Intensivmediziner Christoph Hörmann
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„Ganz Persönlich“

„Die Pandemie macht Pause“

„Wir haben im Augenblick eine Pause“, aber „es ist noch nicht vorbei“, sagt der Intensivmediziner Christoph Hörmann in Bezug auf die Pandemie. Er plädiert für mehr Personal auf den Intensivstationen und mehr Eigenverantwortung.

Der 58-jährige Christoph Hörmann ist Leiter der intensivmedizinischen Abteilung und stellvertretender ärztlicher Leiter des Universitätsklinikums St. Pölten. Unter anderem ist Hörmann auch Intensivbettenkoordinator des Landes Niederösterreich und Vizepräsident der österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin. Hörmann ist verheiratet und hat sieben Kinder. Im Gespräch mit noe.ORF.at erzählte der in St. Pölten lebende Intensivmediziner von seinen schönsten und schlimmsten Erfahrungen während der Pandemie und von seinen persönlichen Kraftquellen.

noe.orf.at: Einen Sommer wie damals verspricht uns die Politik. Liegt das Schlimmste wirklich hinter uns?

Christoph Hörmann: Wenn ich mir die Zahl der Covid-Patienten auf der Intensivstation anschaue, dann ja. Was wir, ähnlich wie nach Welle eins und zwei und auch nach der dritten Welle beobachtet haben, ist ein massiver Anstieg anderer Erkrankungen, sobald die Zahl der Covid-Patienten sinkt. So gesehen sind die Betten trotzdem sehr gut gefüllt.

Aber die Zahlen sind momentan tatsächlich niedrig. Im Augenblick ist das Risiko, einen infizierten Mitmenschen zu treffen, wirklich extrem klein. Man muss aber dazusagen, das kann sich in 14 Tagen wieder ändern.

noe.orf.at: Macht uns die Delta-Mutation einen Strich durch die Rechnung?

Hörmann: Ganz entscheidend wird das Impftempo sein. Je mehr Leute immunisiert sind, desto weniger stark werden die Folgen im nächsten Herbst oder im nächsten Winter sein. Ich glaube, einer der größten Fehler in der Kommunikation ist, das Gefühl zu vermitteln, es sei überstanden. Das ist es nicht. Wir haben im Augenblick eine Pause, das können wir sicher sagen.

Eva Steinkellner im Gespräch mit Christoph Hörmann
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„Das Impftempo wird entscheidend sein“, sagt Intensivmediziner Hörmann im Gespräch mit Eva Steinkellner-Klein

noe.orf.at: Besonders umstritten und oft diskutiert wird die Maske. Die Maskenpflicht wird immer mehr gelockert. Ist das klug? Oder muss die Maske künftig vielleicht doch Teil unserer Kultur werden?

Hörmann: Ich sehe die Maske und die verschärften Hygienemaßnahmen als einen wichtigen Bestandteil im Kampf gegen die Pandemie. Um ein Wort eines Politikers zu gebrauchen: Ich würde das sehr situationselastisch anwenden. Wenn wir das Bewusstsein schaffen, dass die Maßnahmen bei höherer Inzidenz freiwillig und ohne Diskussion mitgetragen werden, dann wäre das der ideale Weg.

noe.orf.at: Welche Bilanz ziehen Sie als Intensivmediziner? Brauchen Sie mehr Betten, mehr Personal oder was fehlt?

Hörmann: Ich finde, dass sich die österreichische Intensivmedizin gut geschlagen hat. Was sich relativ klar gezeigt hat: Was Betten, Maschinen und Plätze betrifft, haben wir in Österreich mehr als genug. Was sich aber auch gezeigt hat, ist, dass es beim Personal kritisch ist und insbesondere beim Pflegepersonal. Es braucht zwei bis drei Jahre, bis eine Pflegeperson nach ihrem Diplom auf der Intensivstation ihre Tätigkeit eigenverantwortlich ohne Aufsicht leisten kann. Das kann man nicht so rasch aufholen.

Was muss also passieren? Es wäre ein sehr spannendes Konzept, darüber nachzudenken, wie man einen Pool aus Pflegepersonen haben kann, die zwar nicht dauerhaft auf der Intensivstation arbeiten, aber die Kenntnisse so parat haben, dass man sie bei Bedarf relativ rasch nachziehen kann. Es müsste nach dem Prinzip der Rotation funktionieren.

noe.orf.at: Sie waren 2006 Teil einer spektakulären Operation in Innsbruck: Unter der Leitung von Prof. Raimund Magreiter wurden dem ukrainischen Bombenopfer Vasyly beide Hände transplantiert. Sie waren damals der Anästhesist. Auch das Medieninteresse war riesig. Wie haben Sie diesen aufsehenerregenden Eingriff in Erinnerung?

Hörmann: Wie soll ich sagen, die Zusammenarbeit mit Professor Magreiter ist immer spektakulär, weil er einfach für die Idee der Transplantation und für Dinge, die als unmöglich gegolten haben, genau der richtige Mann war. Wir haben uns lange auf diesen Tag X vorbereitet und es war bei allen im Team eine große Freude, als es endlich losging.

Was in dem Moment noch nicht klar war, war, dass die eigentliche Arbeit erst nach der Operation anfing. Ganz flapsig gesagt: Die Knochen zusammenschrauben, die Muskeln zusammennähen, die Nerven zusammennähen, das war planbar, aber nachher war es ein langer Weg, bis der Patient seine neuen Hände wie seine eigenen verwenden konnte. Wir hatten das große Glück, dass er ein Patient war, der das unbedingt wollte. Er hat mit unglaublicher Akribie gekämpft und nie aufgegeben.

ukrainisches Bombenopfer Vasyly
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Hörmann war dabei, als einem Bombenopfer beide Hände transplantiert wurden

noe.orf.at: Sind Sie ein Workaholic?

Hörmann: Wenn Sie meine Frau fragen, würde sie sicher bejahen (lacht). Ich habe in einer Zeit Intensivmedizin gelernt, da waren 80 bis 100 Stunden in der Woche normal. Nicht, dass ich das für gut befinde, aber es war so. Dadurch habe ich gelernt, nicht loszulassen bis ich wieder in vier Tagen Zeit habe. Wenn Sie das als Workaholic sehen, dass mir die Patienten auch in meiner Freizeit am Herzen liegen und ich mich verantwortlich fühle, dann ja. Wenn mit Workaholic gemeint ist, dass ich meine Freizeit nicht genießen kann, dann nein.

noe.orf.at: Apropos Freizeit: Sie sind Marathonläufer und Triathlet – ist das ihr Ausgleich?

Hörmann: Einer meiner Söhne sagt immer, man sieht mir das von außen nicht an, aber ich bin ein begeisterter Ausdauersportler. Der Ausdauersport ist meine große Liebe. Es ist für mich Gelegenheit, über längere Zeit den Gedanken nachzuhängen und den Stress loszuwerden.

noe.orf.at: Sie sind siebenfacher Vater, haben schon mehr als ein Dutzend Enkelkinder, kommen selbst aus einer kinderreichen Familie: Das ist ein großer Familienverband. Ist Ihnen das wichtig?

Hörmann: Ich glaube, dass dieser Familienverband als Ausgleich zu dem Leid, das man gerade auf einer Intensivstation sieht, zumindest für mich ganz, ganz wichtig ist. Ich fühle mich daher ganz weit weg von einem Burn-out, ganz einfach weil dieser Ausgleich es mir ermöglicht, damit umzugehen.

noe.orf.at: Wenn Sie auf die letzten Monate zurückblicken: Was war für Sie der schlimmste Moment?

Hörmann: Die doch sehr hohe Mortalität. Normalerweise haben wir eine Mortalität von vier bis fünf Prozent, aber an Covid stirbt jeder dritte Patient. Dazu kommen die langen Verläufe, in denen wir die Angehörigen und deren Leben und Schicksale kennenlernen. Es ist ein deutlich größeres Stück von einem selbst, das man hergeben muss, wenn man so einen Patienten verliert, als wenn man einen Patienten nach einem schweren Autounfall verliert. Das ist etwas ganz Anderes.

noe.orf.at: Was war der schönste Moment? Gab es so etwas auch?

Hörmann: Ja! Zum Beispiel heute. Es war gerade ein Patient da, den wir mehr als 50 Tage mit der Herz-Lungen-Maschine unterstützt haben. Er war mehr als 100 Tage auf der Intensivstation. Und jetzt ist er das blühende Leben. Das sind die schönsten Momente, wenn wir die Patienten sehen, um die wir so gekämpft haben und die schließlich zurück in Leben gefunden haben.