erinnerungen hochgekommen seien und es Gerüchte über eine Beziehung zwischen ihm und seinem Lehrer gegeben habe, meinte der 24-Jährige.

Der Ex-Partner des Beschuldigten sagte am Donnerstag als Zeuge aus, er sei bei dem Besuch des Jugendlichen die ganze Zeit anwesend gewesen und habe auch Mittagsessen gekocht. Zu den vorgeworfenen Taten sei es im Haus nicht gekommen, betonte der 52-Jährige. Der Angeklagte bekannte sich nicht schuldig. Rechtsanwalt Andreas Schweitzer forderte im Schlussplädoyer einen Freispruch für seinen Mandanten. Die Staatsanwaltschaft gab bisher aber keine Erklärung ab, das Urteil ist damit noch nicht rechtskräftig.

Der Prozess in St. Pölten ist nach Gerichtsangaben losgelöst von im Frühjahr 2019 bekannt gewordenen Misshandlungsvorwürfen gegen die Ballettakademie an der Wiener Staatsoper zu betrachten, der von einer Sonderkommission untersucht wurde. Dabei hatte sich bestätigt, dass Schülerinnen und Schüler der Ballettakademie von Teilen des Lehrpersonals gedemütigt wurden und systematisch Gewalt und Drill ausgesetzt waren – mehr dazu in Ballettakademie: Experten erarbeiten neues Konzept (wien.ORF.at; 12.2.2020).