Herwig Reiter
Fotostudio Fritz
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Kultur

„Musikuniversalist“ Herwig Reiter ist 80

Herwig Reiter ist Komponist, war Chorleiter, Aufnahmeleiter beim Rundfunk, Autor von Musikbüchern und Musikpädagoge an der Wiener Musikuniversität. noe.ORF.at-Redakteur Hannes Steindl, der sein Schüler war, mit einem Bericht zu Reiters 80. Geburtstag.

Eine musikalische Probe des Chores der Wiener Musikhochschule, wie die Universität für Musik und darstellende Kunst in den 1990er-Jahren noch hieß, konnte, wenn es räumlich oder terminlich eng war, durchaus in Herwig Reiters Privatwohnung stattfinden. Und diese Wohnung ist mir als „hungerleidenden“ Musikstudenten gewaltig groß in Erinnerung geblieben – vielleicht im Laufe der Jahrzehnte in meiner Vorstellung noch gewachsen: Ein Loft im klassischen Sinn, ein ausgebautes Stockwerk einer ehemaligen Fabrik im sechsten Wiener Gemeindebezirk, in dem locker ein gemischter Chor neben dem großem Flügel Platz fand.

Mit diesem Eindruck, der mir aus meiner Studienzeit geblieben ist, möchte ich zum einen ausdrücken, dass Herwig Reiter sich bis kurz vor die Schlafzimmertür mit Musik und musikalischer Betätigung umgab und wahrscheinlich immer noch tut und zum anderen, dass er zu uns Studentinnen und Studenten ein ganz spezielles Vertrauensverhältnis hatte – ein ungezwungenes, unkompliziertes und herzliches Zugehen auf uns junge Erwachsene. In dieser Wohnung veranstaltete er auch Hauskonzerte, seine sogenannten „Festinos“.

Das Chorsingen und Ensemble-Dirigieren war damals – wie vermutlich auch heute – für Studierende der Abteilung Musikpädagogik ein Pflichtfach. Ich kann von mir behaupten, dass ich diesen Gegenstand unter der Leitung von Herwig Reiter und seinem damaligen Assistenzen, Johannes Prinz, nie als (lästige) Pflicht empfunden habe, sondern jede Woche als Bereicherung und Anregung dankbar aufgegriffen habe. Es waren stets interessante Stücke aus den unterschiedlichsten Stilen und Epochen, die wir gesungen, gespielt und mit ihm analysiert haben.

Vom Sängerknaben zum Chorleiter

Er stammt aus einer Musikerfamilie, bereits sein Vater Albert Reiter war Musikpädagoge und Komponist. Auch sein Bruder Hermann komponiert. Herwig Reiter wurde am 26. Juni 1941 in Waidhofen an der Thaya geboren. Er begann seine musikalische Karriere als Altsolist bei den Wiener Sängerknaben. Schon vor Abschluss seines Musikstudiums wurde er als Kapellmeister wieder bei den Wiener Sängerknaben engagiert. Dort er wirkte er von 1963 bis 1970.

Von 1964 bis 1980 arbeitete er an einem Wiener Gymnasium, an dem er gemeinsam mit Gertraud Cerha und Roswitha Helmberg einen Schultyp gründete, in dem Musik und bildende Kunst eine bevorzugte Rolle spielen. Bis zum Jahr 2002 war er an der Hochschule bzw. später Musikuniversität Wien tätig, als Professor für Didaktik und Dirigieren.

„Darüber hinaus wirkte er an der Musikuniversität Wien auch als Dirigent, Aufnahmeleiter und war als Referent und Juror beim Bundesjugendsingen in Spittal an der Drau tätig. Reiter gründete das Junge Orchester Wien und den Webern Kammerchor, der jetzt von Alois Glaßner geleitet wird. In Japan ist er auch durch Tourneen, in Österreich durch Sendungen im Rundfunk bekannt“ – ist darüber hinaus auf Wikipedia über ihn zu lesen.

Ein Komponist der musikalischen Nachvollziehbarkeit

Herwig Reiters enormes Wissen schlägt sich auch in seinen Werken nieder. Er verwendet Elemente aus früheren Epochen wie der Gregorianik, der barocken Polyphonie, der Romantik, aber auch des Jazz. „Seine Partituren sind konventionell notiert, motivisch durchgeformt und melodisch-harmonisch auf Skalen, nicht auf Reihen aufgebaut. Unmittelbare Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit in der Vorstellung werden angestrebt. Er versucht, das Publikum zu erreichen, zu berühren, und nicht zu verstören“, charakterisiert ein Artikel auf Reiters Website dessen Auffassung vom Komponieren.

„Ich habe unter dem Einfluss meines Vaters schon als Kind sehr viel komponiert. Als ich mich aber dann Ende der 50er Jahre in der damals modernen ‚seriellen‘ Technik versuchte, haben mich meine Stücke wegen der Beliebigkeit des Klangergebnisses nicht mehr befriedigt und ich habe mich anderen Möglichkeiten, Musik zu machen, zugewendet: z.B. dem Klavierspiel, dem Dirigieren, der Stimmbildung und später auch der Beschäftigung mit der graphisch notierten Musik von Anestis Logothetis – was ja auch mit Komposition zu tun hat“, erläuterte Reiter sein Tun in einem Interview.

1987 erhielt er den Niederösterreichischen Landespreis für Verdienste auf dem Gebiet der Musikpädagogik, 2001 den Erwin Ortner Preis zur Förderung der Chormusik in Form eines Kompositionsauftrags für Laienchor, 2003 den Würdigungspreis der Republik Österreich für Musik, 2007 den Kulturpreis des Landes Niederösterreich und 2011 den Musikpreis der Stadt Wien.